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Kantonsrat setzt sich durch
Zürich soll Krisenzentren für Opfer von sexueller Gewalt einrichten

Sexuelle Belästigung, Gewalt, Nacht, Überfall, Vergewaltigung, Angst: Zwischen dem SVB-Tramdepot und dem Hotel Astoria in Bern wurde ein Raubüberfall verübt. Gestelltes Bild in der Nähe des Tatortes. © Daniel Fuchs
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Wenn Frauen – und seltener Männer – Vergewaltigung, sexueller Nötigung oder häuslicher Gewalt ausgesetzt waren und deswegen die Notaufnahme eines Spitals aufsuchen, wartet auf sie oft eine demütigende Prozedur.

Viele werden zu einer Anzeige bei der Polizei gedrängt, noch bevor sie medizinisch versorgt werden. Denn nur die Polizei kann eine Spurensicherung durch das Institut für Rechtsmedizin in Auftrag geben. Gleich darauf folgt die erste polizeiliche Befragung. «Das ist unerträglich», findet Kantonsrätin Silvia Rigoni (Grüne, Zürich). Es gebe Betroffene, die deshalb keine Hilfe suchten.

Das soll sich nun ändern. Rigoni reichte im Zürcher Kantonsrat einen Vorstoss in Form einer Motion ein, der zwei Krisenzentren für Opfer sexueller Gewalt fordert. Parlamentarierinnen aus allen Parteien mit Ausnahme der SVP haben den Vorstoss unterzeichnet.

Dieser verlangt, dass Betroffene künftig in spezialisierten Krisenzentren am Zürcher Unispital und am Kantonsspital Winterthur umfassend und fachübergreifend unterstützt werden. Dort sollen sie nicht nur medizinisch versorgt werden. Auch soll spezialisiertes Personal Spuren sichern, ohne dass die Polizei informiert werden muss. Psychologinnen sollen die Betroffenen betreuen und mit ihnen die weiteren Schritte beraten.

FDP schwenkt um und sagt Nein

Am Montag hat der Kantonsrat den Vorstoss überwiesen; die Fraktionen von AL bis Mitte sagten alle Ja. Hauptargument: die psychologische Erstversorgung. Diese sei unheimlich wichtig, sagte Andrea Gisler (GLP, Gossau). Gisler ist Anwältin, seit mehr als zwanzig Jahren kümmert sie sich um Opfer von sexueller Gewalt. «Die meisten Betroffenen stehen unter Schock, können das Geschehene nicht einordnen und wissen nicht, wie es nun weitergeht.»

Gegen die Motion sprach sich nicht nur die SVP aus, sondern auch die FDP – obwohl die freisinnige Kantonsrätin Angie Romero zu den Mitunterzeichnerinnen gehört. Doch Romero sah die Forderungen zwischenzeitlich erfüllt, wie sie am Montag im Kantonsrat sagte. Denn der Regierungsrat hat vor drei Jahren ein ganzes Paket von Massnahmen für Opfer sexueller und häuslicher Gewalt aufgegleist.

Forensisches Pflegepersonal statt Krisenzentren

Die wichtigste Neuerung in diesem «Zürcher Modell» ist die Einführung von sogenannten «Forensic Nurses». Diese speziell ausgebildeten Pflegefachpersonen können auch in komplexen Fällen Spuren so sichern, dass sie für ein Strafverfahren aussagekräftig und ausreichend sind.

Ab dem 1. April dieses Jahres werden die Ersten von ihnen die Arbeit aufnehmen. Vorerst dürfen Unispital, Kantonsspital Winterthur, Triemlispital und Kispi auf deren Dienste zugreifen, und zwar rund um die Uhr. Mitte Jahr soll der Dienst dann allen vierzehn Notaufnahmen im Kanton zur Verfügung stehen.

Der grosse Vorteil der «Forensic Nurses» aus Sicht von Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli: «Die ‹Nurses› kommen zu den Betroffenen. Die Betroffenen müssen nicht ein spezialisiertes Zentrum aufsuchen, sondern können einfach ins nächstgelegene Spital.» So argumentierte auch Ricklis Partei, die SVP, im Kantonsrat. Es könne nicht sein, dass ein Gewaltopfer zuerst mit dem Taxi nach Zürich oder Winterthur fahren müsse.

Rickli sieht Motion schon als «erledigt»

Für die anderen Parteien sind die forensischen Pflegefachleute ein Schritt in die richtige Richtung, reichen aber nicht aus. «Denn damit gibt es nach wie vor keine genügende psychologische Betreuung in den Notfallstationen», kritisierte Silvia Rigoni. Dafür seien die «Forensic Nurses» nicht ausgebildet.

Marzena Kopp (Mitte, Meilen) sagte, die Krisenzentren seien nicht als Konkurrenz für die «Nurses» gedacht: «Dass es auch sie braucht, steht ausser Frage.» Das «Zürcher Modell» sei aber längst nicht so wegweisend, wie Natalie Rickli behaupte. «Erst eine Kombination aller Angebote würde es einzigartig machen.»

Ob es je so weit kommt, ist indes eine andere Frage. Der Regierungsrat hat nach der Überweisung zwei Jahre Zeit, den Vorstoss umzusetzen – oder dem Kantonsrat darzulegen, warum er dies nicht tun will. Natalie Rickli kündigte bereits an, Letzteres zu tun: «Sie können die Motion überweisen. Aber ich betrachte sie jetzt schon als erledigt.»