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Doch «Nur Ja heisst Ja»
Neuer Streit zum Sexualstrafrecht – mit vertauschten Rollen

Elisabeth Baume-Schneider, damals noch SP-Ständerätin, spricht bei der Einreichung der Unterschriften für die Petition «Nur Ja heisst Ja».
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 «Es geht doch nicht darum, wer die bessere Feministin ist. Die Frage ist vielmehr, was machbar ist.» Das sagt Tamara Funiciello – eine SP-Nationalrätin, die nicht dafür bekannt ist, Kompromisse um des Kompromisses willen zu schliessen. Das Machbare wurde aus ihrer Sicht beim Sexualstrafrecht erreicht. Als der Ständerat im März der ergänzten «Nein heisst Nein»-Lösung zustimmte, feierten Funiciello und ihre Mitstreiterinnen das als Erfolg.

Mit dem Kompromiss schienen alle glücklich zu sein, von ganz links bis weit ins bürgerliche Lager. Alle? Die Grünliberalen – sonst eher für pragmatische Lösungen bekannt – sind es nicht. «Ich verstehe einfach nicht, warum man sich so schnell zufriedengegeben hat», sagt GLP-Nationalrätin Judith Bellaiche. 

Am Donnerstag berät erneut der Nationalrat über die Reform. Die GLP beantragt dem Rat, an «Nur Ja heisst Ja» (Zustimmungslösung) festzuhalten.

Sex ohne Zustimmung – oder trotz Ablehnung

Worum geht es überhaupt? Nach der Revision des Sexualstrafrechts werden mehr Taten als Vergewaltigung gelten. Heute ist Nötigung eine Voraussetzung dafür: Der Vergewaltiger muss das Opfer bedrohen, unter Druck setzen oder Gewalt anwenden. Das soll künftig nicht mehr der Fall sein. Sexuelle Handlungen, die mit Eindringen verbunden sind, sollen auch ohne Nötigung als Vergewaltigung zählen können. Neu gibt es zudem den Tatbestand des sexuellen Übergriffs für sexuelle Handlungen, die nicht mit Eindringen verbunden sind.

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Umstritten ist, unter welchen Voraussetzungen sich jemand strafbar macht. Die Antwort des «Nein heisst Nein»-Lagers: Strafbar macht sich, wer sexuelle Handlungen gegen den Willen einer Person vornimmt. Das Opfer muss Nein sagen oder signalisieren. Die Antwort des «Nur Ja heisst Ja»-Lagers: Strafbar macht sich, wer sexuelle Handlungen vornimmt, ohne dass die andere Person ihre Zustimmung zum Ausdruck gebracht hat.

Der Kompromiss, den der Ständerat oppositionslos gutgeheissen hat, basiert auf «Nein heisst Nein» (Widerspruchslösung). Doch der Ständerat hat ein zentrales Anliegen des anderen Lagers aufgenommen: Kann das Opfer seinen Willen nicht zum Ausdruck bringen, weil es in einem Schockzustand (Freezing) ist, schützt das den Täter nicht vor Strafe. Die Gerichte sollen solche Fälle als Ablehnung interpretieren. Ausserdem sollen sie Täter zu Lernprogrammen verpflichten.

Das war der Grund dafür, dass SP-Nationalrätin Tamara Funiciello mit dem Kompromiss zufrieden war – und ankündigte, das «Nur Ja heisst Ja»-Lager werde darauf einschwenken.

SP-Nationalrätin Tamara Funiciello ist mit dem Kompromiss zufrieden.

Gesellschaftlichen Fortschritt abbilden

Aus Sicht von GLP-Nationalrätin Judith Bellaiche war das ein übereilter Schritt. Sie begrüsse zwar das Entgegenkommen des Ständerates beim Freezing, sagt Bellaiche. Doch: «Die Widerspruchslösung zementiert die sogenannte Zustimmungsvermutung.» Diese gehe davon aus, dass jeder Mensch grundsätzlich zu einer sexuellen Handlung bereit sei – ausser er bringe das Gegenteil zum Ausdruck. «Diese Zustimmungsvermutung gehört aus der Welt geschafft», sagt Bellaiche. «Weder entspricht sie einem modernen Verständnis der sexuellen Integrität, noch berücksichtigt sie das Bedürfnis der Gesellschaft.»

Immerhin habe es im Nationalrat eine Mehrheit für die Zustimmungslösung gegeben. «Es gab keinen Grund, noch vor der Beratung in der Rechtskommission davon abzurücken», sagt Bellaiche. Das Festhalten in der zweiten Runde sei nichts Aussergewöhnliches, sondern eine Frage der Haltung. «Bei der Zustimmungslösung geht es uns um die Prinzipienumkehr.»

Der Verdacht im grünliberalen Lager: Die Linke wollte die Lorbeeren für die Reform des Sexualstrafrechts ernten und preschte deshalb mit der Zustimmung zum Kompromiss vor. Im linken Lager wiederum vermutet man, die Grünliberalen wollten sich im Wahljahr als gesellschaftlich besonders progressiv darstellen – ohne Rücksicht auf das politisch Machbare.

GLP-Nationalrätin Judith Bellaiche pocht auf «Nur Ja heisst Ja». 

Erreichtes nicht gefährden

Doch hat der Antrag der Grünliberalen für «Nur Ja heisst Ja» Chancen? Die SP und die Grünen wollen dem Antrag zustimmen, da sie inhaltlich damit einverstanden sind. Die Mehrheit der FDP und der Mitte dagegen dürfte nun auf den Kompromiss umschwenken. Tamara Funiciello glaubt deshalb nicht, dass es für eine Mehrheit im Rat reicht.

Selbst wenn es reichen sollte, würde das lediglich eine «Ehrenrunde» bedeuten, sagt Funiciello. Im Ständerat sei «Nur Ja heisst Ja» chancenlos. «Wer sich drei Jahre lang darum bemüht hat, Mehrheiten zu organisieren, weiss das.» Hätte sie nur den Hauch einer Chance gesehen, hätte sie selbstverständlich auch darauf gepocht, sagt Funiciello. «Hinter der ‹Nein heisst Nein›-Lösung steckt jahrelange Arbeit, im Parlament und ausserhalb. Nun haben wir alle Asse ausgespielt.»

Dass sie schon vor der zweiten Runde im Nationalrat einlenkte, begründet Funiciello mit den Wahlen im Herbst: Sie möchte das Geschäft noch in der laufenden Legislatur unter Dach und Fach bringen, weil sich die Mehrheitsverhältnisse ändern könnten. «Für kurzfristige Wahlkampfaktionen ist die Reform zu wichtig», sagt die SP-Nationalrätin. «Wir dürfen den grossen Erfolg nicht gefährden.»

Nichts ändern wird die Reform an der oft schwierigen Beweislage. Dass die Reform einen grossen Fortschritt darstellt, sagen aber auch die Grünliberalen. In der Schlussabstimmung wollen sie zustimmen.