Per Fähre durch die OstseeMini-Kreuzfahrt nach Finnland
Die Überfahrt mit der Finnlady von Travemünde bei Lübeck nach Helsinki dauert volle 32 Stunden. Die Reise auf der Fähre wird zur sanften Annäherung an den Norden.

- Die Finnlady befördert Passagiere und Fahrzeuge zwischen Travemünde und Helsinki.
- Die Ambiance an Bord wirkt so entspannt wie bei einem Seetag auf einem kleinen Kreuzfahrtschiff.
- Fährreisen-Expertin Rebecca Giger berichtet von gestiegenen Buchungen nach der Corona-Pandemie.
Das soll man ihr erst mal nachmachen! Die Einradfahrerin legt auf engstem Raum eine Runde hin, bläst dabei Ballone auf, zaubert Fabelwesen aus den bunten Luftkissen und verschenkt sie an die faszinierte Kinderschar.
So sieht Nachmittagsunterhaltung nicht etwa im Provinzzirkus aus, sondern mitten auf der Ostsee an Bord der Fähre Finnlady, die mit 500 Passagieren und Hundertschaften von Autos, Motorhomes, Lastwagen, unbemannten Trailern und Töffs unterwegs ist – von Travemünde bei Lübeck nach Helsinki.
Weil die Überfahrt in den Norden einen Tag und zwei Nächte dauert, bietet die Fährgesellschaft Finnlines, die zum Grimaldi-Konzern gehört, den jüngsten Gästen etwas Entertainment. Auf der Rückfahrt wird ein Clown mit verschiedenfarbigen Schuhen den Kids Geschenkboxen verteilen.

Kurz vor Mitternacht haben wir am Vorabend am Terminal von Travemünde das eindrucksvolle Schiff betreten und die Aussenkabine bezogen. Die Finnlady ist kein Luxuskreuzer, doch die Kabinen sind mehr als nur in Ordnung. Hier lässt es sich gut nächtigen.
Bevor die Fähre in dunkelster Nacht von der Trave in die Ostsee einbiegt, scheucht eine Lautsprecherstimme die Passagiere, die es sich gemütlich gemacht haben, von der Kabine ins Freie. Rettungsübung! Doch auf Deck 8 ist niemand anzutreffen, das war offenbar ein Fehlalarm!
Begegnung mit Putins Seelenverkäufer
Am andern Morgen passiert die Lady maritime Plantagen gewaltiger Windräder, backbord verrät ein grauer Landstreifen die Küste von Bornholm.
Und plötzlich erscheint steuerbord ein Stück aktueller Weltgeschichte: ein rostiger Öldampfer aus Putins Schattenflotte. Die Seelenverkäufer sorgen in der Ostsee für Ärger, weil sie das Embargo gegen Russland unterlaufen und ein Risiko für die Umwelt sind.
Die Ambiance an Bord wirkt so entspannt wie bei einem Seetag auf einem kleinen Kreuzfahrtschiff – mit dem Unterschied, dass hier das Angebot an Entertainment sehr überschaubar bleibt. Im Star Café spielt man Karten, im Fitnessclub arbeiten sich Bewegungsfreaks an Laufband, Hometrainer und Hanteln ab.
Im Spielzimmer ordnen Kinder den Inhalt der Ballgrube nach Farben, Teenager vergnügen sich an Spielkonsolen. Und ein einsamer Passagier hängt den ganzen Tag am blinkenden Automaten und wartet auf den grossen Geldsegen.

Solothurner und Thurgauer Dialekt sorgen für Heimatgefühle auf dem Meer zwischen Schweden und dem Baltikum. Schweizerinnen und Schweizer sind zu erkennen an den Freitagtaschen, der hochwertigen Outdoor-Kleidung und der Art, wie sie mit dem Feldstecher an der Reling den Horizont über dem Graublau des Wassers scannen.
«Der Weg ist das Ziel. Auf dieser Fähre wird die Reise zum Erlebnis», sagt Rebecca Giger. Die 33-Jährige ist Eigentümerin und Chefin des Cruise & Ferry Center in Muri AG. Giger und ihr Team vermitteln eine Fülle von Fähren in Nord- und Südeuropa an Reisebüros und Endkonsumenten. Kaum eine Überfahrt dauert länger als die 32-stündige Passage zwischen Schleswig-Holstein und Helsinki Vuosari und nirgendwo kann man sich besser auf die Ferien – oder bei der Rückreise auf den Alltag zu Hause – einstimmen.

Giger berichtet, dass die Fährenbuchungen in der Schweiz nach Corona stark gestiegen seien. «Das lag an der Popularität der Motorhomes und dem vermehrten Drang zum individuellen Reisen in Europa», glaubt sie. Für 2025 rechnet die junge Unternehmerin mit einem leichten Rückgang.
Gleichwohl wird es vor allem in den Sommermonaten gerade auf der Finnland-Strecke zu Kapazitätsengpässen kommen. «Wer eine Familienkabine benötigt oder den Hund in die Kabine mitnehmen will, sollte bis März gebucht haben», rät Rebecca Giger. Für Flexible, die nicht auf die Schulferien angewiesen sind, reichten zwei Monate Vorlauf.
Die Konkurrenz des Flugzeuges ist gross auf der langen Finnland-Strecke. Deshalb findet sich die von der Finnlady und zwei Schwesterschiffen befahrene Strecke nicht in den Top Five der nördlichen Routen des Cruise & Ferry Center. Hier performen etwa Kiel-Oslo, Kiel-Göteborg oder Rostock-Trelleborg.
Versöhnung mit der finnischen Küche
Während die Finnlady-Reise in der Hochsaison durchaus ins Geld geht, bleibt das Essen an Bord erschwinglich. Rebecca Giger empfiehlt, im Voraus das Paket für drei Mahlzeiten zu buchen, das sogar den Tischwein (aus dem Automaten) enthält.
Die Erinnerung an die eher eintönige und fischlastige finnische Küche früherer Tage verblasst angesichts des schön angerichteten und grosszügigen abendlichen Buffets – die Auswahl reicht von Pilzsuppe, Salaten über Braten oder den nordischen Fleischkügelchen bis zu Kuchen und Himbeerglacé. Eine Ecke gehört ganz indischen Leckereien.

Wenn wir uns schon Erinnerungen hingeben: Die Reise mit der Finnjet in den späten 80er-Jahren, die damals als schnellstes Fährschiff der Welt galt, wurde von Veranstaltern im Winter als Abenteuer auf dem Eisbrecher angepriesen. Und tatsächlich, im Finnischen Meerbusen drang die Finnjet in eine geschlossene Eisdecke ein, das Krachen des Eises wurde zur Begleitmusik bis zum Fährhafen Helsinkis, der damals noch in der Stadtmitte vor dem Marktplatz lag.
Die Klimaerwärmung hat auch diesem Erlebnis ein Ende bereitet. Unsere Sommer-Reise endet in einem Industriegebiet im Osten der finnischen Hauptstadt, und kaum hat die Finnlady die Motoren gedrosselt, ergiesst sich ein langer Strom von Fahrzeugen verschiedenster Art aus dem Schlund der Fähre.
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