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«Last Chance Tourism»
Noch schnell die Eisbären sehen, bevor sie weg sind

Die Expertin sagt: Besser nicht mehr hinreisen. Touristen beim Gletscher in Argentinien.
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In Kürze:
  • Der Klimawandel bedroht eindrückliche Reiseziele, was den Tourismus ankurbelt.
  • Die Reisenden bringen Geld, auch für den Naturschutz, doch sie belasten das Klima.
  • Eine Expertin sagt, worauf es beim nachhaltigen Reisen ankommt.

Es ist einfache Psychologie: Was vielleicht bald weg ist, ist erst recht interessant.

Mit dem Klimawandel drohen einige der eindrücklichsten Reiseziele der Welt kaputtzugehen. Das macht sie bei Touristinnen und Touristen noch beliebter. Für das Phänomen gibt es auch einen griffigen Namen, der bereits 2010 das erste Mal formuliert wurde: «Last Chance Tourism».

Jetzt oder nie, also, denn wer weiss, wie lange man das Great Barrier Reef in Australien, die Eisbären am Polarkreis oder die Ruinen von Machu Picchu noch aus nächster Nähe erleben kann. Die grossen Gletscher. Venedig oder die Malediven, bevor sie vom Meer verschluckt werden.

Wer jetzt denkt, dass die Reisenden diesen Orten und den Einheimischen dort nur noch mehr schaden: So einfach ist es nicht.

Eine Taucherin schnorchelt über abgestorbenen Korallen im Great Barrier Reef.
Curious Polar Bear (Ursus maritimus) approaches ship's bow, National Geographic Explorer, as tourists view and take photographs. Svalbard, Norway. (Photo by: Ralph Lee Hopkins/Design Pics Editorial/Universal Images Group via Getty Images)

Denn die genannten Destinationen bauen alle längst auf den Tourismus. Wenn dieser ausbleibt oder deutlich weniger wird, versiegt die Haupteinnahmequelle für die lokale Wirtschaft, unzählige Jobs würden verschwinden. Es wird daher auch argumentiert, dass es das Geld aus dem Tourismus braucht – fürs Gewerbe, aber auch, um den Schutz für diese gefährdeten Naturwunder überhaupt zu finanzieren.

Gleichzeitig scheint naheliegend, dass Menschenmengen, Verkehr und Konsum der Natur an diesen einzigartigen Stätten weiter zusetzen.

Ist es nun besser, hinzureisen oder nicht? Judith Meilwes ist Dozentin an der Höheren Fachschule für Tourismus & Management in Samedan GR und Expertin für Nachhaltigkeit. Sie sieht das Hauptproblem in der Menge an Menschen, die die Orte besuchen: «Last Chance Tourism ist oft mit Massentourismus verbunden. Und daher problematisch.» Für Meilwes ist klar, dass die erhöhte Reisetätigkeit das Klima belastet und die Situation vor Ort jeweils verschlechtert.

Es gibt Regeln für nachhaltiges Reisen

Doch was ist mit dem Geld, das Touristen in die Regionen bringen? Meilwes findet, dass man sich dadurch die Reisen an gefährdete Orte schönredet. «In der Realität fliesst oft nur ein Bruchteil tatsächlich in die Region», sagt die Expertin. Zudem helfe lokaler Naturschutz wenig, wenn durch Massentourismus in ferne Destinationen die Klimaänderung verstärkt werde. Dann würden durch wärmere Temperaturen die Gletscher weiterschmelzen oder die Korallenriffe geschädigt werden.

Das bringt ein weiteres Problem mit sich: Die Tourismusziele verändern sich mit den Besuchermassen, erodieren weiter und werden für Reisende somit unsicher, wie die «New York Times» schreibt.

Machu Picchu verändert sich durch die Touristen.
Tourists on foot arrive to Machu Picchu Pueblo, Peru, on January 28, 2024, despite locals blocking the tourist train leading to the world-famous Inca citadel amid a privatization row. (Photo by Carolina Paucar / AFP)

Wer trotzdem an einen Ort reisen will, der zu verschwinden droht, kann sich an ein paar Regeln halten: Man sollte sich den natürlichen örtlichen Begebenheiten anpassen, zum Beispiel allfälligen Wassermangel berücksichtigen sowie Flora und Fauna schützen, indem man auf den Wegen bleibt und keinen Abfall liegen lässt. Lokale Geschäfte sollten gegenüber internationalen Ketten bevorzugt werden.

Entscheidend ist in der Klimarechnung, mit welchem Verkehrsmittel man die grössten Strecken bei der Anreise zurücklegt. Heisst: CO₂-Ausstoss für die Anreise möglichst gering halten. Je weiter das Reiseziel entfernt ist, desto länger sollte man vor Ort bleiben, damit die regionale Wirtschaft mehr vom Aufenthalt profitiert.

Weder das Reisen noch der Verzicht darauf sind nachhaltig

Über all dem steht die Frage, ob Reisen überhaupt nachhaltig sein kann. Dabei geht es um mehrere Aspekte.

Nachhaltigkeit bedeute, dass das Reisen umweltverträglich, wirtschaftlich tragfähig und sozial gerecht sei, sagt Judith Meilwes. Insbesondere Fernreisen seien nicht umweltverträglich. «Wenn aber alle Menschen auf Fernreisen verzichten würden, dann wäre es zwar umweltverträglicher, aber auch nicht nachhaltig, da viele Arbeitsplätze in den nicht mehr besuchten Destinationen wegfallen würden.» Die soziale Gerechtigkeit und die wirtschaftliche Tragfähigkeit wären also nicht mehr gegeben. Das führt zum Dilemma, dass weder das Reisen noch der Verzicht darauf nachhaltig sind.

Wie lange kann man noch die Malediven besuchen, bevor sie vom Meer verschluckt werden? Blick auf Hotels auf der Insel Eydhafushi

«Es geht nicht darum, Reisen zu verurteilen oder zu verbieten», sagt Meilwes. Denn Reisen sei für viele ein Grundbedürfnis und würde zur Völkerverständigung beitragen sowie für fremde Kulturen und fremde Natur sensibilisieren.

Aus Sicht der Nachhaltigkeit lohne es sich, zu fragen, ob es jeweils nicht ein genauso schönes näheres Reiseziel gebe, das nicht vom Massentourismus geprägt sei. Da wären wir in der Schweiz und Europa schon mal gut bedient, Last Chance hin oder her.