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Meinung

Katja Früh über das Elend ihrer Mutter
Müssen sich Kinder um ihre alten Eltern kümmern?

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Ich habe mich nicht über die Massen um meine alte Mutter gekümmert. Zu Recht? Zu Unrecht?

Sie war schwierig und konnte keine Hilfe annehmen. Viele Menschen stiess sie von sich. Sie hatte Panik, von jemandem abhängig zu sein. Meine Schwester und mich kritisierte sie ständig. Als sie etwa siebzig war und schon Witwe, habe ich sie noch ständig überallhin mitgenommen und zu uns nach Hause eingeladen, sie tat mir so unglaublich leid in ihrer Einsamkeit. Zudem dachte ich, es sei meine Pflicht. Und darauf will ich eigentlich hinaus: Ist es das? Ist es Pflicht für die Kinder, sich um die alten Eltern zu kümmern? Wie immer deren Charakter und die Beziehung auch sein mag? Einfach weil sie dich in die Welt gesetzt haben, ohne zu fragen, musst du sie jetzt vielleicht pflegen? (Immer vorausgesetzt, du bist eine Frau.)

Wenn du es nicht tust, werden dich die Schuldgefühle niederringen, wenn du nicht aufpasst, machen sie dich kaputt. Aber deine Aufgabe als «Kümmerin» macht das auch. Das Schwierigste für mich war, dass es meiner Mutter nie gut ging. Nicht die Krankheiten, nicht das Körperliche, sondern die Art, wie sie mir stumm vermittelte, ich könnte etwas gegen ihr Elend tun. Ihr Elend war das Altwerden. Gegen das ich nichts tun konnte, das sie mir aber trotzdem irgendwie vorwarf.

Ihr inneres Bild von sich war das einer selbstständigen Intellektuellen, natürlich immer noch wahnsinnig gut aussehend, die niemanden braucht, aber von allen umschwärmt ist. Was hätte ich darum gegeben, wenn es so gewesen wäre! Weil ich mich dann nicht hätte kümmern müssen? Ist es das, was Kinder sich am meisten wünschen: dass ihre Eltern glücklich sind? Ich glaube schon. Manchmal aus Liebe zu ihnen, manchmal aber einfach, weil es eine so grosse Entlastung wäre.

Natürlich habe ich mir, wie meine Mutter, vorgenommen, dass sich meine Kinder später einmal nicht um mich kümmern müssen. Dass es niemals eine Pflicht für sie sein wird, für mich zu sorgen. (Meine Mutter sagte manchmal, wenn ich sie besuchte, mit dunkler Stimme: Ach, das machst du doch nur aus Pflicht.)

Dass ich selbständig und vor allem fröhlich bleibe bis ins hohe Alter. Dass die Pflege Profis übernehmen werden. Und doch habe ich ein Bild vor Augen: Ein grosses Haus mit Kamin, wie ich uralt in einem riesigen Sessel sitze, meine Tochter bringt mir das Essen, mein Sohn richtet mir eine Streaming-Plattform ein, die vielen Enkel um mich rum, ich fühle mich umsorgt, gehegt, gepflegt, geborgen. Träumen wird man ja wohl noch dürfen.

Katja Früh ist Drehbuchautorin und Regisseurin.