In Israel gibt es keine ZivileheOlympiasieger ohne Ring
Israels Gold-Turner Artem Dolgopyat darf in seinem Heimatland nicht heiraten, weil er nicht als Jude gilt.
Israel feiert einen neuen Helden: Artem Dolgopyat, 24 Jahre alt und Goldmedaillengewinner im Bodenturnen bei den Olympischen Spielen in Tokio. In der gesamten Sportgeschichte des Landes ist dies erst die zweite olympische Goldmedaille überhaupt. Premierminister Naphtali Bennett unterbrach eigens eine Kabinettssitzung, um den Sieger anzurufen, im Hintergrund applaudierte die gesamte Ministerriege.
Präsident Isaac Herzog hat ihm am Telefon versichert: «Artem, du hast Geschichte geschrieben.» Doch mitten hinein in die Lobeshymnen hat die Mutter des Goldjungen in einem Radiointerview die Stimmung verdorben. Als sie nach möglichen Enkelkindern gefragt wurde, sagte sie: «Der Staat lässt ihn ja nicht heiraten.» Damit hat sie eine komplizierte Debatte erneut entfacht, bei der es um Identität geht, um das Verhältnis von Staat und Religion und um die Frage, warum es in Israel keine Zivilehe gibt.
Israels neuer Lieblingssportler war 2009 im Alter von zwölf Jahren mit seinen Eltern aus der Ukraine eingewandert. In Tel Aviv hat er im örtlichen Maccabi-Turnclub trainiert, und an seinem blau-weissen Patriotismus hat er in Tokio keinen Zweifel gelassen: In eine israelische Flagge gehüllt bekundete er in Interviews seinen Stolz, den jüdischen Staat zu repräsentieren.
Er bräuchte eine jüdische Mutter
Dabei allerdings ist nun das Problem in den Blick geraten, dass er selbst gar nicht als Jude gilt: Gemäss der Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz, bräuchte er dafür eine jüdische Mutter. Doch jüdisch ist in der Familie Dolgopyat nur der Vater.
Zigtausende solcher Fälle gibt es in Israel, viele davon betreffen Einwandererfamilien aus der frühen Sowjetunion. Im Alltag mag das keine grosse Rolle spielen, auch beim Militärdienst gibt es keine Unterschiede. Schwierig wird es aber beim Heiraten: Denn die Eheschliessung ist in Israel ausschliesslich eine religiöse Angelegenheit. Zuständig ist damit nicht der Staat, sondern das Oberrabbinat – und vor dem Rabbi darf nur heiraten, wer nachweislich jüdisch ist.
Artem Dolgopyat und seiner aus Weissrussland stammenden Verlobten Maria Mascha Sakovichas ist dieser Weg zum Eheglück also verschlossen. Sie können nur im Ausland heiraten und die Ehe dann in Israel anerkennen lassen – so wie das seit Jahren zahlreiche säkulare Israelis tun.
Kein Wunder, gibt es die Forderung nach Einführung einer Zivilehe. Sie kommt schon seit Jahrzehnten vor allem aus dem linken und säkularen Lager. Bisher haben das auf politischer Ebene stets die religiösen Parteien verhindert. Nun aber sind sie in der neuen Regierung von Naphtali Bennett nicht mehr vertreten, und die alte Debatte nimmt neue Fahrt auf.
«Es ist nicht zu tolerieren, dass jemand für uns bei den Olympischen Spielen antritt und eine Goldmedaille gewinnt, aber nicht in Israel heiraten kann», sagte Aussenminister Yair Lapid von der liberalen Zukunftspartei, der stärksten Kraft in der Koalition. Und Transportministerin Merav Michaeli von der linken Arbeitspartei pflichtete ihm bei und erklärte: «Es ist an der Zeit, das Monopol auf Hochzeiten zu brechen.» Beide Minister haben versprochen, Goldmedaillengewinner Dolgopyat nun auch zum heimischen Hochzeitsglück zu verhelfen.
«Ich halte es nicht für angemessen, im ganzen Land über mein Privatleben zu sprechen.»
Dolgopyat hingegen ist diese Aufmerksamkeit unangenehm. Er spricht lieber über den Sport, und wenn es um Ringe geht, dann über die olympischen. Sein nächstes Ziel seien die Olympischen Spiele in Paris 2024. «Ich halte es nicht für angemessen, im ganzen Land über mein Privatleben zu sprechen. Das behalte ich lieber in meinem Herzen», sagte er.
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