Prozess gegen Pierre MaudetNach Luxusreise und Lüge muss er nun vor Gericht
Der 42-jährige Genfer Staatsrat Pierre Maudet muss sich ab Montag wegen Vorteilsannahme vor Gericht verteidigen. Der Strafprozess fällt mitten in den Wahlkampf für seine Wiederwahl.
Ein Regierungsrat sitzt auf der Anklagebank: Über dieses Ereignis werden ab Montag die Medien schweizweit berichten. Die Genfer Staatsanwaltschaft macht dem amtierenden Staatsrat Pierre Maudet den Prozess. Der Vorwurf: Vorteilsannahme im Amt. Das Strafrecht sieht dafür bis zu drei Jahre Freiheitsentzug oder eine Geldstrafe vor. Gerichtspräsidentin Sabina Mascotto hat für den Prozess gleich vier Verhandlungstage reserviert. Auch darum, weil neben Maudet vier weitere Personen auf der Anklagebank sitzen, darunter sein ehemaliger Kabinettschef. Letzterem wirft die Anklage neben Vorteilsannahme Amtsgeheimnisverletzung und Amtsmissbrauch vor. Die Höchststrafe für Amtsmissbrauch sind fünf Jahre Gefängnis.
In ihrer Anklageschrift benennt die Genfer Staatsanwaltschaft das Hauptproblem schon im dritten Satz. Sie schreibt: «Zu Beginn der Legislatur 2013–2018 hat der Regierungspräsident François Longchamp die Mitglieder der Regierung, darunter Pierre Maudet, daran erinnert, dass sie keine Geschenke im Wert von über 150 Franken akzeptieren dürfen.» Die Anklage wirft dem 2012 ins Amt gewählten Maudet vor, sich um die Vorgabe foutiert zu haben. Er soll von Erbprinz Mohamed bin Zayed al-Nahyan eine Einladung an den Formel-1-Grand-Prix von Abu Dhabi angenommen haben, nicht als Privatmann, sondern in seiner Funktion als Justiz- und Volkswirtschaftsdirektor.
Am 26. November 2015 flog Maudet mit seinem Stabschef und seiner Familie in den Wüstenstaat. Vor Ort habe das Programm aus «Hotel, Pool, Zigarren und Grand Prix» bestanden, schreiben die fallführenden Genfer Staatsanwälte. Über 10’000 Franken pro Person soll der Fünf-Tage-Trip mit Flug in der Businessklasse, Suite im Fünfsternhotel Emirates Palace, diversen Einladungen und einem Platz in der königlichen Loge beim Grand Prix gekostet haben.
Anfüttern genügt
Die Vorteilsannahme ist ein Korruptionsdelikt. Für eine Verurteilung braucht es gemäss Rechtsexperten aber keinen Nachweis für eine Gegenleistung. Es genügt, wenn ein Amtsträger von einem Dritten eine ihm nicht zustehende Leistung bekommt und die Drittperson davon ausgehen kann, dass er sie dafür irgendwann honorieren wird.
«Von einer Polizeikooperation hätte nur die Polizei in Abu Dhabi, nicht aber das Genfer Korps profitiert.»
Einen möglichen Kausalzusammenhang zwischen Geschenk und Leistungen haben die Staatsanwälte dennoch herausgearbeitet. Sie betonen, die Königsfamilie von Abu Dhabi habe «diverse Verbindungen nach Genf». Zwischen 2014 und 2018 seien Familienmitglieder 51-mal privat nach Genf gereist und von der Genfer Polizei, der Maudet vorstand, wie Diplomaten empfangen und begleitet worden. Zudem sei vor der Reise ins Königreich über eine mögliche Polizeikooperation zwischen Genf und Abu Dhabi gesprochen worden. Im Anschluss an die Reise habe Maudet schliesslich den Verantwortlichen in seinem Departement mit dem Aufbau einer Kooperation beauftragt. Olivier Prevosto, Chef der Kriminalpolizei, sagte in der Strafuntersuchung: «Von einer Kooperation hätte nur die Polizei in Abu Dhabi profitiert, das Genfer Korps aber nicht.»
Darüber hinaus hat die Staatsanwaltschaft auch die Beziehung zwischen Staatsrat Pierre Maudet und seinem Stabschef Patrick Baud-Lavigne zum einen und den Genfer Immobilienunternehmern Magid Khoury und Antoine Daher zum anderen ausgeleuchtet. Die Ankläger beschreiben Khoury und Daher als Türöffner nach Abu Dhabi und Organisatoren der Reise. Zudem finanzierten sie dem Staatsrat 2017 eine Meinungsumfrage. Maudets Stabschef soll die beiden «gezielt mit vertraulichen Informationen» über Bauprojekte beliefert und weitere Amtsgeheimnisse ausgeplappert haben.
Prozess mitten im Wahlkampf
Für Pierre Maudet kommt der Strafprozess zum ungünstigsten Zeitpunkt. Im Oktober 2020 hat er seinen Rücktritt als Staatsrat bekannt gegeben, verblieb aber im Amt und kandidiert am 7. März für seine Wiederwahl. Die FDP hatte ihn im Sommer 2020 aus der Partei ausgeschlossen. Maudets Anwälte beantragten dem Gericht, den Prozess auf die Zeit nach der Ersatzwahl zu verschieben. Das Gericht lehnte das ab.
Maudets Verteidiger Grégoire Mangeat und Fanny Margairaz werden die Vorwürfe gegen ihren Klienten wohl mit dem Argument entkräften wollen, dass er in Abu Dhabi Genfer Interessen vertrat und die Einladung nicht zurückweisen konnte, weil dies in der Kultur der Gastgeber als Affront empfunden worden wäre. Ihre Argumente werden sie erst während der Verhandlung einbringen. Maudet selbst hatte zunächst abgestritten, dass ihm die Reise geschenkt worden war. Als er durch Recherchen von Journalisten und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft immer mehr unter Druck geriet, musste er schliesslich im September 2018 in einem Live-Interview im Genfer Lokalfernsehen gestehen, dass er gelogen hatte.
Der Staatsanwaltschaft warf Maudet während Monaten vor, parteilich zu sein und die Untersuchung einzig zu seinen Ungunsten zu führen. Er forderte gar die Absetzung der Staatsanwälte. Nicht unglücklich dürfte er sein, dass als Gerichtspräsidentin Sabina Mascotto seinem Fall zugewiesen wurde. Mascotto ist in Justizkreisen äusserst respektiert. Sie gilt als geradlinig und als hervorragende Strafrechtlerin, die sich mit der Arbeit der Staatsanwaltschaft durchaus kritisch auseinandersetzt.
«Ich habe die rote Linie des Strafgesetzes nie überschritten.»
Pierre Maudet selbst hat sich in seinem vor wenigen Tagen erschienenen Buch «Quarantaine» (Quarantäne) zum bevorstehenden Prozess geäussert. Er bezichtigt die Medien, die Unschuldsvermutung verletzt und sich mit Pseudoenthüllungen überboten zu haben. Ganz allgemein müsse man die Politik vom Justiziellen trennen, so Maudet. Und er betont: «Ich habe die rote Linie des Strafgesetzes nie überschritten.»
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