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Morde in Mexiko
Nicht einmal die Polizei kann die Journalisten schützen

Die Drogenkartelle schrecken vor Nichts zurück: Im vergangenen Jahr hat ein Drogenkartell einen Bus in Brand gesetzt, um eine Strasse zu blockieren.
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Als die Mörder kamen, war es kurz nach Mitternacht. Aus einem fahrenden Auto heraus schossen sie mit Schnellfeuergewehren auf die Búfalo Bar, eine kleine Kneipe mitten im Zentrum der mexikanischen Stadt Iguala. 55 Patronenhülsen fand die Spurensicherung später, und die Leiche von Pablo Morrugares, einem lokalen Journalisten.

Immer wieder hatte er über die kriminellen Machenschaften der örtlichen Drogenkartelle berichtet und über Verstrickungen der Politik mit den Narcos, den Drogenkartellen. Seit Jahren erhielt er deswegen Morddrohungen, kurzzeitig musste Morrugares sogar die Stadt verlassen.

Auch Personenschutz hilft nicht

Seit einem Mordanschlag 2016 stand der Journalist dazu auch noch unter Personenschutz, ein Polizist sollte seitdem seine Sicherheit gewährleisten. Doch als die Mörder das Feuer eröffneten, trafen ihre Kugeln auch den Beamten. Er starb neben Pablo Morrugares an jenem 2. August 2020.

Morrugares ist schon der mindestens fünfte Journalist, der in Mexiko dieses Jahr ermordet wurde. Das Land ist zwar Lateinamerikas drittgrösste Demokratie und dazu auch nach Brasilien die zweitwichtigste Volkswirtschaft der Region. Für Journalisten ist Mexiko aber auch eines der gefährlichsten Länder der Welt. Sie werden zusammengeschlagen, mit Messern angegriffen, ihre Autos werden in Brand gesteckt, ihre Hunde vergiftet, ihre Büros beschossen, und am Strassenrand hängen Plakate mit Drohungen gegen sie und ihre Familien.

Nur in Syrien mehr Journalistenmorde

Nur in Kriegsgebieten wie etwa Syrien werden derzeit mehr Medienschaffende wegen oder in Ausübung ihres Berufes ermordet als in Mexiko, sagt die Organisation «Reporter ohne Grenzen». In den vergangenen 20 Jahren waren es rund 150, mehr als manche Zeitung oder Radiostation Mitarbeiter hat. Eine ganze Redaktion: erschossen, erstochen, erschlagen. Mal findet die Polizei ihre Leichen in Kofferräumen, mal taucht ein abgetrennter Kopf auf, manchmal auch nur ein Kleidungsstück. Wer die Täter sind, das ist zumindest offiziell nicht geklärt, geschnappt werden sie nur extrem selten, verurteilt fast nie, und die Hintermänner bleiben fast immer unbehelligt.

Ohnehin wird in Mexiko nur ein minimaler Bruchteil aller Verbrechen aufgeklärt, das Justizsystem ist in vielen Bundesstaaten so gut wie zusammengebrochen. Dazu steht das Land auf dem weltweiten Korruptionsindex der Organisation Transparency International weit abgeschlagen hinter allen anderen wichtigen Volkswirtschaften auf Platz 130.

Menschenhandel, Entführungen, Erpressungen

Drogenkartelle nutzen dieses Vakuum für ihre Geschäfte. Tonnenweise schmuggeln sie Kokain und synthetische Drogen in Richtung Norden und über die Grenze zu den USA. Dazu sind sie noch in den Menschenhandel verstrickt, sie verdienen mit Entführungen und Schutzgelderpressungen. 2006 erklärte der damalige Präsident Felipe Calderón den Banden den Krieg. Mit modernen Waffen und Soldaten wollte er die Kartelle unter Kontrolle bringen, stattdessen aber versinkt das Land immer tiefer in einer Spirale aus Gewalt, rund 300’000 Menschen wurden seitdem ermordet, im ersten Halbjahr 2020 waren es im Schnitt 100 pro Tag. Längst haben die Narcos gut ausgerüstete Privatarmeen, dazu stehen auch Politiker, Polizisten und Richter auf ihren Gehaltslisten.

Die einzig verbliebenen Störfaktoren in diesen rechtsfreien Räumen sind meist die Journalisten. Oft schreiben sie für kleine lokale Zeitungen oder berichten für Radiostationen über die Machenschaften der Politiker und Kartelle, über Veruntreuungen, Missbrauch und Massaker. So arbeitete auch Pablo Morrugares vor allem für eine lokale Website, P. M. Noticias Guerrero. Kurz vor seiner Ermordung hatte er im Internet noch über die Verbindungen eines lokalen Bürgermeisters zu einer Bande berichtet. Vielleicht gab das den Ausschlag für das Attentat.

Zonen des Schweigens

Welche Folgen die Morde für das Land haben, sieht man daran, dass immer mehr dieser kleinen Nachrichtenseiten ihre Arbeit einstellen. Nachdem eine ihrer prominentesten Mitarbeiterinnen ermordet worden war, erklärte 2017 die Zeitung «Norte» aus Ciudad Juárez, dass sie nach fast 30 Jahren ihre Arbeit einstellen werde. Kritische Berichterstattung sei unmöglich geworden, schrieb der Herausgeber in einem Brief an seine Leser. Am Ende wurde «Norte» als Digitalausgabe weitergeführt, auch, um weiter Gerechtigkeit für die ermordete Kollegin zu fordern. Viele Journalisten wollen aber nicht mehr das eigene Leben oder das ihrer Familien riskieren und stellen die Berichterstattung über korrupte Lokalpolitiker und mächtige Banden ein. So entstehen Zonen des Schweigens, in denen die Mächtigen ungestört ihren Geschäften nachgehen können.

Erfolglos im Kampf gegen die Drogenkartelle: Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador.

Die Regierung verurteilt öffentlich die Journalistenmorde. Schon Präsident Enrique Peña Nieto versprach Hilfe, genauso wie sein Nachfolger im Amt, Andrés Manuel López Obrador. Es gibt ein Schutzprogramm für bedrohte Medienschaffende, wie wenig es aber auszurichten vermag gegen die Mörder, das zeigt nicht nur der Fall von Pablo Morrugares. Ein paar Monate vor ihm war im Bundesstaat Sonora schon der Direktor der Zeitung «Medios Obson» erschossen worden. Mit ihm zusammen starb ebenfalls ein Polizist, der zu seinem Schutz abgestellt war, ein weiterer wurde verletzt. Was es wirklich bräuchte, sagen Organisationen zum Schutz von Journalisten wie «Artículo 19», wäre konsequente Strafverfolgung und Verurteilung von Tätern und ihren Hintermännern.

Immerhin: Im Falle von Pablo Morrugares wurden diese Woche acht Männer festgenommen. Die Ermittler verdanken die Verhaftung allerdings nicht ihren akribischen Recherchen, sondern vor allem einem Zufall: Polizisten waren bei einer Routinekontrolle mehrere Waffen bei den Verhafteten aufgefallen. Mit einer sollen auch die Schüsse auf Morrugares abgegeben worden sein.