Es gibt noch die Erinnerung an diese Momente im September 2018, als eine Zeit des Friedens zwischen Nord- und Südkorea scheinbar begann. Präsident Moon Jae-in war aus Seoul nach Pyongyang gekommen. Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un umarmte ihn zur Begrüssung. Sie redeten. Sie einigten sich. Und am Gipfel des Berges Paektu liessen sie sich ablichten wie zwei Champions der Freundschaft, strahlend, die Hände ineinandergelegt und jubelnd erhoben. Damals unterzeichneten sie die sogenannte Umfassende Militärvereinbarung (CMA), in der beide Länder erklärten, «alle feindlichen Handlungen gegeneinander vollständig einzustellen».

Aber so wie es aussieht, ist diese Erklärung jetzt endgültig gestrichen. Am Montag tagte Südkoreas Nationaler Sicherheitsrat und beschloss, der Regierung zu empfehlen, die Militärvereinbarung zu beenden. Der Sicherheitsrat reagiert damit auf die knapp 1000 Ballons, mit denen das Regime von Kim Jong-un zuletzt Säcke voller Abfall über die Grenze nach Südkorea wehen liess.

Das Kabinett diskutierte am Dienstag über den Vorschlag, wie das Büro des konservativen Präsidenten und Moon-Nachfolgers Yoon Suk-yeol am Montag berichtete. Die Regierung billigte die Aussetzung des Militärabkommens.

Das CMA-Ende werde es möglich machen, «sofortige Massnahmen gegen Nordkoreas Provokationen zu ergreifen, um Leben und Sicherheit unserer Bürger zu schützen», teilte das Präsidentenbüro mit.

Zigarettenstummel, Altpapier, Textilien

Die Militärvereinbarung zwischen den beiden Korea war im Grunde schon vorher nichts mehr wert. Yoon Suk-yeol ist ein Hardliner, der von Moons Sonnenscheinpolitik nie viel gehalten hat. Die Vereinbarung setzte seine Regierung in Teilen schon aus, nachdem Nordkorea im November 2023 einen Geheimdienstsatelliten im All platziert hatte. Kurz darauf erklärte Nordkorea, man werde sich nicht mehr von der Vereinbarung einschränken lassen. Die Attacke mit den Abfallballons liefert Yoons Regierung den Anlass, sie auch von südkoreanischer Seite vollständig zu annullieren.

Die Ballonattacke wiederum war so etwas wie eine Eskalation im Konflikt der beiden Korea. Dem Generalstab der südkoreanischen Streitkräfte (JCS) zufolge schwebten ab 13 Uhr am Sonntag etwa 720 grosse Ballons über die Grenze. Sie trugen Abfallsäcke mit Zigarettenstummeln, Altpapier, Textilien und anderem Abfall. Das war ein neuer Rekord, nachdem schon die Aktion Mitte der Woche mit an die 260 Abfallballons ähnliche Schikanen aus der Zeit vor 2018 übertroffen hatte.

Besser als ein Raketenkrieg

Dem Nachbarn Abfall in den Garten zu kippen, ist eine klassische Vergeltungstaktik – und in der Tat war Vergeltung der offizielle Grund für den nordkoreanischen Abfallsturm. Von Südkorea aus senden private Aktivisten immer wieder Ballons mit regimekritischen Flugblättern und Produkten aus dem kapitalistischen Süden nach Nordkorea. Solche Fracht unterwandert die staatliche Propaganda, deshalb fühlt sich Kim Jong-un davon bedroht.

Dass ein freier Staat solche Aktionen nicht wirklich verbieten kann, lässt er als autoritärer Herrscher nicht gelten. Kim liess sich von Moon deshalb bei den Verhandlungen 2018 zusichern, dass Südkorea Aktivistenballons verbietet. Prompt brachte Moon ein Gesetz durch, das genau das tat. Aber das Verfassungsgericht sah dadurch die Meinungsfreiheit eingeschränkt und machte es im vergangenen Jahr rückgängig.

Und nun erlebt die koreanische Halbinsel also einen Ballonkrieg, wie es ihn noch nie gab. Das ist besser als ein Raketenkrieg, zumal der JCS bestätigte, dass die Abfallsäcke keine gefährlichen Substanzen enthielten. Trotzdem warnte Südkoreas Regierung am Freitag: «Wenn Nordkorea nicht aufhört, werden wir all die Massnahmen ergreifen, die Nordkorea nicht ertragen kann.»

Südkorea will Lautsprecher reaktivieren

Aber Nordkorea hörte nicht auf. Also erklärte Chang Ho-jin vom Sicherheitsrat am Sonntagabend, dass besagte Massnahmen vorbereitet würden. Das Militärabkommen von 2018 zu beenden, war dafür der notwendige Schritt. Was genau die unerträglichen Massnahmen sind? Das blieb zunächst unklar. Südkoreanische Medien berichteten, dass die Regierung überlege, die riesigen Lautsprecher zu reaktivieren, über die Südkorea das Grenzland bis 2018 sehr zum Verdruss der Nordkoreaner immer wieder mit K-Pop-Musik und Nachrichten beschallt hatte.

Am Montagabend sah es so aus, als könnte die Ballonkrise auch ohne Zwangs-K-Pop enden. Eine Aktivistengruppe erklärte, sie werde ihre Ballons nicht steigen lassen, wenn Kim Jong-un sich für seinen Abfallangriff entschuldige. Nordkoreas staatliche Nachrichtenagentur KCNA wiederum meldete, Pyongyang habe die vorbereitete Abfallaktion mit insgesamt 15 Tonnen Abfall vorübergehend ausgesetzt. Nach echtem Frieden klang das nicht. Aber immerhin nach einem Ballon-Stillstand.

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