Prozess zum PolizistenmordNiemand stoppte den brutalen Wilderer
Andreas S. hätte weder eine Waffe besitzen noch jagen dürfen. Als er beim Wildern erwischt wurde, ermordete er laut Anklage kaltblütig eine Polizistin und ihren Kollegen.
Andreas S. fiel schon als junger Mann durch Rücksichtslosigkeit auf. Als 21-Jähriger schoss er 2004 auf Hasenjagd mit einer Schrotflinte, obwohl er sein Ziel nicht richtig sehen konnte – und traf statt eines Hasen einen Jagdkollegen in Brust, Hals und linkes Auge. Vor Gericht, so erzählte es kürzlich die «Zeit», sorgte er sich mehr um seinen Waffen- und Jagdschein als um das Schicksal des Opfers. Abgeben musste er nach vielen Windungen beide, allerdings nicht für lange.
Andreas S. hatte schon als Kind mit seinem Vater auf dem Hochsitz gesessen und galt als exzellenter Schütze. Er habe aus 100 Metern Entfernung das Rot vom Zündholz schiessen können, sagten Jägerkollegen der «Zeit». Die Jagd bedeutete ihm laut einem anderen Bekannten alles: Erst sei das Jagen gekommen, dann lange nichts – dann seine Frau und die vier Kinder. Aus der Passion wurde bei S. mit der Zeit professionelle Wilderei. Vor viereinhalb Monaten wurde er – laut Anklage – zum Doppelmörder.
Als S. merkte, dass die Polizistin noch lebte, schoss er ihr noch einmal mit der Schrotflinte in den Kopf.
Alexander K. und Yasmin B., Oberkommissar und Polizeianwärterin, 29 und 24 Jahre alt, ertappten Andreas S. mitten in der Nacht auf einer pfälzischen Landstrasse dabei, wie dessen Komplize Florian V. ein gewildertes Wildschwein in einen Kastenwagen lud, in dem bereits eine ganze Reihe Damhirsche und Rehe an Haken hing.
Andreas S., der im Auto sass, gab der Polizistin noch seine Ausweispapiere zur Kontrolle, dann schoss er ihr unvermittelt mit einer Schrotflinte ins Gesicht. Darauf feuerte er auf deren Kollegen, der etwas abseits stand und der sich seinerseits mit der Dienstpistole verteidigte – allerdings ohne zu treffen. Schliesslich nahm S. das Jagdgewehr und schoss dreimal auf den Polizisten, zuletzt in den Kopf.
Als S. seine Ausweispapiere bei der Polizistin zurückholen wollte, merkte er, dass sie noch lebte. Er drehte sie vom Bauch auf den Rücken und tötete sie mit einem Kopfschuss aus der Schrotflinte. Als ein Sonderkommando der Polizei ihn 13 Stunden später 60 Kilometer entfernt festnahm, war Andreas S. in weisser Metzgerschürze seelenruhig daran, das gejagte Wild in verkaufsfertige Stücke zu zerteilen.
Welche Rolle spielt seine Frau?
Wenn morgen Dienstag in Kaiserslautern der Prozess um den Doppelmord beginnt, ist der 39-Jährige wegen zweifachen Mordes angeklagt, zudem wegen gewerbsmässiger Wilderei. Als Motiv nennt der Staatsanwalt Habgier. Komplize Florian V. hofft, mit einer geringen Strafe davonzukommen.
Infolge mehrerer Anzeigen wegen Wilderei und zahlreichen weiteren polizeilichen Ermittlungen gegen ihn hatte Andreas S. im Frühling 2020 seinen Jagdschein sowie die Erlaubnis verloren, eine Waffe zu besitzen oder auszuleihen. Die «Zeit» berichtete, S. habe die späteren Tatwaffen danach verkauft – seine Frau sie aber sogleich zurückgekauft und wieder in die gemeinsame Wohnung gebracht. Gegen Sarah S. laufen deswegen mittlerweile ebenfalls Ermittlungen.
Trotz der Verdachtsmomente gegen S. wurde dessen Waffenschrank offenbar nie kontrolliert. Fachleute sprechen von einem «Vollzugsdefizit» der Zulassungsbehörden. Als die Polizei nach dem Doppelmord die Wohnung der Familie S. durchsuchte, stellte sie fünf Kurz- und zehn Langwaffen sicher, dazu eine Armbrust.
Eine Menge Mitwisser und Helfer
Erstaunlich ist auch, dass die gross angelegte Wilderei, von der S. seit Schwierigkeiten mit seiner Bäckerei faktisch lebte, den Behörden nie auffiel. Auch wenn S. das Fleisch über eine eigene Metzgerei vertrieb, gab es doch viele, die ihm dabei halfen und von seinem kriminellen Tun gewusst haben müssen. Im Dorf galt der Bäcker indes nicht als zwielichtig, sondern als Wohltäter, der sich um die Gemeinde kümmerte. Anzeigen wegen Wilderei schaffte S. 2017 aus dem Weg, indem Jagdfreunde ihm ein Alibi verschafften. Als S. und sein Komplize auf der Flucht nach dem Mord mit ihrem Auto liegen blieben, schleppte sie ein befreundeter Jäger mitten in der Nacht ab.
Wegen des Mordprozesses wurde ein anderer Prozess gegen Andreas S. aufgeschoben, in dem es um die mutmasslich betrügerische Insolvenz seines Bäckereibetriebs geht. S. soll oft Löhne nicht bezahlt haben, habe einen Raubüberfall inszeniert und danach einen Schaden von 50’000 Euro geltend gemacht, zudem brannten vier Autos seiner Firma aus. Die Versicherung geht von Betrugsversuchen aus. Laut der «Bild»-Zeitung soll seine frühere Firma Schulden bei 107 Gläubigern in der Höhe von 2,4 Millionen Euro gehabt haben.
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