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Winterspiele in der Schweiz
Warum Experten das Olympia-Projekt kritisieren

31st January 1948:  The opening ceremony of the 1948 Winter Olympics at the Ice Stadium in St Moritz, Switzerland, opened by Swiss president Enrico Celio.  (Photo by Chris Ware/Keystone/Getty Images)
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In gut sechs Jahren Olympische Winterspiele in der Schweiz? Das Schweizer Sportparlament stimmt heute Freitag darüber ab, ob Swiss Olympic mit dem IOK in die nächste Phase des Dialogs treten soll. Bereits nächste Woche entscheidet dieses dann, mit welchen Interessenten es weiter verhandelt, zu ihnen gehören Frankreich, Schweden und Salt Lake City. Im Juli 2024 kommt es wohl zur Doppelvergabe der Spiele 2030 und 2034, wobei Salt Lake City favorisiert ist für 2034.

Bei der Präsentation einer Machbarkeitsstudie vor einem Monat hielt Präsident Jürg Stahl klar fest, dass Swiss Olympic die Spiele von 2030 priorisiere. Die Vision ist ein dezentraler Megaevent, verteilt auf 14 Orte, berücksichtigt würden alle Landesteile. Damit wäre erstmals ein ganzes Land Austragungsort oder eben «Host Country».

Ziel ist es, kostenneutrale Spiele zu organisieren, bei denen nur bestehende Stadien genutzt werden. Einige müssten allerdings noch olympiatauglich gemacht werden. Und wo keine Anlage vorhanden ist, wie im Eisschnelllaufen, kann ins Ausland ausgewichen werden. Die Initianten kalkulieren mit einem privat finanzierten Organisationsbudget von 1,5 Milliarden Franken. Die drängendsten Fragen und Antworten vor der Abstimmung.

Reichen 1,5 Milliarden Franken wirklich, um die Spiele zu organisieren?

Martin Müller, Professor am Institut für Geografie und Nachhaltigkeit der Universität Lausanne, urteilt: «Das Budget ist sehr tief kalkuliert.» Müller, Autor von Studien zu Olympiafragen, verweist als Vergleich auf die jeweiligen Organisationsbudgets von Sotschi 2014 und Pyeongchang 2018 von je 2,1 Milliarden Franken.

Er sagt auch: «Warum die Kosten gerade im Hochlohnland Schweiz tiefer sein sollen, erschliesst sich mir nach der Lektüre der Machbarkeitsstudie nicht.» Er sagt aber auch: Die Ausrichter von 2026, Mailand / Cortina d’Ampezzo, kalkulierten mit 1,5 Milliarden Euro in sehr ähnlichen Dimensionen wie die Schweizer – diese haben in ihren 1,5 Milliarden gar 200 Millionen Reserven einberechnet.

Wie hoch ist das Infrastrukturbudget?

Die Vergangenheit zeigt: Veranstalter um Veranstalter überzog das Budget zum Teil um Milliarden. Die Steuerzahlenden mussten die Defizite zum grössten Teil übernehmen. Nur betrafen die Überschreitungen so gut wie nie das Organisationsbudget, sondern das Infrastrukturbudget. Weil die Schweizer Kandidatur aber auf gebaute Anlagen und vorhandene Verkehrswege setzt, also die bestehende Infrastruktur, ist das Investitionsrisiko mit massiver Budgetüberschreitung gering.

Allerdings vermögen die Organisatoren bislang nicht abzuschätzen, wie viel Geld allenfalls noch in Infrastrukturprojekte fliessen könnte. Sie schreiben in ihrer Machbarkeitsstudie zum Thema Finanzprüfung bloss summarisch: Es brauche die Unterstützung der öffentlichen Hand bei allfälligen «Optimierungen respektive Innovationen bei bestehenden Infrastrukturen».

Wer ist für die Sicherheit verantwortlich – und wer kommt dafür auf?

Weil die Spiele in neun Kantonen stattfinden würden, wären diese mit ihren Polizeikorps in der Verantwortung. Die Initianten gehen davon aus, dass die Sicherheit im Rahmen der ordentlichen Budgets und mit den vorhandenen Korps gewährleistet werden könne – ausgenommen davon seien Eröffnungs- und Schlussfeier.

Konkreter werden sie in der Machbarkeitsstudie aber nicht, sie schreiben bloss: «Die Sicherheitskosten und der Kostenteiler im Bereich der öffentlichen Sicherheit sind zu analysieren, und der Teiler ist von Bund und Kantonen zu vereinbaren.» Zumindest eine Grössenordnung lieferten die Sittener mit ihrer vom Volk abgelehnten Kandidatur 2026. Sie hatten mit Sicherheitskosten ausserhalb der Stadien von 400 Millionen gerechnet.

Jörg Schild, lange Sicherheitsdirektor im Kanton Basel-Stadt und Präsident der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren, sagt zu fehlenden aktuellen Zahlen: «Man sollte lieber heute als morgen offenlegen, was der Steuerzahler aufbringen muss.» Denn wegen des derzeitigen Personalnotstands ist der frühere Swiss-Olympic-Präsident skeptisch, ob nur schon die notwendige Zahl an Polizisten und Polizistinnen für das Projekt vorhanden wäre.

Ein Eishockeyspiel bei den Olympischen Winterspielen im Februar 1948 in St. Moritz. (KEYSTONE/Willi Furrer)

Er glaubt darum: «Ohne Militär wird nichts gehen», und fragt: «Wäre gar Hilfe aus dem Ausland nötig?» Auch Olympiaexperte Müller urteilt: «Die Polizeikorps in den Kantonen werden vermutlich nicht ausreichen.» Weshalb er sagt: «Es werden private Sicherheitsunternehmen engagiert werden müssen» – was die Initianten bestätigen.

Das Projekt soll ohne Volksabstimmungen umgesetzt werden. Ist das clever?

Roger Schnegg, Direktor von Swiss Olympic, sagt: «Es war nicht das Ziel, ein Konzept vorzulegen, das ohne Volksabstimmung auskommt. Ziel war, die Infrastruktur all der Welt- und Europameisterschaften, die in den nächsten fünf Jahren in der Schweiz stattfinden, zu nutzen. Dabei stellten wir fest, dass es aufgrund des sehr dezentralen Konzepts und aus heutiger Sicht wahrscheinlich nirgends ein Referendum geben wird.»

Und Swiss-Olympic-Präsident Stahl sagt: «Man kann das so interpretieren, dass die Bevölkerung nichts dazu zu sagen hat. Dann werden wir aber falsch verstanden. Klar ist: Wir können nur Spiele durchführen, wenn die ganze Schweiz profitiert.»

Tourismus-Professor Jürg Stettler beurteilt die Vorgehensweise trotzdem kritisch: «Die Schweiz prägt eine basisdemokratische Kultur. Will man also die Bevölkerung für solche Spiele im Land begeistern, sollte man sie besser nicht aussen vor lassen. Da reicht das Argument der Initianten nicht, man sei politisch nicht genötigt, eine entsprechende Abstimmung durchzuführen.» 

Er kritisiert gar, indem er sagt: «Ich würde transparenter adressieren, wo was noch unklar ist. Die Initianten wählten eher den PR-Ansatz, im Sinn von: ‹Wir können das – und es kostet die Bürger nichts.› Das klingt erst einmal gut, doch rasch stellen sich Fragen. Und das schadet meist der Glaubwürdigkeit. Nehmen wir die Anlagen: Was muss jetzt wirklich noch wie aus- oder umgebaut werden, und was steht vollumfänglich? Sind die Hotelkapazitäten wirklich ausreichend – oder kommt es zu einem Verdrängungseffekt in Bezug auf den Wintertourismus?»

Er sagt auch: «Ich hätte mir jetzt schon Antworten und Zahlen gewünscht oder sonst klare Aussagen, dass es noch viele offene Punkte gibt, die man noch genauer prüfen müsse. Man hat es kommunikativ verpasst, eine entsprechende Vertrauensgrundlage zu schaffen. So lässt sich die Schweizer Bevölkerung kaum vom Projekt begeistern.»

Jörg Schild findet darum: Die Steuerzahler wollten wissen, woran sie sind. «Wenn nur schon der Eindruck entsteht, man verhalte sich taktisch, kommt das schlecht an. Denn woran sind die letzten Schweizer Olympiaprojekte mitunter gescheitert? Am Stimmvolk.»

Sind Einsprachen und Referenden zu erwarten?

Das weiss man nicht. Weil aber so viele Städte und Gemeinden ins Projekt eingebunden sind, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für Einsprachen und Finanzreferenden. Da der Zeitrahmen bis zur Austragung eng ist, müssten Teile des Events wegen Volksabstimmungen neu geplant werden. Ein Problem sieht man bei Swiss Olympic darin nicht.

Direktor Schnegg sagt: «Auszuschliessen ist es nie in der Schweiz, dass es eine Abstimmung braucht. Das ist auch gut so, das ist unsere Demokratie.» Die Botschaft sei auch, dass man in einem solchen Fall auf einen anderen Ort ausweichen würde. Nur: Im Bob, Skispringen und Biathlon existieren in der Schweiz gar keine Alternativen.

Die Initianten propagieren nachhaltige Spiele – was ist davon zu halten?

Die Macher schreiben: «Die Schweiz hat die Ambitionen, die Olympischen und Paralympischen Winterspiele als Plattform zu nutzen, um in der ganzen Schweiz langfristige, nachhaltige und positive Auswirkungen auf Gesellschaft, Umwelt, Wirtschaft und Sport zu erzielen.»

Tourismusexperte Stettler hält diese Aussage für sehr zweifelhaft. «Olympische Spiele haben nur dann eine langfristige Wirkung, wenn sie mehr bieten als nur die Nutzung bestehender Anlagen. Denn am ehesten entsteht eine Wirkung, wenn man neue baut – oder bestehende substanziell erweitert. Bei diesem Projekt aber wird ja gerade und sinnvollerweise auf vorhandene Anlagen gesetzt. Es ginge auch aus zeitlichen Gründen nicht anders. Damit fällt jedoch der infrastrukturelle Vermächtniseffekt so gut wie weg.»

Swiss Alpine skier Marco Odermatt poses with his gold medal for the men's giant slalom at the Beijing Winter Olympics on Feb. 13, 2022, in the Yanqing competition zone. (Kyodo via AP Images) ==Kyodo

Und er sagt auch: «Die Wirkung von Spielen in Bezug auf softe Faktoren wird überschätzt. Ohnehin fehlt bis 2030 schlicht die Zeit, in ein solches Vermächtnis zu investieren. Also wird man den eigenen Ansprüchen kaum gerecht werden können. So löblich sie ja sind, so unrealistisch sind sie.»

Wie gut sind die Chancen der Schweiz?

«Das IOK hält das Projekt wohl maximal für ‹in Ordnung›», sagt Stettler. «Denn die Innenwirkung ist das eine eines solchen Projekts, die Aussenwirkung das andere. Und es ist nun einmal das IOK, das entscheidet. Stelle ich mir jetzt bei diesem dezentralen Ansatz vor, dass die Funktionäre und Sponsoren quer durchs Land reisen müssen, um nur schon ein paar Disziplinen pro Tag zu sehen, finden sie das kaum attraktiv. Bietet ein Konkurrent räumlich kompaktere und überzeugende Spiele, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass er sich gegenüber den Schweizern durchsetzen wird. Und danach sieht es aus.»

Was passiert, wenn die Schweiz den Zuschlag nicht erhält?

Dann wird sie sich um die European Championships 2030 bemühen. Das ist der Zusammenschluss verschiedener EM der Sommersportarten. Dass Swiss Olympic zuerst auf einen solchen Anlass setzte und plötzlich umschwenkte, hat bei den Sommersportverbänden allerdings keine Begeisterung ausgelöst.