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Doppel-Gold für Remco Evenepoel
Für dieses Spektakel übernachten die Fans gar im Bushäuschen

Remco Evenepoel, of Belgium, celebrates winning the men's road cycling event, at the 2024 Summer Olympics, Saturday, Aug. 3, 2024, in Paris, France. (AP Photo/Dar Yasin)
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Auf einmal kommt Hektik auf. Remco Evenepoel stellt sein Rad an den Strassenrand und winkt aufgeregt seinen Betreuern zu. 3,8 km ist der Leader nur noch vor dem Ziel beim Trocadéro entfernt, ausgerechnet jetzt beklagt er einen Defekt. Werden die Karten nun neu gemischt?

Nicht im Geringsten! Evenepoel fährt an diesem Tag schlicht in einer eigenen Liga. Die letzten 13 km absolviert er solo, nachdem er sich seines letzten Mitstreiters Valentin Madouas entledigte, respektive dieser die Pace des Belgiers nicht mehr mitgehen konnte. So wird die Fahrt unter dem Eiffelturm hindurch für den Belgier zum Triumphzug – und nebenbei vereitelt er eine weitere Party der Gastgeber, verdrängt er doch die Franzosen Madouas (+1.11) und Christophe Laporte (+1.16) auf die weiteren Ehrenplätze.

Vor allem aber trägt sich der 24-Jährige in die Geschichtsbücher ein, weil er eine Woche nach dem Zeitfahren auch im Strassenrennen triumphiert, was noch keinem Athleten gelungen ist. Bedenkt man, dass Evenepoel erst 2017 zum Radsport fand, ist das eine ausserordentliche Geschichte. Er war zuvor ein äusserst talentierter Fussballer gewesen und spielte als linker Aussenverteidiger gar in Belgiens Nachwuchsauswahlen. Nach einer schweren Hüftverletzung trainierte er dann öfter auf dem Velo und merkte, dass sein Körper besser für den Radsport geeignet ist. Wie recht er damit haben sollte.

Küng wirft alles in die Waagschale

Ein Olympisches Diplom würde er nicht mehr an die Wand hängen, sagte Stefan Küng im Vorfeld der Spiele. In Tokio hatte er Bronze im Zeitfahren nur um vier Zehntel verpasst. Jetzt tritt er die Heimreise doch mit zwei weiteren Diplomen an. Nach Platz 8 vor Wochenfrist wird der Ostschweizer im Strassenrennen Siebter. Er sprintet in der Verfolgergruppe um Laporte, bleibt weniger als eine Sekunde hinter dem Bronzeplatz. Und doch will Küng nichts von einer Enttäuschung wissen. Vielmehr sagt er: «Nach diesem Rennen bin ich stolz. Ich kann mir keinen Vorwurf machen, es ist einfach nicht mehr drin gelegen.» Seine Vorbereitung auf Olympia hätte kaum schlechter verlaufen können. Während einer Woche kämpfte Küng mit einem Magen-Darm-Infekt, so auch während des Zeitfahrens. Noch am Mittwoch musste er ein Training abbrechen, weil die Energiereserven dafür nicht ausreichten.

Die Schweizer sind in diesem Strassenrennen, das lediglich aus 90 Teilnehmern besteht, nur zu zweit vertreten. Das ist gewiss kein Vorteil. Zudem kommt Marc Hirschi nicht wie gewünscht auf Touren, er muss mit Platz 16 vorliebnehmen und sagt: «Ich bin ein wenig enttäuscht, es wäre mehr drin gelegen.» Der Berner wurde kurzfristig für den am Rücken verletzten Stefan Bissegger aufgeboten. Weil er eben erst die Tschechien-Rundfahrt gewonnen hatte, durfte man ihm zumindest Aussenseiterchancen zugestehen. Aber bei den Aufstiegen auf Kopfsteinpflaster habe er sich nicht wohlgefühlt, hält Hirschi fest.

Eine Kulisse wie aus dem Bilderbuch

Das 293 km lange Rennen in und um Paris ist atmosphärisch ein Höhepunkt der bisherigen Spiele. Hunderttausende Fans sind an die Strecke gekommen, längst nicht nur, vor allem aber auf den drei Schlussrunden in Paris. Der Parcours führt an zahlreichen Sehenswürdigkeiten vorbei, an Louvre und Moulin Rouge und über den Hügel von Montmartre – mit Passagen vor der Basilika Sacré-Coeur mit herrlichem Blick über die Weltstadt.

Seit den frühen Morgenstunden warten die Fans in den engen Gassen auf dem Montmartre. Eine Anwohnerin berichtet, sie habe gar Leute in einem Bushäuschen übernachten sehen. Der beliebteste Abschnitt ist am Ende der Rue Lepic, ganz oben, hier sind die Strassen gepflastert und besonders eng. Und je näher das Fahrerfeld kommt, desto dichter drängen sich die Zuschauerinnen und Zuschauer. Jeder Sims wird als Trittbrett genutzt, jeder Balkon und jeder Fenstervorsprung. Die breite Treppe vor Sacré-Coeur ist eine einzige farbige Fankurve.

Derek Gee, of Canada, right, leads Magnus Sheffield, of the United States, as they ride past the Sacre Coeur basilica, during the men's road cycling event, at the 2024 Summer Olympics, Saturday, Aug. 3, 2024, in Paris, France. (AP Photo/Vadim Ghirda)

Es hat vor allem Belgier und Niederländerinnen, Dänen und Deutsche, etwas verwunderte Touristen und da und dort auch eine Schweizer Flagge. Und vor allem natürlich sehr viele französische Fans. «Allez les Bleus» singen sie und immer wieder die «Marseillaise». Und belustigt: «Wir hören nichts von unseren belgischen Freunden.»

Doch wer zuletzt lacht: Als Evenepoel 13 km auch seinen letzten Begleiter stehen lässt, ausgerechnet den Franzosen Madouas, da jubelt entlang der Strecke vor allem ein Lager: das der belgischen Fans. Und hört nicht mehr auf. Als der neue Olympiasieger den Zielstrich überquert, ist die euphorisierte belgische Fangruppe im Pub ganz in der Nähe nicht mehr zu halten: «Remco! Remco! Remco!»