Aussergewöhnliche Ski-WeltmeisterNach dem sagenhaften Gold-Rekord musste sie ins Gefängnis
Modedesigner, Namensgeberin eines Fussballclubs, Eintagsfliegen: Die Ski-WM hat einige bemerkenswerte Figuren hervorgebracht. Nicht alle waren vom Glück verfolgt.
1934, St. Moritz: Christl Cranz
Es ist der Erste Weltkrieg, der die Familie von Christl Cranz von Belgien nach Deutschland vertreibt. In Baden-Württemberg lernt sie Ski fahren und wird in den 1930er-Jahren jene Athletin, die alles in Grund und Boden fährt. Der Slalomsieg in St. Moritz ist der erste von zwölf WM-Titeln, bis heute ist der Rekord unangetastet.
Cranz ist Sportlehrerin und Philologin, sie hat einen Lehrauftrag an der Universität Freiburg. Diesen muss sie nach dem Zweiten Weltkrieg aufgeben: Aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei wird sie für acht Monate inhaftiert und später zu fast einem Jahr Zwangsarbeit in der Landwirtschaft verpflichtet. 1947 flieht Cranz in die amerikanische Besatzungszone nach Steibis im Allgäu, sie gründet eine Skischule, betreibt ein kleines Hotel und schreibt diverse Fachbücher.
Jahrzehnte später wird sie wegen ihrer Verdienste gar in die Hall of Fame des internationalen Frauensports aufgenommen.
1960, Squaw Valley: Roger Staub
Der Platzsprecher gibt eine falsche Zeit durch, als Roger Staub ins Ziel fährt. Es sind die Olympischen Spiele 1960 in Squaw Valley, und der Bündner glaubt also, im Riesenslalom Zweiter geworden zu sein. Doch bald wird der Irrtum korrigiert und Staub zum Sieger erklärt. Und weil die Winterspiele damals auch als Welttitelkämpfe gelten, ist er auch Weltmeister.
Staub ist ein Alleskönner. Mit Arosa gewinnt er die Eishockey-Meisterschaft, er holt nationale Titel im Wasserski, ist ein guter Tennisspieler, gilt als helvetischer Pionier im Deltasegeln. Weil er mit den Ski allerlei Kunststücke beherrscht, wird er gar als Schauspieler für Filme engagiert.
1961 hört er mit dem Skifahren auf, gibt in den USA Unterricht – und entwickelt die legendäre Roger-Staub-Mütze, die über Jahrzehnte hinweg zur Standardausrüstung auf den Pisten gehörte und auf welche die Bankräuber dieser Welt noch heute schwören. Der Clou bei diesem Modell: Man kann die Kappe so weit nach unten ziehen, dass nur Augen und Nase unbedeckt bleiben. 1974 stürzt der erst 38-jährige Staub beim Deltasegeln in den Tod.
1966, Portillo: Marielle Goitschel
Eine Weltmeisterschaft im Hochsommer: Gefahren wird in Portillo, einem Ort in Chile, den der Weltskiverband FIS nicht inspiziert hat und wo es an beheizten Zimmern, Telefonen und Medikamenten fehlt. In der Abfahrt muss sich Marielle Goitschel nur Erika Schinegger geschlagen geben. Wobei aus Erika Erik wird und dieser nachträglich aus den Ranglisten gestrichen wird, nachdem bei einem Chromosomentest herauskommt, dass Schinegger genetisch männlich ist.
Goitschel wird zur Weltmeisterin erklärt, es ist einer von sieben Titeln in ihrer Karriere. Die Goldmedaille kriegt sie erst 30 Jahre später überreicht, es ist die einzige, die ihr geblieben ist, weil Räuber ihren Trophäenschrank plündern.
Nach der Französin war mit dem «FC Goitschel» in den Sechzigern gar der erste Schweizer Frauenfussballclub benannt, weil die Gründerinnen zu den Fans der zweifachen Olympiasiegerin zählten. Sie ist extrovertiert und nimmt während ihrer Karriere gerne Journalisten auf die Schippe. Einmal erzählt sie, sich mit Jean-Claude Killy verlobt zu haben. Die Zeitungen berichten seitenweise, bis Goitschel die Lüge aufklärt.
1989, Vail: Hansjörg Tauscher
Es ist ein Rosenmontag, als der Deutsche Hansjörg Tauscher die Abfahrtsweltelite narrt. Der 21-Jährige aus Bayern ist als nicht ernst genommener Aussenseiter in die USA gereist, aber schon in den Trainings studiert er die «Klapperschlangengasse», eine in den Hang gebaute und einer Bobbahn ähnelnde Doppel-S-Kurve, akribisch wie kein Zweiter. Im Rennen liegt Tauscher zurück, doch dann scheint er in jener Schikane eine Abkürzung zu finden und nimmt der Konkurrenz eine halbe Sekunde ab.
Polizist Tauscher gewinnt sensationell, hinter ihm liegen vier Schweizer, Müller, Alpiger, Mahrer und Besse. Zurbriggen schafft es, gezeichnet von seinem Horrorsturz im Training, nur auf Rang 15. Den Erfolg kann Tauscher nicht ansatzweise bestätigen, er bleibt eine Eintagsfliege ohne Weltcupsieg. Er ist der einzige deutsche Weltmeister in der Königsdisziplin, und mit einem Nachfolger rechnet er nicht. «Eher wird Österreich Fussballweltmeister», sagt er dazu einmal.
Mit den Titelkämpfen vor 34 Jahren ist er noch immer verbunden: Daheim in Oberstdorf vermietet er zwei Ferienwohnungen – die eine heisst Vail, die andere Colorado.
1999, Vail: Zali Steggall
Eine Fahrerin aus Down Under gewinnt den Slalom – und die Skiwelt steht kopf. Zali Steggall ist die erste Weltmeisterin aus Australien, die erste Athletin aus der südlichen Hemisphäre, die einen Titel holt. Und vielleicht wird sie auch die Einzige und Letzte bleiben, der das gelungen ist.
Im Winter davor holt Steggall schon Olympiabronze. Und doch werden die Organisatoren derart überrascht von der Frau aus Sydney, dass sie nicht einmal das richtige Tonband vorrätig haben: Statt der australischen wird an der Siegerehrung die armenische Hymne gespielt. Die Zeremonie wird 24 Stunden später wiederholt.
Steggall, die als Kind zehn Jahre in Frankreich verbringt, lebt quasi immer im Winter. Kurz vor der WM bricht sie wegen schlechter Ergebnisse aus diesem aus, reist heim und lüftet beim Surfen den Kopf.
Nach ihrem Rücktritt 2002 lanciert sie eine zweite erfolgreiche Karriere: Sie wird erst Richterin am Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne, mittlerweile sitzt sie als unabhängige Abgeordnete in der australischen Regierung und setzt sich für den Klimaschutz ein.
2007, Are: Patrick Staudacher
Ein paar Wochen vor der WM stürzt der Südtiroler im Training, befürchtet wird ein Meniskusschaden. Aber Patrick Staudacher schwänzt die geplante MRI-Untersuchung absichtlich, weil er befürchtet, der Arzt werde ihm die Reise an die Titelkämpfe in Schweden verbieten. Also fährt er den Super-G mit Knieschmerzen – und gewinnt ihn. Mit der Goldmedaille wird ein Traum wahr, den er gar nicht geträumt hatte.
Nie ist Staudacher, der sich wegen vier Knieoperationen vom Slalom- zum Speedfahrer hat umschulen lassen, im Weltcup besser gewesen als Fünfter. Nun bejubelt Italien den ersten Weltmeister seit Alberto Tomba. Staudacher, der Ziehharmonika und Bassgitarre spielt, mit einer Rockband Konzerte gibt und im Sommer in der Alphütte der Eltern anpackt, kann seinen Erfolg nie bestätigen. 2012 hört er mit 31 Knall auf Fall auf.
2009, Val-d’Isère: John Kucera
35 – 32 – 22 – 29 – 14 – 21. Das sind im Februar 2009 nicht die Lottozahlen, sondern John Kuceras Ergebnisse in den sechs Abfahrten vor der WM. In Val-d’Isère startet der 24-Jährige mit der Nummer 2 und fährt im Sonnenschein, bald schon aber wird die Piste von Wolken abgedunkelt. Es ist ein grosses Handicap für Didier Cuche, der die 16 trägt und lumpige vier Hundertstel auf Kucera einbüsst. Die Konkurrenz ist sich einig: Besser als der Schweizer ist keiner gefahren.
Kuceras Eltern sind einst von Tschechien über Österreich nach Kanada geflüchtet. Der Junior ist der erste kanadische Weltmeister überhaupt. Wobei heimische Zeitungen später mehrfach vom Fluch des Titels berichten: Neun Monate nach dem Abfahrtsgold erleidet er einen offenen Schien- und Wadenbeinbruch. Er muss zwei Saisons auslassen, und als er sich als Vorfahrer an einem kleinen Rennen wieder an den Weltcup herantasten will, verletzt er sich erneut und fällt ein weiteres Jahr aus. Als das Bein endlich geheilt ist, folgt der nächste Rückschlag: Wegen einer Erkrankung im Innenohr hat Kucera Gleichgewichtsstörungen, ihn plagen Schwindel und Übelkeit. Mit 29 hört er auf und wird Trainer.
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