Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Schweizer Museen
Hinein in den Schweizer Kunst­herbst – vier Aus­stellungen, die man gesehen haben sollte

Unter seinem Zeichenstift erstarrt das Bündnerland in Totenstille: Otto Dix’ «San Gian im Winter» (1938).
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

«Otto Dix und die Schweiz» im Bündner Kunstmuseum

Otto Dix, der mit seinen Bildern aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs und den Tanzlokalen aus den Roaring Twenties in Dresden und Berlin weltberühmt wurde, konnte auch anders. Musste auch anders: Denn seine Bilder waren so messerscharf und provokant, dass sie von den Nazis weggeschlossen oder vernichtet wurden. Mehr als 250 seiner Gemälde haben sie in deutschen Museen beschlagnahmt. Otto Dix (1891–1969) wurde zur Persona non grata. Er zog sich 1933 nach Süddeutschland zurück. Ab 1936 wohnte er in einem Haus am Bodensee, reiste immer wieder in die Schweiz und malte Landschaften: Bündner Täler und Berge, knorrige Kiefern, verkrüppelte Lärchen.

Sie stehen nun im Mittelpunkt einer kleinen, aber feinen Ausstellung des Bündner Kunstmuseums in Chur. Unter Dix’ Zeichenstift erstarrt das Engadin in Totenstille, die Ebenen und Hänge sind menschenleer, schroff ragen die Felsen in den Himmel. Es fröstelt einen, wenn man das anschaut. Die Lärche, die Dix in den blauen Himmel schraubt, wird zur Chiffre existenzieller Not. Seine dramatischen Landschaften wirken wie ein Spiegel der Befindlichkeit des Malers, der auch dann jederzeit politisch blieb, wenn ihm die Nazis seine explizit politische Kunst untersagten. Oder wie Stefan Kunz, Museumsdirektor und Kurator der Ausstellung, erklärt: Dix schaffte es mit seinen Landschaften, künstlerisch tätig zu sein, ohne sich zu verleugnen.

«Otto Dix und die Schweiz» im Bündner Kunstmuseum dauert bis zum 27. Oktober.

«Chaïm Soutine: Gegen den Strom» im Kunstmuseum Bern

Chaïm Soutine: «Paysage de Cagnes» (1923/1924).

Chaïm Soutine wurde 1893 in eine jüdische Familie in Smilowitschi geboren, einer kleinen Stadt, die heute auf dem Staatsgebiet von Belarus liegt. Er wanderte 1913 nach Paris aus. Das Leben für Juden im zaristischen Russland wurde nach den Pogromen von 1881/82 und 1903 und 1905 immer unerträglicher. Schätzungsweise verliessen damals fast zwei Millionen Jüdinnen und Juden Russland.

Soutines Malerei ist ein intensives Ringen um den eigenen Ausdruck. Jedes seiner expressiven Bilder entsprang einem fast existenziellen Kampf. Nicht selten zerstörte er seine eigenen Bilder, wenn sie ihm nicht gefielen. Seine Malerei ist in Deutschland und Dänemark wenig bekannt, stiess aber bei Schweizer Sammlern wie Emil G. Bührle, Karl im Obersteg oder Georges Frédéric Keller auf grosses Interesse, deren Werke in den Kunstmuseen von Zürich, Bern und Basel zu besichtigen sind. Dennoch war Soutine hierzulande in der breiten Öffentlichkeit im Vergleich etwa zu Marc Chagall, der ebenfalls im heutigen Belarus zur Welt kam, wenig bekannt.

Das zu ändern hat sich das Kunstmuseum Bern vorgenommen, das mit 74 ausdrucksstarken, zum Teil knallbunten Gemälden aufwartet. Die hinreissenden Porträts des Künstlers zeigen meist aus der Unterschicht stammende Personen, die auf abstossend-anziehende Weise karikiert werden. Seine Landschaften und besonders die Stadt- und Dorfansichten wirken mit ihren schiefen und gewellten Linien wie lebendige Organismen. Soutine macht Kunst, die sich mit jedem Bild ein bisschen mehr den Formen entzieht, die uns eine fotografische Realität vorgibt, und sich immer mehr ins Expressiv-Abstrakte ausdehnt. Genau dieses Changieren zwischen Figur und Abstraktion hat spätere Künstler wie Francis Bacon, Jackson Pollock, Willem de Kooning, Georg Baselitz und Alice Neel an Soutine interessiert.

«Chaim Soutine. Gegen den Strom» im Kunstmuseum Bern dauert bis zum 1. Dezember.

«When We See Us. Hundert Jahre panafrikanische Malerei» im Kunstmuseum Gegenwart

Roméo Mivekannin: «Le modèle noir, d’après Félix Vallotton» (2019).

Das Kunstmuseum Basel hat wegen grossen Publikumsinteresses soeben seine Ausstellung über afrikanische Kunst verlängert, die Werke von über 120 Künstlerinnen und Künstlern aus Afrika versammelt. Sie befassen sich mit so privaten Dingen wie Sinnlichkeit, Alltag, Freude und Ausgelassenheit sowie Triumph und Emanzipation. Bei aller Verschiedenheit in Stil und Malweise zeigen die ausgestellten Gemälde und Zeichnungen im Sinne des Ausstellungstitels «When We See Us» den Blick von schwarzen Künstlerinnen und Künstlern auf sich selbst.

Eines der schönsten Bilder dieser Schau ist «Le modèle noir, d’après Félix Vallotton» von Roméo Mivekannin, der 1986 in der Elfenbeinküste geboren wurde und in Frankreich Kunstgeschichte und Architektur studiert hat. Vorlage für sein Gemälde ist Felix Vallottons «La Blanche et la Noire» aus dem Jahr 1913, das in der neu renovierten Villa Flora in Winterthur zu besichtigen ist. Vallotton wiederum bezieht sich auf Édouard Manets «Olympia» (1863) und Jean-Auguste-Dominique Ingres «L’Odalisque à l’ésclave» (1839).

Für seine Vallotton-Variation platziert sich Mivekannin mit einem gehörigen Schuss Ironie selbst ins Gemälde. Dort nimmt er den Platz der schwarzen Frau ein, die bei Vallotton Zigarette rauchend auf dem Bett sitzt und auf die Nackte schaut, deren Kurven sich in den grünen Bildhintergrund schreiben. Mivekannin freilich zeigt sich nicht wirklich an der Schönen interessiert, sondern blickt aus dem Bild heraus auf die Menschen, die das Bild betrachten. Bei ihm, das macht auch der Titel klar, ist der schwarze Künstler im Zentrum, der sich über seine Inbesitznahme des Bildes schelmisch zu freuen scheint.

«When We See Us. Hundert Jahre panafrikanische Malerei» im Kunstmuseum Gegenwart, Basel, dauert bis zum 24. November.

«Ugo Rondinone. Cry Me a River» im Kunstmuseum Luzern

Ugo Rondinone: «Lights» (2023) und «Cry Me a River» (1995).

Durch einen Wald neongelb leuchtender Blitze führt uns Ugo Rondinone hinein in seine ganz der Natur gewidmeten Schau im Kunstmuseum Luzern. «Cry Me a River» hat er sie betitelt. Wie jenen Song, der von einer unerwiderten Liebe handelt und den Ella Fitzgerald und Barbra Streisand weltberühmt machten. Die Redewendung wird im Amerikanischen auch oft verwendet, wenn man sich über jemanden lustig macht, der sich zu sehr selbst bemitleidet.

Melancholie durchweht diese wundersam konzipierte Schau, in der die Erhabenheit mit der Verletzlichkeit der Natur konfrontiert wird. Ugo Rondinone, der 1964 in Brunnen am Vierwaldstättersee als Kind italienischer Einwanderer zur Welt kam, also kaum 30 Minuten Autofahrt vom Kunstmuseum Luzern entfernt, führt dazu Werke aus den letzten dreissig Jahren seines reichhaltigen Schaffens zusammen. Ein zentraler Bestandteil sind seine über 150 kaum 30 Zentimeter hohen Tierskulpturen, die er aus Gips geformt und in Bronze gegossen hat, sodass jede einzelne Figur noch die Spuren seiner gestaltenden Hände aufweist. Ein Raum voller Vögel, die am Boden herumstehen, ein weiterer mit Fischen, die von der Decke herabhängen, und ein weiterer mit kleinen, stehenden Pferden, die ihren Kopf beinahe demütig gesenkt haben.

Diese Tiere machen das Kreatürliche der Natur spürbar, die buchstäblich zu Füssen der Besucherinnen und Besucher sich ausbreitet. Sie werden konterkariert in dieser grossartigen Ausstellung von einer Installation, die aus lauter schräg in den Raum gespannten Ketten einen Regenschauer nachbildet, von einer Gruppe steinerner Riesen, die aus mächtigen Steinblöcken gefügt sind, und einem grossen Gemälde, das den Vierwaldstättersee mit seinen umliegenden Bergen in hellem und dunklem Blau so abbildet, dass man hineinspringen möchte.

«Ugo Rondinone. Cry Me a River» im Kunstmuseum Luzern dauert bis zum 20. Oktober.