Kommentar zur Ukraine-AussageDer Papst und die weisse Fahne
In seiner Verzweiflung über die Kriege in der Ukraine und in Nahost überzieht Franziskus und verwendet ein fragwürdiges Bild – das seinem Ansinnen schadet.
Anders als viele seiner Vorgänger ist Papst Franziskus kein gelernter Diplomat, und er möchte es auch nicht sein. Er sagt, was ihn bewegt, und manchmal sagt er es ohne Rücksicht auf die Folgen seiner Worte. Ob er diese nicht vorhersieht oder willentlich in Kauf nimmt, weiss am Ende nur er selbst. Was man aber hören und sehen kann, ist, wie sehr das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche an den Kriegen dieser Tage verzweifelt, am Kampf in der Ukraine und am «Blutbad» im Gazastreifen, wie es im Vatikan heisst. Immer drängender werden die Appelle des Papstes. «Hört auf! Hört bitte auf!», so sein Aufruf, vorgetragen mit schwacher Stimme, vor einer Woche auf dem Petersplatz. In einem Interview mit dem Tessiner Fernsehsender RSI, das er schon am 2. Februar geführt hat, dessen Text aber jetzt erst veröffentlicht worden ist, hat er sich weiter exponiert.
Es lohnt sich, den Wortlaut der entscheidenden Passage in dem langen Interview nachzulesen. Die Frage lautet an einer Stelle: «In der Ukraine gibt es diejenigen, die den Mut zur Kapitulation, zur weissen Fahne, fordern. Aber andere sagen, dass dies die Stärksten legitimieren würde. Was sagen Sie dazu?» Antwort Franziskus: «Das ist eine Interpretationsweise. Aber ich denke, dass der stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut zur weissen Flagge hat, zu Verhandlungen. Und heute kann man mit der Hilfe der internationalen Mächte verhandeln. Das Wort ‹verhandeln› ist ein mutiges Wort.» Und weiter, in allgemeinem Zusammenhang: «Wenn man sieht, dass man besiegt wird, dass die Dinge nicht gut laufen, muss man den Mut haben, zu verhandeln. Du schämst dich, aber wie viele Tote wird es am Ende geben? Verhandle rechtzeitig, suche ein Land, das vermittelt.»
Die weisse Fahne, das ist das Wort, das zu Recht Emotionen hervorruft. Völkerrechtlich ist in der Haager Landkriegsordnung von 1899 festgeschrieben, dass derjenige, der kapitulieren will, sich durch eine weisse Fahne kennzeichnet und damit geschützt ist; der Brauch geht bis in die Antike zurück. Will der Papst also, dass die Ukraine kapituliert? Das wäre, bei allem Leiden an der Gewalt in diesem Angriffskrieg, eine ungeheuerliche Parteinahme. In Kenntnis vieler Reden des Papstes darf man wohl sagen: Nein, eine Kapitulation fordert Franziskus nicht. Wohl aber Verhandlungen über das Ende des Krieges, mindestens einen Waffenstillstand – heftig genug für ein überfallenes und in der Existenz bedrohtes Volk.
Eine «diplomatische Lösung»
Die Vatikan-Diplomatie versucht jetzt, die Äusserung des Papstes einzufangen. Er habe das Bild von der weissen Fahne, das der Interviewer verwendet habe, nur aufgegriffen und damit zu einem Waffenstillstand aufrufen wollen. Verhandlungen seien keine Kapitulation. Franziskus wolle eine «diplomatische Lösung für einen gerechten und dauerhaften Frieden».
Wieder zeigt sich: Dieser Papst ist anders. Seit er vor elf Jahren Nachfolger des Deutschen Benedikt XVI. wurde, der sich fest in die Hierarchie der 2000 Jahre alten Institution eingebunden fühlte, versucht der Argentinier, der eher Seelsorger ist denn Kirchenfürst, aus den Zwängen des Amts auszubrechen. Immer wieder umgeht er den Instanzenweg, lässt es nach innen und aussen an Geschmeidigkeit fehlen. Sagt, was er denkt. Das macht ihn sympathisch, aber angreifbar. Bei einem Thema wie Krieg und Frieden stösst er erst recht an seine Grenzen. Mit der weissen Fahne schadet er dem sehr ehrenvollen Ansinnen, das er hat: Menschenleben zu retten.
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