Neue PartnerschaftKim reist nach Russland – was vom Treffen mit Putin zu erwarten ist
Nordkoreas Machthaber ist offenbar unterwegs nach Wladiwostok. Der Hintergrund: der Krieg in der Ukraine und die Beziehung zwischen den beiden Staaten. Schickt Kim bald Waffen und Fachkräfte?
Die Festberichterstattung der Staatsmedien in Nordkorea war am Wochenende wieder sehr ausführlich. Die Welt sollte wissen, dass die Parteidiktatur auch 75 Jahre nach ihrer Gründung am 9. September 1948 noch bei Kräften ist. Zum Jubiläum gab es demnach unter anderem eine «Milizparade» auf dem Kim-Il-sung-Platz in Pyongyang mit Arbeiter-und-Bauern-Rotgardisten, Motorradstaffeln, von Traktoren gezogenen Panzerabwehrraketen und Flugabwehrwaffen.
Zu den geladenen Gästen gehörten neben russischen und chinesischen Diplomaten der chinesische Vizepremier Liu Guozhong sowie das Alexandrow-Ensemble, eine Gesangs- und Tanzkompanie der russischen Armee. Bei einem Fototermin lobte Machthaber Kim Jong-un «patriotische Menschen» als Nordkoreas «eigentliche Macht».
Das also hat Nordkorea dieser Tage zu bieten: Waffen, Schwüre auf die Einheit der Patrioten, Gäste aus China, Gäste aus Russland. Und sonst?
Die Frage ist aktueller denn je, seit die «New York Times» vergangene Woche amerikanische Geheimdienstinformationen öffentlich machte, nach denen Kim Jong-un sich am Rande des Ost-Wirtschaftsforums in Wladiwostok mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin treffen wolle.
Bereits «in den kommenden Tagen» soll es so weit sein. Das bestätigte der Kreml am Montag auf seiner offiziellen Website. Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un ist nach Medienberichten bereits zu dem Treffen mit Putin ins Nachbarland abgereist. Kim habe offenbar mit einem Spezialzug Pyongyang verlassen und sei auf dem Weg nach Russland.
Was kann Putin vom kleinen, wirtschaftlich kriselnden Nachbarn Nordkorea wollen? Tatsächlich Waffen, wie die «New York Times» berichtet?
Beide Länder suchen Freunde
Das Ost-Wirtschaftsforum hat am Sonntag begonnen und dauert bis Mittwoch. Pyongyangs Staatsmedien meldeten zunächst keinen Russlandtrip Kims. Das Fachportal NK News hält es für möglich, dass Kim so kurz nach der 75-Jahr-Feier nicht schon diese Woche nach Wladiwostok reist. Aber früher oder später werden sich Putin und Kim austauschen, da sind sich Expertinnen und Experten sicher. Denn mehr Nähe zwischen Russland und Nordkorea ist eine logische Folge der aktuellen Weltlage.
Der Westen will beide Länder isolieren – Putins Russland wegen dessen Krieg in der Ukraine, Kims Nordkorea wegen dessen atomarer Aufrüstung. Beide suchen neue Freunde. Beide wollen abschreckende Zeichen setzen gegen die USA. Putins Wunsch, eine Art antiamerikanisches Bündnis zu erschaffen, ist grösser geworden, seit er Kim Jong-un im April 2019 in Wladiwostok zum letzten Mal traf. Ein erneutes Treffen mit dem nordkoreanischen Diktator würde Putin wieder weltweite Schlagzeilen bescheren – schon das wäre für ihn ein Pluspunkt.
Die Beziehungen Nordkoreas zu Russland waren lange nicht so gut, wie man sich das denken könnte von einem sozialistischen Staat, der nach dem Zweiten Weltkrieg auf sowjetisch besetztem Gebiet gegründet wurde. Die Sowjetunion war 1948 das erste Land, das die Demokratische Volksrepublik Korea im Norden der Koreanischen Halbinsel anerkannte. Sie half Nordkorea und China im Korea-Krieg gegen den Süden und die UNO-Truppen unter der Führung der USA. Und sie unterstützte das Regime von Kim Jong-uns Grossvater Kim Il-sung.
Ein sehr produktiver Marionettenstaat war Nordkorea allerdings nie, deshalb gab es Spannungen. Als die Sowjetunion 1991 zerfallen war, wandte sich Russland lieber dem aufstrebenden Südkorea zu statt dem heruntergewirtschafteten Nordkorea.
Reger Austausch mit Pyongyang
Putin pflegte immer einen relativ regen Austausch mit Nordkoreas Herrscherfamilie. Er traf Kim Jong-il, Kim Jong-uns Vater, er traf Kim Jong-un. Aber im Grunde änderte sich wenig. Nordkorea rüstete ungerührt vor sich hin und war als Handelspartner für Russland uninteressant. Bis heute hat Nordkorea praktisch nur einen grossen Handelspartner: China. China braucht Nordkorea als Pufferzone zwischen sich und den US-Truppen in Südkorea. Deshalb sorgte China mit bedingungslosen Lieferungen von Öl, Getreide und Dünger auch dafür, dass Nordkorea die Abschottung wegen der Pandemie überlebte.
Russland braucht Nordkorea nicht – zumindest war das bisher so. Nordkorea ist aber eines der wenigen Länder, das nicht nur die annektierte Krim 2014 als russisches Territorium anerkannt hat, sondern 2022 auch die Separatistenregionen Luhansk und Donezk als unabhängige Volksrepubliken. Und mittlerweile hat das aufgerüstete Nordkorea anscheinend doch Produkte, die Putin nützlich findet. Schon vor einem Jahr zitierte die «New York Times» Geheimdienstinformationen, wonach die russische Armee Nordkorea in grossem Stil Artilleriegeschosse und Raketen abkaufe.
Russland braucht Arbeiter
Ausserdem könnten Russlands Ferner Osten und andere Regionen nordkoreanische Arbeiter gebrauchen. Durch den Krieg, die Mobilmachung und die fluchtartige Ausreise Hunderttausender Russen sieht sich das Land in einer ungewohnten Lage: Es herrscht Arbeitskräftemangel. Laut einer Studie des russischen Gaidar-Instituts für Wirtschaftspolitik fehlen jedem dritten russischen Unternehmen Mitarbeiter. Alexander Kalinin, Chef eines Verbands für kleine und mittlere Unternehmen, möchte «zusätzliche Migrationsströme» ins Land locken. «Wir haben Nordkorea vorgeschlagen und werden dies auch weiterhin tun», sagte er der Zeitung «Wedomosti».
Vor fünf Jahren soll Moskau zwei Drittel seiner über 30’000 nordkoreanischen Gastarbeiter aus dem Land geschickt haben. Der Kreml reagierte damit offenbar auf UNO-Sanktionen gegen Pyongyang nach einem Atombombentest 2017. Jetzt aber fordern mehrere kremlnahe Experten, die Sanktionen gegen Nordkorea zu ignorieren. Dafür sei es «längst höchste Zeit», schrieb etwa der regimetreue Politologe Sergei Markow auf Telegram.
Realistisch oder hauptsächlich Propaganda? Schwer zu sagen. Zumal Putin und Kim Jong-un ein Partner verbindet, der ihnen wichtiger ist als das Verhältnis zueinander: China. Ob Moskau und Pyongyang ins Geschäft kommen, wird also auch davon abhängen, was Peking von der neuen Nähe zwischen Russland und Nordkorea hält.
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