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Franziskus und der Krieg
Der Papst, ein Freund von Autokraten?

Pope Francis gestures as he leaves in the popemobile car at the end of the weekly general audience on June 7, 2023 at St. Peter's square as in The Vatican. Pope Francis will undergo an operation for an abdominal hernia on June 7 at a Rome hospital, where he is expected to stay for "several days", the Vatican said. (Photo by Andreas SOLARO / AFP)
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Was ist nur in diesen Papst gefahren?, fragen sich gerade viele Menschen. Gerne wird behauptet, das Oberhaupt der katholischen Kirche habe die Ukraine zur Kapitulation aufgefordert. Das hat er zwar nicht in jenem Interview im Tessiner Fernsehen, in dem es um die Farbe Weiss ging: das Weiss des Papstes, weisse Brautkleider, weisse Tauben – und eben auch die weisse Fahne.

«Ich glaube, dass derjenige der Stärkere ist, der die Lage begreift; der an die Bevölkerung denkt; der den Mut zur weissen Flagge, zur Verhandlung hat», hat der Papst dort gesagt und weiter: «Verhandeln ist nie eine Kapitulation. Es ist der Mut, das Land nicht in den Selbstmord zu führen.» Aber auch das ist für die um ihr Überleben kämpfenden Ukrainer eine Zumutung und für ihre Verbündeten inakzeptabel, für die der Weg zum Frieden nur über einen russischen Rückzug führen kann (lesen Sie hier die Analyse zu den Aussagen des Papstes).

Was diesen Papst besonders umtreibt

Es wird nun sogar die Debatte geführt, ob der Papst womöglich ein Parteigänger Putins sei, ein Freund von Autokraten und ein Sympathisant radikaler Araber gleich mit. Weil er immer wieder das vieltausendfache Sterben im Gazastreifen thematisiert, aber nicht gleichermassen konsequent den vorhergehenden Terroranschlag der Hamas in Israel.

In der neuen Autobiografie von Franziskus kann man nachlesen, wie der Argentinier politisch tickt, was ihn geprägt hat. Alles ist angelegt in seinem Leben, das 1936 in Argentinien begann und ihn über die Priesterweihe mit knapp 33 Jahren und das Amt des Erzbischofs von Buenos Aires bis ins Amt des Papstes führte. «Leben. Meine Geschichte in der Geschichte» heisst die Autobiografie, die Franziskus mithilfe des italienischen Journalisten Fabio Marchese Ragona geschrieben hat und die am 19. März auf den Markt kommt.

Schon im ersten Kapitel klingt eines der Anliegen an, die den Papst bis heute besonders umtreiben: die Not von Migranten, die «ihr Land verlassen, in der Hoffnung, ein neues Leben zu finden. Stattdessen ertrinken die Flüchtlinge im Meer oder werden an der Grenze zurückgewiesen.» Nicht zufällig führte ihn seine erste Reise nach der Wahl im Jahr 2013 auf die der afrikanischen Küste vorgelagerte italienische Insel Lampedusa, wo die Verzweifelten aus Afrika anlanden – wenn sie denn überleben.

Für diesen Papst ist nicht Europa das Zentrum seines Denkens, er sucht die Ränder, geografisch und thematisch. Deshalb die Kritik am herrschenden kapitalistischen Wirtschaftssystem, das er für soziale Not verantwortlich macht. Aber, so die Selbsteinschätzung, «wer über die Armen spricht, ist nicht automatisch Kommunist», auch wenn er von Fundamentalkatholiken in den USA so bezeichnet wird.

Das zweite Kapitel heisst «Holocaust» – und straft jene Lügen, die ihm vorwerfen, das Schicksal des jüdischen Volks sei ihm gleichgültig. Vielleicht auch weil er das Grauen der Nazi-Herrschaft und des Zweiten Weltkriegs im fernen Südamerika nur gefiltert erlebt habe. Aber die «Endlösung der Judenfrage» war im Haus der Bergoglios durchaus Thema, und antisemitische Ausschreitungen damals wie heute nennt er «eine Schande».

«Nie wieder Krieg, nie wieder Waffenlärm»

Und dann eben der Krieg, sein ewiges Thema: Er beschreibt, wie die Momente der Hoffnung am Ende des Weltkriegs in Europa vom Schock der beiden Atombomben auf Japan abgelöst wurden, die er «unmoralisch» nennt. Und dann kommt das Credo, das ihn auch heute umtreibt: «Nie wieder Krieg, nie wieder Waffenlärm. Nie wieder solches Leid. Friede für alle, ein dauerhafter Friede ohne Waffen.»

Die Leiden der Menschen in der Ukraine, im Gazastreifen, an vielen anderen Brennpunkten der Welt – der Papst weiss mehr von ihnen aufzuzählen als viele seiner schnellen Kritiker. Seine Gedanken sind nie bei Militärtaktik und Sicherheitsstrategien, sondern immer bei den Opfern. «Welche Schuld trägt die Bevölkerung? Warum muss sie einen so hohen Preis und sogar mit dem Tod bezahlen?» Kein Platz ist offenbar in seinem Denken für eine Debatte um «gerechte Kriege», Selbstverteidigung, Militärbischöfe. Dieser Papst ist kein Monarch und kein Denker, sondern ein Hirte. Er erträgt den Krieg nicht, nichts anderes bewegt ihn mehr.

Der Pomp ist ihm zuwider

Mit der Institution Vatikan, mit all den Instanzen und Intrigen, mit Macht und Luxus wird er seinen Frieden nicht mehr machen, das ist offensichtlich, ein «Papst-König» will er nicht sein, und der ganze «Pomp» sei ihm immer schon zuwider gewesen.

Heute sieht er sich offenbar eher von konservativen Kreisen bedroht als von Reformkräften. Er müsse lesen, «er sei im Begriff, das Papsttum zu zerstören», klagt er. In seiner Not zitiert er die Vision seines Vorgängers, der als Kardinal Ratzinger von der Kirche als einer «kleineren, besonderen Institution» sprach, «eine Minderheit, mit wenigen Gläubigen, die den Glauben wieder in den Mittelpunkt ihrer Erfahrung stellen».