Umstrittenes SachbuchNiederländischer Verlag entschuldigt sich für Anne-Frank-Buch
Wurde Anne Frank von einem jüdischen Anwalt verraten? Nein, sagen die Kritiker eines neuen Buches, das der Verlag Ambo Anthos jetzt nicht mehr drucken will.
Fünf Jahre lang recherchierte ein Expertenteam den «Cold Case» Anne Frank und wartete mit dem sensationellen Resultat auf, dass 1945 ein jüdischer Anwalt namens Arnold van den Bergh das damals 15-jährige Mädchen an die Nazis verraten habe. «The Betrayal of Anne Frank. A Cold Case Investigation» wurde am 18. Januar 2022 mit grossem Pomp in Amsterdam lanciert. Nun distanziert sich der Amsterdamer Verlag Ambo Anthos von dem Buch und entschuldigt sich für die darin verbreiteten Unwahrheiten.
Zuvor haben Vertreter des Anne-Frank-Fonds in Basel, der das Erbe der Familie Frank verwaltet und die Rechte des Tagebuchs der Anne Frank besitzt, sich in aller Schärfe von dem Buch distanziert. Yves Kugelman, Chefredaktor der jüdischen Zeitschrift «Tachles» und Mitglied des Stiftungsrats des Anne-Frank-Fonds, stellt zentrale «Beweismittel», auf denen die Anne-Frank-Recherche basiert, infrage. So sei der Notizzettel, auf dem eine anonyme Person Van den Bergh des Verrats bezichtigte, eine wenig glaubhafte Quelle. Zudem hätten die Adresslisten, die Van den Bergh anscheinend von jüdischen Bewohnern in Amsterdam besessen habe, gar nie existiert.
Auch der Amsterdamer Historiker und Universitätsprofessor Bart van der Boom, der an einem Buch über den Judenrat arbeitet, sprach von «verleumderischem Unsinn», den das Buch verbreite. Und der niederländische Schriftsteller Leon de Winter argumentierte, das Buch schiebe «die Schuld am grausamen Tod von Anne Frank einem unschuldigen Juden in die Schuhe».
Forscherteam soll nachbessern
Der Ambo-Anthos-Verlag schreibt nun, dass das Expertenteam eine «kritischere Haltung» hätte einnehmen sollen. Der Amsterdamer Verlag hatte die niederländischen Rechte an dem Buch von dem US-Verlag Harper-Collins gekauft, der die Weltrechte besitzt. Ambo Anthos schreibt, dass der weitere Druck des Buches verschoben worden sei. Er warte auf «Antworten des Forschungsteams auf die aufgetretenen Fragen». Die Entschuldigung sei «an jeden gerichtet, der sich durch das Buch verletzt fühlt».
Das Buch wurde von einer interdisziplinären Recherchegruppe um Pieter van Twist, Thijs Bayens und den ehemaligen FBI-Agenten Vincent Pankoke geschrieben. Als Autorin wurde die emeritierte Literaturwissenschaftlerin und Autorin Rosemary Sullivan aus Kanada engagiert, die Bücher wie «Stalin’s Daughter» oder «Villa Air-Bel: World War II, Escape, and a House in Marseille» geschrieben hat.
Harper-Collins Deutschland plant eine Veröffentlichung des Buches in deutscher Sprache am 22. März. Gegenüber der «Welt» sagte Jürgen Welte, der Verleger der Verlagsgruppe Harper-Collins Deutschland: «Nach zwei Fachlektoraten des Manuskripts befinden wir uns gerade in einer internen Überprüfung. Der vergleichsweise späte Erscheinungstermin der deutschsprachigen Ausgabe zeigt, dass wir mit diesem sensiblen Thema äusserst verantwortungsvoll umgehen.»
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