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TV-Clips in Weissrussland
Nestlé wirbt auf Lukaschenkos Propagandasender

Erst rechtfertigt er die Entführung eines Zivilflugzeugs, dann droht er dem Westen mit Vergeltung: Weissrusslands Diktator Alexander Lukaschenko am Mittwoch im Parlament in Minsk.
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Mittwoch, 26. Mai in Minsk: Der weissrussische Diktator Alexander Lukaschenko tritt vor das Parlament und verteidigt die Entführung der Ryanair-Maschine sowie die Verhaftung des Bloggers Roman Protassewitsch. Er nennt den 26-jährigen Oppositionellen einen «Terroristen», er attackiert den Westen, der einen «hybriden Krieg» gegen Weissrussland führe, und er bringt die Schweiz ins Spiel und kündigt Vergeltungsmassnahmen an.

Alle grossen TV-Kanäle übertragen die Rede live. Sender wie Belarus 1, ONT oder das Hauptstadtfernsehen STV sind Lukaschenkos wichtigste Propagandainstrumente. Ihre Führungskräfte werden direkt vom Staatsoberhaupt ernannt oder abgesetzt, die Mitarbeitenden sind dem Regime treu ergeben. Dementsprechend wird Lukaschenkos Auftritt vor dem Parlament in den Nachrichtensendungen ausgiebig gewürdigt und seine Verteidigungslinie zur Staatsraison erklärt: Weissrussland habe alles richtig gemacht, einen «Verbrecher» verhaftet und werde trotzdem zum Opfer westlicher Aggression.

Beim Übergang von politischer Propaganda zu seichter Unterhaltung strahlen alle Sender längere Werbeblöcke aus. Ein einziges Unternehmen ist darin gleich mit mehreren Produkten vertreten: Nestlé bewirbt in Lukaschenkos Staatssendern abwechselnd Nescafe, Nesquik, Ciniminis, Kitkat. Meistens sind es zwei bis drei Werbungen pro Werbeblock. Laut der Analyse eines weissrussischen Marketinginstituts war Nestlé bei der TV-Werbung ausländischer Unternehmen im vergangenen Jahr führend und hatte mehr Werbezeit gebucht als die folgenden drei Unternehmen (Procter & Gamble, Mars, PepsiCo) zusammen.

Proteste gegen Nestlé

Dass der Schweizer Lebensmittelkonzern damit direkt die Propagandamaschine des Regimes in Minsk finanziere, kritisierten oppositionelle Blogger schon vor einigen Monaten. Der unabhängige Telegram-Nachrichtendienst Nexta rief damals seine Abonnenten zu Protesten gegen Nestlé auf. Auf dem Instagram-Account von Nestlé tauchten daraufhin Hunderte Kommentare auf mit Beschimpfungen und der Aufforderung, die Werbung sofort zu beenden. Nestlé reagierte nicht.

«Wir wachsen fröhlich auf»: Nestlé-Werbung am 26. Mai 2021 im staatlichen Propagandasender ONT.

Nexta war von dem nun in Minsk verhafteten und mutmasslich gefolterten Roman Protassewitsch gegründet worden. Der Blogger war dort in letzter Zeit aber nicht mehr aktiv. Über Protassewitschs Verhaftung wurde von den staatlichen TV-Sendern erst gar nicht berichtet, später wurde der Journalist als Mitglied des ukrainischen rechtsextremen Asow-Bataillons denunziert. Er habe versucht, die ukrainische Revolution nach Weissrussland zu exportieren. Soll ein Schweizer Unternehmen solche Sender durch Werbung unterstützen?

«Wir sehen in der Werbung von Nestlé nicht weniger als die Unterstützung terroristischer Propaganda»

Pavel Latuschka, Weissrussische Opposition

Die staatlichen TV- und Radiounternehmen würden sich nicht nur an Verleumdungen und Ehrverletzungen beteiligen, sagt Pavel Latuschka, Leiter der Oppositionsgruppe «Nationales Anti-Krisenmanagement», sondern auch an der schwersten Menschenrechtsverletzung – der Folter. «Wir sind überrascht, dass Nestlé die Vorgänge in Weissrussland ignoriert und weiterhin in den staatlichen Medien wirbt», so Latuschka: «Wir sehen darin nicht weniger als die Unterstützung von terroristischer Propaganda.»

Die EU hat als Reaktion auf die Entführung des Flugzeugs und die Verhaftung des Regimekritikers bereits neue Sanktionen verhängt. Damit zeige die Union, dass sie ausreichende Beweise für Menschenrechtsverletzungen auf Anweisung von ganz oben habe und dass dies durch staatliche Gelder finanziert werde, sagt Gretta Fenner, Direktorin des Basel Institute on Governance. «Spätestens nach dem Verhängen solcher Sanktionen kann ein Unternehmen nicht mehr behaupten, dass es nichts gewusst habe», erklärt Fenner. Und: «Wenn das Unternehmen dann weiterhin für Werbung in staatlichen Fernsehkanälen bezahlt, nimmt es in Kauf, dass damit Menschenrechtsverletzungen finanziert werden könnten.»

Nestlé Weissrussland gehört zum russischen Unternehmen Nestlé Rossiya, die Kommunikation mit den Medien läuft allerdings über den Stammsitz des Konzerns in Vevey. «Kommunikation» ist in diesem Fall arg übertrieben, denn Nestlé sagt auch nach mehreren Nachfragen nichts zu den Aktivitäten in Weissrussland. «Wir können keine Stellungnahme abgeben», ist die knappe Stellungnahme eines Nestlé-Sprechers.