Neues Sexualstrafrecht tritt in KraftMänner können jetzt auch rechtlich Opfer von Vergewaltigung werden
Die neue Definition von Vergewaltigung ist der wichtigste Punkt im revidierten Sexualstrafrecht. Das Gesetz bringt aber nicht nur Verschärfungen mit sich.
Es ist eine der bedeutendsten Gesetzesrevisionen der letzten Jahre: das neue Sexualstrafrecht, das am 1. Juli in Kraft tritt. Es definiert die Tatbestände der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung ganz neu, indem es vom Grundsatz «Nein heisst Nein» ausgeht.
Die Revision beinhaltet aber noch eine Reihe weiterer bedeutender Änderungen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen dazu.
Was bedeutet «Nein heisst Nein»?
Bisher waren sexuelle Handlungen nur strafbar, wenn der Täter oder die Täterin ihr Opfer nötigte, also in irgendeiner Form Druck oder Gewalt anwendete. Das bedeutete in der Praxis, dass das Opfer ein Minimum an Gegenwehr zeigen musste. Neu ist jede Handlung gegen den Willen des Opfers strafbar. Auch das Ausnützen eines Schockzustands steht nun unter Strafe.
Das trägt dem Umstand Rechnung, dass viele Opfer eines Übergriffs zu keiner Gegenwehr fähig sind und alles über sich ergehen lassen. In solchen Fällen hatten die Gerichte bisher kaum eine Handhabe.
Viele Opfer- und Frauenorganisationen hätten sich eine Variante nach dem Grundsatz «Nur Ja heisst Ja» gewünscht. Das bedeutet, dass sexuelle Handlungen strafbar sind, wenn nicht beide zugestimmt haben (und nicht nur dann, wenn eine Person nicht will). Eine solche Regelung kennen unter anderen Belgien, Dänemark, Griechenland, Grossbritannien, Kroatien, Spanien und Zypern. Bundesrat und Parlament ging eine solche Regelung aber zu weit.
Was gilt künftig als Vergewaltigung?
Neu definiert das Gesetz jede Handlung gegen den Willen des Opfers, die «mit einem Eindringen in den Körper» verbunden ist, als Vergewaltigung. Damit anerkennt der Gesetzgeber, dass auch Männer Opfer von Vergewaltigungen werden können.
Im alten Strafrecht galt nur die Penetration «von Personen weiblichen Geschlechts» als Vergewaltigung. Alle anderen Handlungen fielen unter den Straftatbestand der sexuellen Nötigung. Das führte immer wieder zu Kritik. Denn bei der Strafhöhe gab es einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Tatbeständen: Vergewaltigung wurde mit mindestens einem Jahr bestraft, während bei der Nötigung keine Minimalstrafe festgelegt war. Die Maximalstrafe lag in beiden Fällen bei zehn Jahren.
Ab dem 1. Juli gelten bei Vergewaltigung nun nach Schwere abgestufte Strafhöhen. Nutzt der Täter «nur» einen Schockzustand aus, ist die Maximalstrafe fünf Jahre; ist Gewalt oder Nötigung im Spiel, beträgt die Strafe mindestens ein bis maximal zehn Jahre. In besonders grausamen Fällen ist die Minimalstrafe drei Jahre.
Welche weiteren wichtigen Änderungen bringt das Gesetz?
Verschärft wird auch die Strafe für sexuelle Handlungen mit Kindern unter 12 Jahren. Neu gilt dafür eine Mindeststrafe von einem Jahr.
Kaum öffentlich diskutiert, für die Betroffenen aber eine enorme Erleichterung sind die neuen Bestimmungen über Kinderpornografie. Bisher war jede Herstellung von Nacktaufnahmen von Minderjährigen strafbar.
Das bedeutete, dass sich auch ein 15-Jähriger strafbar machte, der seine Freundin unter der Dusche filmte. Ebenso eine 14-Jährige, die einem erwachsenen sogenannten Groomer unter Druck ein aufreizendes Foto ihres Intimbereichs zuschickte. Spätestens wenn diese Bilder im Netz weiterverbreitet wurden, fanden sich die beschämten Opfer plötzlich in einer Täterrolle wieder.
Das ist nun anders. Herstellung und Besitz von sexualisierten Bildern von Minderjährigen sind straflos, wenn die abgebildete Person eingewilligt hat, nicht dafür bezahlt worden ist und der Altersunterschied zwischen den Beteiligten weniger als drei Jahre beträgt. Strafbar machen sich nur noch jene, die die Aufnahmen weiterverbreiten.
Eine weitere wichtige Neuerung betrifft die Prävention: Künftig können auch Personen, die lediglich der sexuellen Belästigung beschuldigt werden, zum Besuch von Lernprogrammen verpflichtet werden.
Werden nun alle Täter nach dem neuen Recht bestraft?
Nein. Änderungen im Strafrecht gelten grundsätzlich nur für Taten, die nach der Einführung der neuen Bestimmungen verübt wurden. Bis das neue Recht zur Anwendung kommt, dürfte es also noch dauern.
Ausnahme: Ist das neue Recht für den Beschuldigten milder, so kommt dieses zur Anwendung. Das dürfte bei den Bestimmungen zu kinderpornografischen Bildern greifen. Minderjährige, die Nacktselfies machen, kommen damit ab dem 1. Juli straffrei davon.
Sind die Kantone für das neue Recht bereit?
Das ist der grosse Kritikpunkt einer Studie des Wissenschafts-Thinktanks Reatch, die kürzlich veröffentlicht worden ist. Es ist an den Kantonen, das neue Recht umzusetzen. Aber vor allem Deutschschweizer Kantone sind laut der Studie noch zu wenig vorbereitet.
Die vorgesehenen Pflichtlernprogramme sind vielerorts erst in Planung. Die Studie übt aber auch Kritik an der Betreuung von Opfern. Diese sei oft ungenügend. So werde eine Person, die Hilfe suche, nicht durchgehend von einer spezialisierten Stelle betreut, sondern müsse mit den unterschiedlichsten Personen und Fachstellen Kontakt aufnehmen. Und die arbeiteten zu wenig oder gar nicht zusammen. Das schwäche das Vertrauen der ohnehin traumatisierten Opfer und verschärfe ihre Situation.
Hinzu komme, dass die vorhandenen Angebote kaum auf männliche, nonbinäre und minderjährige Opfer ausgerichtet seien.
Wie weit Zürich in der Umsetzung ist – etwa bezüglich der Lernprogramme –, wollte die Justizdirektion dieser Redaktion nicht mitteilen. Grund ist eine hängige Anfrage aus dem Kantonsrat zum Thema. Man wolle der Antwort darauf nicht vorgreifen.
Im medizinischen Bereich gibt es bereits Verbesserungen. Seit diesem Jahr können die Spital-Notfallstationen sogenannte Forensic Nurses beiziehen, wenn der Verdacht auf eine sexuelle Misshandlung vorliegt. Diese speziell ausgebildeten Pflegefachpersonen können fachgerecht Spuren sichern, ohne dass die betroffene Person sofort Anzeige erstatten muss. Das ist zum Beispiel dann wichtig, wenn die Tat von einem Bekannten oder Verwandten begangen wurde.
Der Kantonsrat ist allerdings der Meinung, die Forensic Nurses allein reichten nicht aus. Er verlangt die Einrichtung von Kompetenzzentren in den Kantonsspitälern. Dort sollen die Opfer insbesondere auch psychologisch betreut werden.
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