Papablog«Hold my Baby!»
Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal das Baby halten! Unser Papablogger erhält unverhofft ein kleines Kind und als Bonus obendrauf einen philosophischen Moment.
«Könntest du kurz mein Baby halten, ich habe etwas vergessen.» Zugegeben, ich war überrumpelt, nahm das fröhlich glucksende Rollschinkli aber gerne entgegen. Die Frage kam nicht etwa von einer Freundin oder einer Bekannten, nein: Eine wildfremde Mutter warf mir ihr vermutlich Erstgeborenes in die Arme und verschwand für wenige Minuten aus dem Restaurant. Viele Gedanken gingen mir in dieser Zeit durch den Kopf.
Erstens: Was für eine Frage?
Natürlich kann ich das Baby halten! Wer würde denn nicht ein Baby halten wollen? Ein Unmensch vielleicht. Kurz habe ich mich gefragt, ob das vielleicht so eine Betrugsmasche ist. Sie sagt zuerst, dass ich ihr Baby gratis halten darf, und will dann plötzlich doch etwas dafür haben. Wie diese Männer am Montmartre, die dir natürlich gratis ein schmuckes Bändeli um den Arm knüppeln, das dann plötzlich doch kostet. «Bin ich Opfer der berüchtigten Baby-Scam-Bande geworden?» Schnell verwarf ich den Gedanken wieder. Sie hatte mir das Baby ja nicht um den Hals geknotet. Und wem machen wir etwas vor: Ich hätte ein stattliches Sümmchen bezahlt, nur um wieder mal ein Baby im Arm halten zu dürfen. In meinem Freundeskreis herrscht nämlich gerade Babydürre. Das Geschäftsmodell «Leihbaby» würde in mir einen spendierfreudigen Stammkunden finden.
Zweiter Gedanke: Wie vertrauenswürdig sehe ich eigentlich aus?
Klar, ich speiste an diesem Tisch mit meinen beiden Kindern und fragte sie zum dreihundertsten Mal geduldig, ob sie wirklich mit ihrem guten Schulpulli mitten in den über den Tisch verteilten Pommfritt liegen wollten. Und apropos Pulli: Ich trug an dem Tag meinen schönsten Disney-Hoodie. Nichts schreit so sehr «ich weiss, wie man ein Köpfchen stützt» wie 186 grinsende Mickymäuse. Ich hätte mir auch sofort mein eigenes imaginäres Baby anvertraut. Auf jeden Fall war es ein nettes Kompliment, aus 100 Fremden zum Babyhütedienst auserwählt zu werden.
Dritter Gedanke: So schön!
Fünf Monate alt war Enya-Brittney (Name geändert), wie ich später in Erfahrung brachte. Sie guckte aufmerksam, wenn auch noch etwas kurzsichtig in die Runde. Ruhig und ohne grosse Ansprüche – im Gegensatz zu meinen beiden Rüpeln. Erinnerungen schossen durch meinen Frontallappen: an lange Spaziergänge mit dem Tragetuch, an Mittagsschläfchen mit Baby auf meinem Bauch, an erste Schritte und erste Worte wie «utul» (dunkel) oder «Büff» (Hund). Wie watteleicht Babys doch sind – im Gegensatz zu meinen Bleigenossen, die ich ab und zu noch unter Gezeter zur Zahnbürste und dann ins Bett tragen muss. Natürlich romantisierte ich in dem Moment die Babyzeit – aber selbst der dezente Windelgeruch, der mir in die Nase kroch, tat dem keinen Abbruch. «Ach, wickeln würde ich ja auch ganz gerne mal wieder.»
Vierter Gedanke: Was wird aus dir?
Eine schöne zufällige Begegnung war das. Ich schon knapp ennet der Lebensmitte, Enya-Brittney noch ganz am Anfang. Bald wird sie laufen, vielleicht «Büff» sagen, ihren ersten Schultag verarbeiten, Erfolge und Misserfolge meistern, Freundschaften knüpfen, in die Pubertät kommen, sich verlieben, einen Beruf erlernen. Was sie alles erlebt – ich werde es nie erfahren. Bestimmt kreuzen wir uns im Leben noch ein paar Mal. Zum Beispiel wenn sie im Bus dem komischen Rentner mit dem verwaschenen Disney-Hoodie ihren Platz anbietet. Wir werden uns beide nicht daran erinnern, dass wir uns vor vielen Jahren für einen kurzen Moment in den Armen lagen. Babys sind toll. Aber man sollte sie nicht wieder zurückgeben müssen.
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