Basler AppellationsgerichtJetzt reagiert das Gericht auf die Kritik am Vergewaltigungsurteil
Die Berichterstattung zum Urteil «Vergewaltigungsfall Elsässerstrasse» hat viele Reaktionen hervorgerufen. Nun äussert sich erstmals das Gericht dazu.
Selten fühlt sich ein Gericht oder ein Richter, respektive eine Richterin, genötigt, ein Urteil öffentlich einzuordnen. Bekannte Fälle waren etwa des Baselbieter Strafrichters Enrico Rosa oder Richter René Ernst am Strafgericht Basel-Stadt. Am Donnerstagmorgen tat das Appellationsgericht genau das. Es verschickte eine zweiseitige Medienmitteilung und legte seine Sicht dar.
Der Hintergrund: Das Urteil und die Urteilsbegründung im Fall eines 33-Jährigen Portugiesen, der zusammen mit einem Kollegen im Februar 2020 eine Bekannte vergewaltigt hat. Das Appellationsgericht fühlte sich wohl nicht zuletzt zu diesem Schritt veranlasst, weil die Richterin, die dieses Urteil kundtat, gerade in Sozialen Medien heftig kritisiert wurde. Das Appellationsgericht hält hier entgegen, dass «das Urteil von einem Dreiergericht und nicht von der dem Spruchkörper vorsitzenden Appellationsgerichtspräsidentin allein gefällt» wurde.
Grosse Empörung gab es auch wegen der Strafmassreduktion. Doch die Fakten dazu sind weniger aufregend: Es kam zu einer Reduktion von vier Jahren und drei Monaten auf drei Jahre, wobei die Hälfte teilbedingt ausgesprochen wurde. Diese Herabsetzung des Strafmasses hat aber nichts mit der Gesinnung der Richterin oder des Gerichts zu tun, sondern mit dem von Rechtsprechung und Gesetz vorgegebenen Rahmen.
Bei der Festlegung der Strafe muss das Gericht verschiedene Faktoren miteinbeziehen. Zunächst wäre da mal der Strafrahmen, den das Gesetz für jeden Straftatbestand vorsieht. «Innerhalb dieses Strafrahmens ist die Strafe nach dem konkreten Verschulden des Täters festzusetzen», erklärt das basel-städtische Appellationsgericht in seiner Mitteilung.
Dabei müssen die Richterinnen und Richter mehrere Dinge berücksichtigen: Etwa die Schwere der bei einer Tat zugefügten Verletzung, die Verwerflichkeit des Handelns, die Beweggründe und Ziele des Täters. Bewertet wird aber auch, wie weit der Täter in der Lage war, eine Verletzung zu vermeiden. «Ferner sind das Vorleben des Täters, dessen persönliche Verhältnisse und die Auswirkungen der Strafe auf sein Leben zu berücksichtigen», so das Appellationsgericht. Mit anderen Worten: Die konkreten Tatumstände müssen für Festlegung der Strafhöhe angeschaut werden.
«Opfer nicht disqualifiziert»
Das Appellationsgericht geht auch am Rande auf den Vorwurf der Öffentlichkeit ein, es hätte der vergewaltigten Frau eine Mitschuld an der Tat gegeben, weil das Opfer alkoholisiert gewesen sei und «falsche Signale» an Männer ausgesendet habe. Sie habe «mit dem Feuer gespielt», sagte die Richterin an der Urteilsverkündigung. «Wenn geprüft wird, wie der Beschuldigte die Situation interpretiert hat, geht es lediglich darum, das Verschulden des Täters zu bemessen und nicht darum, das Opfer zu disqualifizieren», schreibt das Gericht.
Etwas wurde bei der teilweise hitzigen Debatte vernachlässigt: Das Appellationsgericht ist nicht frei und kann machen, was es für richtig hält – es muss sich an «vergleichbare bereits entschiedene Fällen» orientieren, schreibt das Gericht. «Die Strafe muss deshalb nach den Grundsätzen der Rechtsgleichheit ausgesprochen werden. Vergleichbares Verschulden soll vergleichbar geahndet werden.»
Wichtig ist dem Gericht festzuhalten, dass der Täter nicht früher aus dem Gefängnis entlassen wird, sondern jener Teil der Strafe, der unbedingt ausgesprochen werden kann, «dem gesetzlich möglichen Maximum» entspricht. «Dass der Beschuldigte in wenigen Tagen aus der Haft entlassen wird, hat seinen Grund darin, dass er sich seit fast 18 Monaten in Untersuchungs-/Sicherheitshaft befindet, welche gesetzlich zwingend an die unbedingte Freiheitsstrafe anzurechnen ist», so das Appellationsgericht.
Ebenfalls untergegangen in der öffentlichen Debatte sei, dass das Appellationsgericht die vom erstinstanzlichen Strafgericht ausgesprochenen Strafe wegen Vergewaltigung, versuchter Vergewaltigung und sexueller Nötigung bestätigte. Es handelt sich also um keinen Freispruch.
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