Nach dem Fall von AfghanistanPakistan produziert Terroristen am Fliessband
In Pakistan wird der Sieg der Taliban eher mit Freude als Bestürzung aufgenommen. Das mächtige Militär hat seit Jahren geduldet, dass islamistische Terroristen im Land untertauchen. Das könnte sich auf Dauer rächen.
Osama Bin Laden wurde in Pakistan erschossen. Er war der bekannteste Terrorist, der sich nach Pakistan zurückzog, aber längst nicht der einzige. Als der US-Geheimdienst ihn 2011 dort ortete und Navy Seals sein Haus stürmten, wurde die Regierung in Islamabad angeblich nicht einmal vorab informiert. Washington traute den Pakistanern nicht. Die USA und Indien werfen Pakistan seit Jahren vor, dass es auf seinem Staatsgebiet Terroristen duldet. Verwundete Talibankämpfer wurden in pakistanischen Spitälern behandelt, getötete dort beerdigt.
Die reicheren Islamisten besitzen Häuser in Pakistan, ihre Kinder gehen dort zur Schule. Damit das Konsequenzen hat, wurde diese Woche der Hashtag #SanctionPakistan ins Leben gerufen. «Gleichzeitig feiern es die Islamisten in den sozialen Netzwerken weltweit als grossen Sieg, dass die Taliban in Afghanistan wieder an der Macht sind», sagt Harsh V. Rant. Der Professor für internationale Beziehungen am King’s College in London ist auch für den regierungsnahen indischen Thinktank Observer Research Foundation tätig.
Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan ist umstritten
Rant zitiert Pakistans Premier Imran Khan, der unmittelbar nach dem Abzug der Amerikaner sagte, die Afghanen hätten sich nun aus der Sklaverei befreit. «Aber tatsächlich dürfte dies ein Sieg des mächtigen pakistanischen Militärs sein, das die Taliban über Jahre unterstützt hat», erklärt Rant per Video-Call in Delhi. Terroristen würden in Pakistan «wie am Fliessband hergestellt und exportiert» – so hatte es der indische Aussenminister Subrahmanyam Jaishankar erklärt.
Rant sagt nun: «Vieles, was Pakistan tut, muss man im Zusammenhang mit Indien sehen.» Pakistan habe sich strategisch im Nachteil gefühlt, weil es sich eingekeilt sah zwischen dem Erzrivalen Indien und den in Afghanistan stationierten Amerikanern.
«Islamisten auf der ganzen Welt dürften sich jetzt motiviert fühlen.»
Andererseits ist die Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan umstritten. Eine stabile afghanische Führung könnte also Anspruch auf Gebiete Pakistans erheben. In jüngster Zeit war man in Islamabad irritiert, weil die afghanische Regierung unter dem nun geflohenen Präsidenten Ashraf Ghani Nähe zu Indiens Regierung suchte. Harsh V. Rant sagt, «vielleicht ist das ein Grund, warum das pakistanische Militär nun jubelt. Aber die Sache wird auf Jahre Folgen haben. Islamisten auf der ganzen Welt dürften sich motiviert fühlen. Es ist ein Irrglaube, zu denken, ein ideologischer Krieg lasse sich auf Territorien begrenzen.»
Die pakistanischen Taliban verüben auch in Pakistan selbst seit Jahren schwere Anschläge, 2014 unter anderem auf eine Schule, mindestens 145 Menschen wurden getötet, die meisten waren Kinder.
Die Verbindungen des pakistanischen Geheimdienstes nach Afghanistan gehen zurück auf die Zeit vor dem Einsatz der USA, als die Islamisten sich gegen die sowjetischen Besatzer zu Wehr setzten – mit Unterstützung der US-Geheimdienste, welche die Mujahedin mit Waffen und Know-how versorgten. Es ist jetzt nicht das erste Mal, dass die USA in Afghanistan nach einem Regimewechsel in die eigenen Gewehrläufe blicken. Während die USA und Indien als Feinde gelten, sucht Pakistan derzeit die Nähe zu China. Wohl auch deshalb hat Pekings Aussenminister vor kurzem einen Führer der Taliban zu Gesprächen empfangen.
USA erhöhen den Druck auf Pakistan
Bei seinem Antrittsbesuch in Indien forderte US-Aussenminister Antony Blinken im Juli Pakistan auf, «zu tun, was immer möglich ist, um zu verhindern, dass die Taliban sich das Land mit Gewalt zurückholen». Doch es war nicht anzunehmen, dass Islamabad sich offen gegen die Islamisten im Nachbarland stellen oder auch nur indirekt gegen sie vorgehen würde. «Washington erhöht den Druck auf Pakistan», schrieb die «New York Times» nun Anfang dieser Woche. Regierungschef Imran Khan solle sich klar gegen die Taliban aussprechen.
Das vermied er aber bisher und wird es wohl auch in Zukunft nicht tun. Öffentlich hatte sich Islamabad Washingtons Linie angeschlossen und die Verhandlungen zwischen den USA, den Taliban und afghanischen Unterhändlern der amtierenden Regierung unterstützt. Der «New York Times» sagte Imran Khan noch im Juni, Islamabad «übt den maximal möglichen Druck auf die Taliban aus».
Doch der grössere Machtfaktor in Pakistan ist das Militär, und «es hat hier einen grossen Sieg errungen», ist Harsh V. Rants Einschätzung. Das pakistanische Militär erlaubt es den US-Streitkräften auch nicht, aus Pakistan Luftangriffe auf die Taliban in Afghanistan zu fliegen.
1,4 Millionen afghanische Flüchtlinge in Pakistan
Der Nachrichtensender al-Jazeera berichtete, das pakistanische Aussenministerium habe angeboten, Menschen zu helfen, die Afghanistan verlassen wollen. Zahid Hafeez Chaudhri, ein Sprecher des Ministeriums, sagte, dass «Pakistan weiter die Bemühung unterstützen wird, die Lage politisch zu lösen» – eine Ankündigung, die im Licht der Ereignisse zynisch klingt.
Allerdings hat Pakistan auch früher schon nicht nur Taliban aufgenommen, sondern ebenso Menschen, die vor den Islamisten flohen. Etwa 1,4 Millionen afghanische Flüchtlinge leben bereits im Nachbarland, die meisten unter schlechten Bedingungen. Zuletzt haben jede Woche etwa 30’000 Flüchtlinge Afghanistan Richtung Pakistan verlassen, auch deswegen muss Islamabad die etwa 2600 Kilometer lange Grenze künftig besser sichern.
Allerdings eroberten Kämpfer der Taliban bereits am Wochenende Torkham – neben dem Khyberpass ist das einer der wichtigsten Grenzübergänge zwischen beiden Ländern. Auf beiden Seiten der afghanisch-pakistanischen Grenze geraten nun die Menschen in Feindesland, die keine Islamisten sind.
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