Corona in FrankreichParis streitet über das Ende des Lockdown
Präsident Macron hat angekündigt, dass die Schulen ab dem 11. Mai wieder öffnen sollen. Vor allem die Banlieus leiden unter der Ausgangssperre.
In der Theorie soll der 11. Mai ein Datum werden, auf das sich die Franzosen freuen können. Von diesem Tag an will die Regierung die Ausgangsbeschränkungen lockern, die seit dem 17. März landesweit gelten und die es unter anderem verbieten, sich weiter als einen Kilometer von seinem Wohnort zu entfernen. Als Präsident Emmanuel Macron vor sechs Wochen durch die rasante Ausbreitung des Coronavirus gezwungen wurde, Bevölkerung, Wirtschaft und Schulen eine Pause zu verordnen, sagte er in einer Fernsehansprache, er werde «vom Prinzip geleitet, der Wissenschaft zu vertrauen». Er wolle, «denen zuhören, die Bescheid wissen». Es klang, als gebe es klar belegbare Wahrheiten, denen man sich nur anzuschliessen brauche.
Vorstädte von Paris und Marseille betroffen
Inzwischen werden die Widersprüche zwischen den Empfehlungen des wissenschaftlichen Beraterstabs, der das Land durch die Krise führen soll, und den Anweisungen der Regierung immer deutlicher. Unter den elf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die von Macron eingesetzt wurden, befinden sich Mediziner und Virologen und auch eine Anthropologin und ein Soziologe. Das Gremium hat für die Wiederaufnahme des Schulbetriebs eine Richtlinie formuliert: Sie soll nicht vor September stattfinden. Macron kündigte hingegen an, dass eine «schrittweise Öffnung der Schulen» am 11. Mai beginnen soll. Macron begründet diese überraschend frühe Rückkehr zu einer Art Normalität damit, dass vor allen Dingen ärmere und bildungsferne Familien unter der Schliessung leiden. In den Vorstädten von Paris und Marseille, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist und die Wohnungen klein sind, leiden die Familien besonders unter der Ausgangssperre – und auch unter dem Wegfall des günstigen Kantinenessens.
Wovon lässt sich die Regierung also leiten? Von den Bedürfnissen der Wirtschaft? Schliesslich liegt die Quote der Familien, in denen beide Elternteile arbeiten und folglich einer von beiden im Job ausfällt, wenn sie die Betreuung ihres Nachwuchses übernehmen, in Frankreich höher als in der Schweiz. Oder doch eher von Fragen der sozialen Gerechtigkeit? Der Schulbesuch soll bis zu den Sommerferien, die acht Wochen dauern und im Juli beginnen, nur freiwillig sein. Er soll diejenigen entlasten, die eine Pause vom gemeinsamen Lockdown dringend nötig haben.
Keine Diskussion im Parlament
Die Diskussionen, die sich in Frankreich durch die bevorstehenden Öffnungen ergeben, werden scharf geführt – allerdings ausserhalb des Parlaments. Was wiederum zu hitzigen Debatten führt. Am Dienstagnachmittag wird Premierminister Edouard Philippe in der Nationalversammlung den Plan der Regierung zur Wiederaufnahme des öffentlichen Lebens vorstellen. Spätestens am Mittwoch sollen die Abgeordneten über den Plan abstimmen. Wird er angenommen, muss danach noch der Senat befragt werden. Gewählte aller Parteien empfinden dieses Vorgehen der Regierung als Schwächung des Parlaments. Schliesslich wird für eine kritische Diskussion keine Zeit bleiben. Ausserdem werden den Abgeordneten zwei Vorschläge gleichzeitig vorgelegt, ohne dass sie über diese getrennt abstimmen können. Wer für die Lockerung der Ausgangsbeschränkungen stimmt, entscheidet sich automatisch für die Einführung einer digitalen Erfassung der sozialen Kontakte der Franzosen. Premierminister Philippe wird am Mittwoch die App «Stop Covid» vorstellen, die es der Regierung ermöglichen soll, Ansteckungen effizienter zurückzuverfolgen. Datenschützer warnen allerdings vor den Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte.
Abgeordnete aller Oppositionsparteien kritisieren das geringe Mitspracherecht des Parlaments – ebenso wie einige Mitglieder der Regierungspartei La République en Marche (LREM). Aurélien Taché von LREM sagte, das Vorgehen der Regierung entspreche nicht dem «nötigen demokratischen Niveau». Der Linke Jean-Luc Mélenchon klagt an, es solle nur noch «der Eindruck von Demokratie erweckt werden, in Wahrheit handelt es sich um Brutalität». Der Chef der konservativen Republikaner, Christian Jacob, kritisierte, man könne doch «nicht einfach nur über eine Rede abstimmen».
Allein in Paris sind seit dem 14. März 25’400 Restaurants geschlossen.
Die Regierung begründet den geringen Raum für Diskussionen damit, dass die Zeit fehle. In den zwei Wochen, die bis zum geplanten Ende der Ausgangssperre verbleiben, solle den lokalen Verwaltungen die Möglichkeit gegeben werden, sich auf die neuen Regeln einzustellen. Die Absprachen bräuchten Vorbereitung. Es werde zwar ein nationaler Plan vorgeschlagen, dieser müsse jedoch für jede einzelne Region angepasst werden.
Premierminister Philippe wird sich am Dienstag auf sechs Themenbereiche konzentrieren, die es zu organisieren gilt: Öffnung der Schulen und der Geschäfte, Wiederaufnahme der Arbeit, Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, gesundheitliche Versorgung. Um über eine Wiedereröffnung von Cafés und Restaurants zu beraten, will Macron Ende Mai Wirte empfangen. Allein in Paris sind seit dem 14. März 25’400 Restaurants geschlossen.
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