Vom Papst gerügt und nun doch gewähltWer ist der neue oberste Schweizer Katholik?
Trotz päpstlicher Schelte ist Charles Morerod neuer Präsident der Schweizer Bischofskonferenz. In einem Brief verteidigt er sich. Doch Missbrauchsbetroffene sind skeptisch.
- Der Vatikan kritisierte kürzlich mehrere Schweizer Bischöfe für ihren Umgang mit Missbrauchsfällen – auch Charles Morerod.
- Charles Morerod wurde diese Woche trotzdem zum Präsidenten der Schweizer Bischofskonferenz gewählt.
- Am Freitag verschickte Morerod ein Communiqué, in dem er zugibt: «Man wirft mir vor, dass ich nicht immer eine kanonische Untersuchung eingeleitet habe: Das ist wahr.»
Die Vorwürfe sind happig. Fehler, Versäumnisse und Unterlassungen im Zusammenhang mit Fällen von sexuellem Missbrauch und dem Umgang damit. So lautet das Urteil des Vatikans gegenüber mehreren Schweizer Bischöfen – unter ihnen Charles Morerod, bisher Bischof des Bistums Lausanne, Genf und Freiburg.
Das teilte die Schweizer Bischofskonferenz Mitte Oktober mit. Trotzdem ernennen die Katholiken diese Woche den 63-jährigen Morerod in einer geheimen Wahl in Engelberg zu ihrem Präsidenten. Er, der vor zwei Monaten vom Vatikan kritisiert worden ist, weil er bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen zu zögerlich reagiert habe, wird nun die Bischöfe repräsentieren, die das Vertrauen des Kirchenvolks zurückgewinnen wollen.
Warum er, fragt sich. «Mangels Alternativen», schreibt die NZZ und bezeichnet Morerod als «Notbischof». Tatsächlich hatte die Bischofskonferenz keine grosse Auswahl: Der bisherige Präsident, der Basler Bischof Felix Gmür, durfte aufgrund einer Amtszeitbeschränkung nicht mehr antreten. Andere Bischöfe, wie etwa Joseph Maria Bonnemain, sind zu alt für eine Wahl. Bonnemain, der übrigens letztes Jahr als vatikanischer Sonderermittler fungierte und gegen Morerod ermitteln musste, wird nun sein Vize.
Pfarrer Nicolas Betticher, ehemaliger Generalvikar des Bistums Lausanne, Genf und Freiburg, hatte letztes Jahr in einem Brief an die Vertretung des Vatikans in Bern schwere Vorwürfe gegen Bischof Morerod erhoben. Dieser soll von sexuellen Missbräuchen dreier Geistlicher gewusst und diese nicht angezeigt haben. Morerod habe sogar zwei von ihnen für Ämter ernannt, deren sie aufgrund ihrer Vergangenheit unwürdig gewesen seien, so Betticher.
Die Freiburger Generalstaatsanwaltschaft war allerdings nicht auf die Vorwürfe von Pfarrer Nicolas Betticher eingetreten. Die Anschuldigungen hätten sich nicht erhärtet, oder mögliche Missbräuche seien verjährt.
Ein zweites Leben geschenkt bekommen
Morerod hat im Mai ein Interviewbuch mit der Westschweizer Journalistin Camille Krafft herausgegeben. Darin geht es um Missbrauch im kirchlichen Kontext. Er habe zu lange geschwiegen und wolle nun reden, sagt er darin. Das Buch trägt den Titel «Tu n’abuseras point» – zu Deutsch: «Du sollst nicht missbrauchen». Die Interviewserie habe auch mit einem Schicksalsschlag zu tun, sagte Morerod. Er habe nämlich «ein zweites Leben» geschenkt bekommen.
Er bezieht sich auf seinen Velounfall vergangenes Jahr. Am Tag nach der Veröffentlichung einer Studie zum Ausmass des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche wurde er mit einer Schädelblutung ins Spital eingeliefert. Die Universität Zürich hatte zahlreiche Fälle von sexuellem Missbrauch im Umfeld der römisch-katholischen Kirche seit Mitte des 20. Jahrhunderts dokumentiert. Die Studie zeigte, dass Priester und Ordensangehörige in der Schweiz seit 1950 über 1000 Fälle von sexuellem Missbrauch begangen hatten, wobei die Dunkelziffer hoch sein dürfte.
Morerod hatte die Studie als «erschütternd» bezeichnet. Ausserdem hatte er erklärt, dass er einen Rücktritt nicht ausschliesse, sollte er «grosse Fehler» gemacht haben. Das war im September letzten Jahres. Nun ist er zum obersten Katholiken der Schweiz gewählt worden. Morerod wird das Amt von 2025 bis 2027 führen. Sein Gesundheitszustand gilt allerdings noch immer als angeschlagen.
Davide Pesenti, Generalsekretär der Schweizer Bischofskonferenz, wünscht dem neuen Präsidenten «alles Gute und Gottes Segen für das neue Amt», wie er auf Anfrage sagt. Die Frage bleibt: Welches Signal hat die Wahl von Charles Morerod auf die eigene Missbrauchsbekämpfung in der Kirche? Pesenti zeigt sich zuversichtlich: «Charles Morerod treibt seit mehreren Jahren den Kulturwandel bei der Aufarbeitung von Missbräuchen im kirchlichen Kontext engagiert und konsequent voran.»
Skeptisch zeigt sich Vreni Peterer, Präsidentin der Interessengemeinschaft für Missbrauchsbetroffene im kirchlichen Umfeld. Sie sagt: «Dass Morerod kürzlich einen Rüffel aus Rom erhalten hat, lässt ihn nicht gerade im besten Licht dastehen.» Man sei in der Betroffenenorganisation «sehr gespannt», wie er die Missbrauchsthematik an die Hand nehmen und wie er seine Bischofskollegen führen werde. Peterer, die als Kind von einem Pfarrer missbraucht wurde, sagt weiter: «Wir werden sehen, welches Gewicht er in Rom hat, zum Beispiel bei der geforderten Öffnung aller Archive für das Forschungsteam.» Es werde sich schnell zeigen, wie mutig, fortschrittlich und konsequent er sei, so die Präsidentin der Interessengemeinschaft. «Auch für ihn gilt unsere Forderung: Den Worten müssen Taten folgen.»
Bereits am Freitag nach seiner Wahl versucht Morerod, seinen Kritikerinnen und Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen: Er veröffentlichte den Brief aus Rom, der bislang geheim war. In einem Communiqué, das seine Diözese am Freitag verschickt, nimmt Morerod Stellung und schreibt: «Man wirft mir vor, dass ich nicht immer eine kanonische Untersuchung eingeleitet habe: Das ist wahr.» Er verteidigt sich mit den Worten: «In Verbindung mit den Forderungen der Opfer sage ich auch seit fast zehn Jahren, dass ich Beschwerden an die Justiz weiterleiten werde, auch wenn das Opfer dies nicht möchte, um weitere Opfer zu vermeiden.»
Ein weiterer Vorwurf aus Rom lautet, dass Morerod bei der Anstellung von Mitarbeitenden «kein gutes Urteilsvermögen» gehabt hätte. Dies betrifft den derzeitigen Generalvikar Bernard Sonney, gegen den Missbrauchsvorwürfe erhoben wurden und der sich letztes Jahr zwischenzeitlich aus seinem Amt zurückzog. Doch Morerod verteidigt seinen Generalvikar im Communiqué und schreibt: «Da eine Strafe rechtlich nicht gerechtfertigt ist, setzt Bernard Sonney seinen Dienst als Priester fort und wir werden gemeinsam sehen, welche Form diese Wiederaufnahme haben wird.»
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