Traumhafte Besucherzahlen Das Publikum rennt den Museen die Türen ein
Wissen ist sexy: Viele Museen vermelden für 2023 unerwartet gute Eintrittszahlen. Woran das liegt? Am neuen Publikum – aber nicht nur.
Die Angestellten schaffen eilig den Tannenbaum aus dem Haus, kurz bevor um 9 Uhr das Museum öffnet. Vor der Schiebetür stauen sich bereits die Kinderwagen, die jüngsten Besucherinnen und Besucher drücken sich an der Scheibe die Nasen platt. Es ist der ganz normale Wahnsinn am Anfang des Jahres im Naturhistorischen Museum in Bern.
146’900 Eintritte wurden gezählt, das zweitbeste Resultat in der Geschichte des Hauses. Dass 2023 – nach einem sehr starken Vorjahr – noch mehr Besucherinnen und Besucher kommen würden, hat selbst im Museum überrascht. Nur 2019, als der Blockbuster «T-Rex» Dino-Fans aus der ganzen Schweiz ins Museum lockte, wurden noch mehr Eintritte verkauft (193’000).
Einen Steinwurf entfernt steht das Historische Museum, das ebenfalls erfreuliche Zahlen vermeldet: 50 Prozent mehr Publikum als budgetiert. Und das Museum für Kommunikation gleich nebenan pulverisiert mit 128’000 Eintritten seinen Rekord von 2019.
Rekorde in Basel und Zürich
In Basel sieht es ähnlich aus: Auf Anfrage gibt das Historische Museum Basel bekannt, dass 83’000 Eintritte verzeichnet wurden. Ein Drittel mehr als 2022. Und das Naturhistorische Museum Basel erreicht mit 167’000 Eintritten einen neuen Spitzenwert. In Zürich stellte das Landesmuseum, das meistbesuchte historische Museum der Schweiz, mit 312’000 Eintritten ebenfalls einen neuen Besucherrekord auf.
Dass die Museen selbst ihre besten Vor-Pandemie-Werte überbieten, hat mehrere Gründe. Zunächst inhaltliche: Viele wissenschaftliche Museen mit grossen Sammlungen befreiten sich in den letzten Jahren aus den Fesseln der eigenen Vergangenheit. Statt den Fokus allein auf Exponate aus dem Museumsdepot zu legen, präsentieren die Häuser ihre Themen mit einem gesellschaftspolitischen Dreh und wecken dadurch das Interesse der Menschen.
Ein Paradebeispiel ist die Sonderausstellung «Sexy – Triebfeder des Lebens» über tierische Verhaltensweisen und Paarungsarten im Naturhistorischen Museum Basel. Die Sonderausstellung ist zwar erst im November angelaufen, hat aber laut Sprecherin Yvonne Barmettler zum guten Resultat beigetragen. Warteschlangen vor dem Museum zeugen von anhaltendem Interesse. «Wir haben aber auch ausserordentlich viele Besuchende an Sonderveranstaltungen wie dem Familiensonntag oder den After Hours begrüsst», sagt Yvonne Barmettler.
Vielfältig und sachfremd
Das Naturhistorische Museum in Bern hatte mit der mehrfach preisgekrönten Ausstellung «Queer», die im Frühjahr 2023 zu Ende ging, einen ähnlich gelagerten Volltreffer gelandet. Das Thema der Geschlechtlichkeit bei Mensch und Tier zog viel neues Publikum an. Gänzlich sachfremd war die Ausstellung der Gemälde von Patent-Ochsner-Sänger Büne Huber im vergangenen Sommer. Seine grosse Fangemeinde hat ebenfalls zum guten Resultat beigetragen.
Weniger Berührungsängste mit populären Themen: Auch das Historische Museum in Bern hatte mit dieser Strategie Erfolg. Die kleine Ausstellung zum 125-Jahre-Jubiläum des örtlichen Fussballmeisters YB hat bisher 12’000 Besuchende angezogen. Fussball, Feierabendbier und Diskussionsrunden: Die grossen Bemühungen um Niederschwelligkeit und Publikumsnähe scheinen sich auszuzahlen.
Die Alten sind zurück
Doch die Gleichzeitigkeit des Erfolgs lässt darauf schliessen, dass nicht nur klug gewählte Ausstellungsthemen und vorbildliche Vermittlung zum Erfolg beigetragen haben. Viel spricht dafür, dass die Museen von einem demografischen Faktor profitieren: Noch nie gab es so viele rüstige Rentnerinnen und Rentner wie heute, die Zeit und Musse für einen Museumsbesuch haben. Sie kehrten 2022 – nach Corona – erst zögerlich zurück. 2023 waren sie wieder da – und wie.
Merja Rinderli, Sprecherin des Historischen Museums Bern, wendet dagegen ein, dass sich eine über Erwartung gelaufene Ausstellung wie «Rausch» explizit an ein junges Publikum gewendet habe. Sie geht davon aus, dass 2023 auch der Tourismus ein wichtiger Faktor war. Dafür spricht, dass in ihrem Museum die Einstein-Ausstellung, die grösstenteils von Touristinnen und Touristen besucht werde, 40 Prozent besser als budgetiert gelaufen ist. Die unerwartet schnelle und spürbare Rückkehr der Urlaubsgäste habe zum guten Resultat beigetragen. «Wir gehen davon aus, dass gleichzeitig der Binnentourismus, der während der Pandemie gross war, teilweise geblieben ist.»
Das Landesmuseum Zürich teilt diese Einschätzung. «Das Landesmuseum ist bei Touristinnen und Touristen sehr beliebt, deshalb wirken sich Veränderungen bei den Logiernächten auch auf unsere Eintrittszahlen aus», sagt Sprecher Alexander Rechsteiner. In Zürich stiessen «Sprachenland Schweiz» oder die Ausstellungen zu 175 Jahre Bundesverfassung auf grosses Interesse. Auch klassische Themen fanden also 2023 viel Publikum.
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