Analyse zu Kritik an SchönheitsköniginDie neue Miss France hat kurze Haare!
Ève Gilles’ Frisur erhitzt die Gemüter: Seit wann sind lange Haare für junge Frauen eigentlich Pflicht?
Als meine 11-Jährige mir damals erzählte, sie werde wegen ihrer kurzen Haare ausgelacht, konnte ich es kaum glauben. «Sie haben ‹Lesbe, Lesbe!› gerufen», berichtete sie aufgelöst. Ihr Selbstwertgefühl hing an den Zentimetern toter Hornzellen auf dem Kopf. Das war 2011. Seither ist es keineswegs besser geworden.
Als am Wochenende Ève Gilles zur neuen Miss France gekürt wurde, hagelte es boshafte Posts in den sozialen Medien – besonders wegen ihrer Frisur, aber auch wegen ihrer «maskulinen», «mageren» Figur. Sie war die einzige unter den dreissig Aspirantinnen, die ihre Haare kurz trägt, und laut französischen Medien zudem die Erste, die jemals den Titel Miss France mit einer Kurzhaarfrisur errang. Und sie scheute nicht davor zurück, die gängige weibliche Optik in öffentlichen Statements infrage zu stellen.
Sie stehe für ein diverses Frauenbild, sagte die 20-jährige Mathematikstudentin. Schönheit beschränke sich nicht auf Haarschnitt und Körperform. Die Frisur sei Teil von ihr, «aber ich bin nicht nur die Miss mit den kurzen Haaren». Dagegen hielt man ihr – und der Jury – woke Fixierung vor. Gilles habe ihren Haarschnitt obsessiv vor sich hergetragen.
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In meiner eigenen Jungmädchenzeit in den Achtzigern waren kurze Haare kein Thema, viele hatten sie. Gerade in den höheren Schulklassen fielen massenweise Zöpfe, Ratten- und Pferdeschwänze und auch die offenen Langhaarmatten. Der Kurzhaarschnitt war kein Must, aber oft ein Entscheid fürs Flotte, fürs Funktional-Praktische und ja, auch fürs Feministische.
Supermodels wie Linda Evangelista und Christy Turlington traten mit einem Haarschnitt auf, der heute als Pixiecut durchginge, Tatjana Patitz faszinierte mit ihrem androgynen Look samt kurzem Haar, Naomi Campbell zierte das Cover der «Vogue» 1990 mit superkurzem, asymmetrischem Bob, Heidi Klum entschloss sich noch 2003 zur megakurzen Bob-Variante.
Der Kurzbob mit seiner seriösen Aura hatte es früh schon den «Fernsehansagerinnen» angetan, etwa Heidi Abel. Irgendwann im 21. Jahrhundert wurden die Haare – wieder – länger. Vielleicht hat man sich an den USA orientiert: Dort siehts aus, als seien lange Haare nicht bloss für Fernsehfrauen quasi eine Conditio sine qua non.
Instagram und Co. haben dann seit rund einer Dekade international ein Rollback der Körperbilder angeschoben, das die gesellschaftliche Rolle rückwärts begleitet: Frau ist sexy, langhaarig, sportlich, selbstverantwortlich, ausserdem natürlich mutterfähig und dauerhappy. Also eigentlich Barbie und Mutter Beimer gleichzeitig.
Das ungeschriebene Gesetz scheint sich tendenziell auch an hiesigen Schulen und Universitäten durchgesetzt zu haben: Junge Frauen ohne Wallehaar – mit oder ohne Vorhang-Pony à la Melania Trump – kann man fast mit der Lupe suchen. Und die wenigen sind häufig jene, die auch sonst den Mut zeigen, nicht mainstreammässig unterwegs zu sein; Courage brauchts dafür auf jeden Fall. Darum: Chapeau! Ich ziehe den Hut und zeige mein zu langes Haar.
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