Widerstand in ChinaPapier, Alpakas, «mehr Covid-Tests»: So kreativ ist der chinesische Protest
Einige Demonstranten haben direkt zum Sturz des Regimes aufgerufen. Doch die meisten äusserten ihren Unmut subtiler – und mit Witz.
Ein leeres, weisses Blatt Papier ist in China zum Symbol des Widerstandes geworden gegen das Regime und seine strikte Null-Covid-Politik. Die weisse Fläche steht für all das, was die zornigen Demonstranten sagen wollen, aber nicht dürfen. Es kann aber auch als Hinweis auf den Tod von zehn Fabrikarbeitern in der vergangenen Woche in Urumqi gelesen werden. In China ist Weiss eine Farbe, die bei Beerdigungen verwendet wird. «Die Menschen haben eine gemeinsame Botschaft», sagt Xiao Qiang, der an der Universität von Kalifornien zu Internetfreiheit forscht, der «New York Times». «Sie wissen, was sie ausdrücken wollen, und die Behörden wissen es auch, also brauchen die Leute nichts zu sagen. Wenn du ein leeres Blatt in der Hand hältst, weiss jeder, was du meinst.»
Der Hashtag «A4Revolution» – ein Hinweis auf die Papiergrösse – begann am Wochenende auf Twitter zu trenden. Den Papier-Hype nutzten Witzbolde aus, um eine angebliche Erklärung eines der grössten Schreibwarenunternehmen Chinas online zu veröffentlichen. Darin hiess es, das Unternehmen werde den Verkauf von A4-Papier einstellen, um «die nationale Sicherheit und Stabilität zu gewährleisten.» Das Unternehmen sah sich in der Folge gezwungen zu erklären, die Nachricht sei frei erfunden.
Auch sonst war der Protest bisher vielfach kreativ und ironisch. Manche Chinesen schrieben übertriebene Lobpreisungen ihrer Führung in die überwachten sozialen Netzwerke ihres Landes. Sie posteten Textwände voller chinesischer Schriftzeichen und schrieben «gut gut gut» «toll toll toll» und «richtig richtig richtig», um ihre Unzufriedenheit auszudrücken. Bei den Strassen-Protesten passierte Ähnliches. Als die Polizei die Demonstranten in Peking aufforderte, den Slogan «Keine Lockdowns mehr» nicht weiter zu skandieren, schrien diese: «Mehr Lockdowns!» Und: «Ich will mehr Covid-Tests machen!»
Bananenschale steht für Xi
Ihrem Akademiker-Habitus gerecht wurden die Studenten der Elite-Universität Tsinghua, der Alma Mater von Staatschef Xi Jinping. Ihr Protest war allerdings für Aussenstehende nur schwer verständlich. Sie druckten die Friedman-Gleichung, die die zeitliche Entwicklung des Universums beschreibt, auf ihre Blätter – der Name Friedman klingt wie die Worte «Freed men» (»Freie Menschen»).
Zu den überraschendsten Erscheinungen unter den Demonstrantinnen und Demonstranten gehörte eine Frau, die mit drei Alpakas in Shanghai die Urumqi-Strasse, den Ort der Proteste, entlang ging. Diese ist benannt nach der Hauptstadt der Uiguren-Region Xinjiang, in der bei einem Brand zehn Menschen ums Leben gekommen waren. Das Unglück gilt als Auslöser der Proteste. Im Internet hatten viele Nutzer die strikten Corona-Massnahmen für die schleppende Rettung der Bewohner verantwortlich gemacht.
Der Spaziergang mit den Alpakas wurde nun als Hinweis auf eines der frühesten Protest-Meme interpretiert: das sogenannte Gras-Schlamm-Pferd. 2009 als die Zensoren begannen, im Internet härter durchzugreifen, posteten viele Nutzer Bilder von den ähnlich aussehenden Alpakas, um ihren Unmut kundzutun. Der Sprachwitz dahinter: Gras-Schlamm-Pferd klingt auf chinesisch ähnlich wie eine derbe Beleidigung gegen die Mutter des Empfängers, der Empfängerin.
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Das Urumqi-Strassenschild liessen die Shanghaier Behörden am Sonntag entfernen. Prompt tauchte es tags darauf im Internet wieder auf. Angelehnt an das legendäre Abbey-Road-Cover der Beatles posteten Social-Media-Nutzer Bilder, auf denen die «Fab Four» mit dem Urumqi-Schild die Strasse überquerten.
Da bis Montag Im Internet viele Verweise auf A4-Papier und die Proteste gelöscht worden waren, griffen Social-Media-Nutzer beim Katz- und Maus-Spiel mit den Zensoren auf Wortspiele zurück, um weiter zu diskutieren. So brauchten sie laut der «Japan Times» den Begriff «Bananenschale», der dieselben Initialen wie der Name von Präsident Xi Jinping auf Chinesisch hat, und «Garnelenmoos», das ähnlich klingt wie «Rücktritt.»
«Ist Marx die ausländische Macht?»
Während einige Demonstranten in für China ungewöhnlicher Art und Weise das Regime frontal angriffen und «Nieder mit der Partei», «Nieder mit Xi Jinping» riefen, sangen andere bei den Protesten die Nationalhymne und die Internationale. Wohl auch, um dem Vorwurf der Führung zu entgehen, die Proteste seien fremdgesteuert. Zu diesem Vorwurf nahmen Demonstranten in einem vielbeachteten Twitter-Video Stellung. «Die ausländische Macht, von der geredet wird, ist das Marx oder Engels? Stalin oder Lenin?», fragte einer der Wortführer. «Wir haben bloss einheimische Mächte, die es uns nicht erlauben, uns selbst zu regieren.»
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