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Erfolgsserie «The Diplomat»
Brillant fluchende Diplomaten erobern Netflix im Sturm

Was den Professionellen an der neuen Serie «The Diplomat» am meisten gefällt: Der unrealistische Glamour ihres Jobs. Keri Russell (links) als Kate Wyler, US-Botschafterin in England, und David Gyasi als britischer Aussenminister Austin Dennison.
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Ja, die Glaubwürdigkeit. Dieses Killerkriterium. Wer einen Film macht oder eine Fernsehserie über das Funktionieren der Politik, muss wissen, dass die Plausibilität seines Drehbuchs das erste Kriterium ist, das ihm ins Gesicht geschlagen wird. Kein anderes Genre ausser dem Dokumentarfilm wird so sehr mit der Realität abgeglichen wie ein Film oder eine Serie über Politik. Fantasie, scheint es, macht die Leute misstrauisch.

Weshalb die «New York Times» geradezu reflexartig auf «The Diplomat» reagierte, die neue, viel diskutierte und überraschend erfolgreiche Netflix-Serie der Drehbuchautorin Deborah Cahn, die dann auch Regie führte: Die Zeitung fragte echte Diplomaten, wie glaubwürdig sie die gespielten fanden.

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Deborah Cahn hatte das Drehbuchschreiben bei Aaron Sorkins «The West Wing» und der aus Israel übernommenen Agentenserie «Homeland» perfektioniert. Beide Serien haben ihre erste eigene Serie offensichtlich beeinflusst. Und machen eine Stärke von «The Diplomat» aus, deren zweite Staffel sie für das nächste Jahr versprochen hat.

«Übertrieben, unrealistisch, amüsant»

Die Serie folgt der amerikanischen Unterhändlerin Kate Wyler (Keri Russell), die von ihrem Präsidenten gegen ihren Willen zur britischen Botschafterin ernannt wird, um eine internationale Krise abzuwenden, nachdem ein britisches Kriegsschiff im Nahen Osten explodiert ist.

Als ihr grösstes Problem erweist sich aber nicht der Iran oder der geltungssüchtige britische Premier, der eine Eskalation ins Militärische seiner Karriere zuliebe hinnehmen würde. Das grösste Problem der Madam Ambassador ist ihr eigener Mann Hal (Rufus Sewell). Er war selber Diplomat, kann sich mit der Rolle als Hausmann nicht abfinden, mischt sich in ihre Arbeit ein und hält seinen Egoismus für Empathie.

Was Diplomaten an «The Diplomat» gefällt: dass ihr Beruf so aufregend und sie selber so schlagfertig dargestellt werden. 

Aber wie steht es jetzt um die Glaubwürdigkeit der Serie? Wie diplomatisch ist «The Diplomat»? Was den Diplomaten gefällt, welche die «New York Times» dazu befragt hat: dass ihr Beruf so aufregend und sie selber so schlagfertig und glamourös dargestellt werden. Mit der Realität habe das aber nichts zu tun, sagen sie übereinstimmend. «Dass die Eloquenz die Welt rettet», kommentiert Carlos Pascual trocken, ehemaliger US Botschafter in Mexiko und der Ukraine, «gehört nicht zum Alltag in unserem Geschäft.» Die Serie selbst hält er für «übertrieben, unrealistisch, amüsant». 

Jane Hartley, US-Botschafterin in Grossbritannien, sagt zur Serie: «Schon dass der amerikanische Präsident eine Botschafterin auswählen kann, ohne diese vom Senat bestätigen zu lassen, ist undenkbar.»


Das sehen alle so, die etwas von diesem Geschäft verstehen. «Schon dass der amerikanische Präsident eine Botschafterin auswählen kann, ohne diese vom Senat bestätigen zu lassen, ist undenkbar.» Das sagt eine Frau, die es wissen muss: Es ist Jane Hartley, US-Botschafterin in Grossbritannien. 

Es kommen weitere Einwände: Deborah Cahn überspiele in «The Diplomat» mit dem Tempo ihrer Erzählung die Umständlichkeit der realen Diplomatie; in den schlechten Momenten setze die Serie auf die Gefühlsduselei einer Soap statt auf die Nüchternheit von Kompetenz und Erfahrung; ihre Hauptfigur tendiere auf unrealistische Weise dazu, internationale Krisen zu deklinieren, statt sie zu behandeln.

Diplomatie verlangt Ausdauer

Die diplomatische Arbeit, argumentieren ihre Vertreter, sei eben keine atemlose Kombination aus Intrigen, rhetorischen Duellen und Wodka Martinis. Denn die Diplomatie, darin der Arbeit eines Parlamentes ähnlich, sei ein langsam wirkender Beruf. Bei ihr zählen Zähigkeit, Ausdauer, Bereitschaft zum Kompromiss, ein Beziehungsnetz und schliesslich, wenn das alles nicht genügt, die Drohungen der Macht. «The Diplomat» ist geistreich, schnell, schlagfertig und aufregend. Aber Diplomatie kann langweilig sein, ist langwierig, oft frustrierend und in ihren grössten Erfolgen meist lautlos aus diplomatischen Gründen.

Eine weitere, entscheidende Kritik an der Serie: Amerikanische Botschaftsposten werden, vor allem die begehrten Stellen in Europa, selten an die besten Unterhändler vergeben, wie Keri Russell sie in der Serie spielt. Sondern sie funktionieren als Teil eines Belohnungssystems für ehemalige Wahlsponsoren eines gewählten Präsidenten. Botschafter sind also selten Profis, sondern dankbare Wahlhelfer. Und diese vermitteln eher, als sie sich aufdrängen.

Beim Diplomatenpaar in Cahns «The Diplomat» gilt das Umgekehrte: Die Diplomatin und ihr Mann sind präsent bis zur Dominanz und mischen sich von Anfang an in die internationalen Beziehungen und die britische Politik ein, wie das in der Realität undenkbar wäre.

Wer flucht, zivilisiert die Gewalt

Sie tun das aber auf einem rhetorisch und satirisch dermassen gescheiten Niveau, dass man ihnen überallhin folgt und die erste Staffel der ersten Serie mit derselben Atemlosigkeit inhaliert, wie das Drehbuch in seinem Tempo es vorgesehen hat. Auch können die beiden Figuren auf grossartig obszöne und vulgäre Weise fluchen; das hat etwas Befreiendes im Gegensatz zu den Zwängen, denen Diplomatinnen und Diplomaten in ihrer Arbeit unterworfen sind.

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Auch real existierende Politiker fluchen ohne Unterlass und ziemlich wüst, wenn keine Kamera auf sie schaut. Man kann das als gutes Zeichen sehen. Das mag abstossend klingen, man kann es aber auch als Resultat einer Entwicklung sehen. Denn wie wir von Sigmund Freud gelernt haben: Der erste Mensch, der seinem Gegner keinen Speer entgegenschleuderte, sondern Beschimpfungen, hat die Zivilisation begründet.

Beschimpfungen können das Gegenüber schwer verletzen, entwerten und demütigen, ihm das Selbstwertgefühl wegnehmen aus niedrigsten Motiven dessen, der es verletzt. Aber Beschimpfungen töten nicht, und die geschlagenen Wunden können verheilen. «Sprache ist eine Waffe», sagte der deutsche Schriftsteller und Journalist Kurt Tucholsky. Sie enthält auch ihre eigene Therapie.

Aaron Sorkin, der Beschleuniger

Der Diplomatenserie kommt zudem entgegen, dass die beiden Hauptrollen hervorragend besetzt sind. Keri Russell, die in der düsteren Serie «The Americans» eine sowjetische Spionin spielte, gibt die Diplomatin mit herber Intelligenz, der Engländer Rufus Sewell wiederum spielt ihren amerikanischen Mann mit öligem Charme.

Wem das Tempo der Dialoge und ihre ironische Grundierung bekannt vorkommt, wer die Schauspieler in schnellen, kaskadisch abgestuften, gestochen scharf formulierten, rhythmisch angetriebenen, langen Sätzen reden hört, weiss natürlich, wer diese Kombination als Erster im Fernsehen popularisierte. Es ist Aaron Sorkin, der New Yorker Drehbuchautor und Regisseur. Der ehemalige Crack-Süchtige, der beim Schreiben von quälenden Blockaden gebremst wird, macht aus der Sprache rhetorisches Kokain.

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Seine sieben Staffeln starke Serie «The West Wing» (1999–2006) über einen idealistischen demokratischen Präsidenten und sein Team überraschte die Kritik durch ihre Komplexität und die Brillanz ihrer Dialoge, begeisterte aber auch das Publikum. Die Serie und ihre Darsteller wurden mit Preisen behängt. Sie ist dermassen geistreich erzählt, dass man sie sich immer wieder ansehen kann.

Aaron Sorkin, New Yorker Drehbuchautor und Regisseur, hatte die Idee zur erfolgreichen Serie «The West Wing» und hat einen Grossteil der Drehbücher geschrieben.

Was ihn denn zu «The West Wing» inspiriert habe, fragte ich Aaron Sorkin einmal im Interview. «Ich wollte beweisen», gab er zurück, «dass amerikanische Fernsehzuschauer mehr erwarten als das Bier, dass ihnen ihre Frau vor den Bildschirm bringt.» Seine Eltern hätten ihn schon als Kind in New York zu Shakespeare-Stücken mitgenommen, sagte er noch.

Man merkt das seinen Serien und Filmen an. Sie lösen ein, was Sorkins Stabschef Leo McGarry in «The West Wing» einmal sagt: «Lasst uns das Niveau der Debatte in diesem Land steigern, lasst das unser Vermächtnis sein.»

Der Hass der Sopranos

Aber Aaron Sorkin war nicht nur mit seiner eigenen Serie erfolgreich, sondern motivierte auch andere Drehbuchautoren dazu, anspruchsvoll zu schreiben.

Ohne seinen Input wären die folgenden politischen Serien kaum denkbar gewesen: das US-Remake von «House of Cards» und das Porträt einer destruktiven Medienfamilie nach dem Vorbild von Rupert Murdoch in «Succession» – beides Serien im Übrigen, die direkt auf Shakespeare verweisen, nämlich «Richard III» und «King Lear». Aber auch «Designated Survivor», «Veep, «The Politician», «1600 Penn», «Scandal», «The Wire», «24», «Madam Secretary», «Boss», die dänische Serie «Borgen» und viele andere sind von Sorkin beeinflusst. Das gilt auch für englische Varianten wie «The Thick of It» oder «Political Animal».

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Nun hat Sorkins sprachbesessener Stil auch Gegner, die seinen Stil für komplett unrealistisch halten und denen die intellektuelle Brillanz seiner Figuren auf die Nerven geht. Einer dieser Gegner ist besonders wichtig. Denn der Drehbuchautor David Chase hat «The Sopranos» miterfunden. Das ist die unvergessliche, sechs Staffeln lange Serie über eine Mafiafamilie in New Jersey, deren Boss Tony Soprano (James Gandolfini) wegen seiner Panikattacken eine Therapeutin aufsucht. In Umfragen erkürten Amerikanerinnen und Amerikaner die Sopranos und die Simpsons zu ihren beliebtesten fiktiven Familien.

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Die Hauptrolle bei Chases Serie spielt ein liebender Vater, der auch ein Killer ist. Mit dieser ambivalenten Hauptfigur revolutionierte der Drehbuchautor das ganze Genre. Darum muss man hinhören, wenn er gesteht, dass er «The West Wing» gehasst habe. Und auch alles andere ablehnt, das Aaron Sorkin geschrieben hat. Man könne nicht gleichzeitig seine Serie gut finden und jene von Sorkin, befand er einmal, als die beiden Serien 1999 gleichzeitig starteten, beide mit grossem Erfolg, wenn auch mit einem anderen Narrativ.

Wandelnde Wikipedia-Einträge

Nun wollen sich die wenigsten Zuschauer von einem Drehbuchautor vorschreiben lassen, was sie sehen dürfen und was nicht. Aber es lässt sich nachvollziehen, was Chase an den Figuren seines Rivalen kritisiert: wie unrealistisch sie letztlich sind. Weil sie nicht nur grenzenlosen Idealismus verbreiten, wie man das vom Weissen Haus her nie erlebt hat. Sondern weil sie immer alles wissen. Und jedes Zitat und jede Referenz und jedes historische Detail in jeder Situation abgreifen können, als seien sie wandelnde Wikipedia-Einträge.

Und trotzdem findet man die Heftigkeit von David Chases Ablehnung seltsam. Denn was Aaron Sorkin ins Fernsehen zurückbrachte und neue Serien wie «The Diplomat» als Erzählweise betreiben, funktioniert eben nicht als Abbild der Realität, sondern als ihre sprachliche Reflexion. Sprache als gedachtes Handeln. Diese Art von Serien läuft auf der Welt seit über 2000 Jahren ohne Kamera, vom antiken Athen bis zum modernen New York, auf allen Bühnen dieser Welt. Man nennt sie Theater.