Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Folterskandal in Italien
«Morgen schlachten wir sie wie Kälber»

Die Beamten stehen Spalier, alle schlagen zu: Szene aus dem Video der Zeitung «Domani», das die Gewaltszenen aus dem Gefängnis in Santa Maria Capua Vetere zeigt. 
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Ein Skandal schüttelt Italien. Und da es nun auch ein Video dazu gibt, ein sechs Minuten langes Beweisstück mit dramatischen Bildern, exklusiv veröffentlicht von der italienischen Zeitung «Domani», wird das lange Leugnen und Schönreden in diesem Fall wohl bald ein Ende haben.

Im Gefängnis von Santa Maria Capua Vetere bei Neapel haben Polizeiwärter mitten in der ersten Pandemiewelle im April 2020 in einer Art Strafexpedition mehr als 100 Häftlinge übelst malträtiert, sie erniedrigt und geschlagen. Voruntersuchungsrichter Sergio Enea schreibt in seiner dicken Verfügung von einem «schrecklichen Schlachtfest», das nun zur Verhaftung von einstweilen 52 Mitgliedern der Polizia Penitenziaria, der Gefängnispolizei und Vorgesetzten führte. Die Szenen seien eines zivilisierten Landes nicht würdig.

Italiens Anstalten sind chronisch überbelegt, die Hygiene ist prekär

Vorgeworfen wird den Festgenommenen unter anderem schwere Körperverletzung und Fälschung amtlicher Dokumente. Sie sollen versucht haben, die Aufnahmen der Sicherheitskameras nachträglich zu manipulieren, doch da lag das Material schon bei der Staatsanwaltschaft. Ärzte haben offenbar falsche Diagnosen angeblich verletzter Wärter erstellt, um den Hergang des Vorfalls umzukehren.

Mehr als ein Jahr später kommt nun aber alles ans Licht. Am 5. April 2020 hat es in der Anstalt Francesco Uccella in Santa Maria Capua Vetere eine kleine Revolte von Häftlingen gegeben – recht friedlich im Vergleich mit Aufständen in jener Zeit in anderen Anstalten im Land. Ausgelöst wurden sie durch alte, strukturelle Probleme in gefährlicher Mischung mit dem Notstand wegen der Corona-Pandemie. In Italien sind die Gefängnisse chronisch überbelegt und die hygienischen Zustände in aller Regel prekär.

Aufstände gab es überall im Land – in Santa Maria waren sie friedlich

Als die italienische Regierung im März einen harten Lockdown verordnete, wurden auch die Familienbesuche verboten. Drinnen fehlte es an Gesichtsmasken, Desinfektionsmittel und Platz für die nötige Abstandswahrung. In anderen Gefängnissen wurden im allgemeinen Chaos die Medikamentenschränke geplündert, auch Methadon kam weg. 14 Häftlinge starben bei den Aufständen, einige von ihnen wohl an den Folgen einer Überdosis.

In Santa Maria Capua Vetere war an jenem 5. April bekannt geworden, dass es einen Infektionsfall gegeben hatte. Die Sorge unter den Mithäftlingen war gross, sie protestierten für mehr Schutz. Nach einigen Stunden war die Revolte vorbei. In der Nacht darauf beschloss der Leiter aller Gefängnisse in Kampanien, einige hundert Wärter ins Francesco Uccella zu entsenden, um dort für «Ordnung und Disziplin» zu sorgen.

Sogar einen Häftling im Rollstuhl haben sie verprügelt

Die Ermittler haben Kurznachrichten und Gespräche der verdächtigten Beamten in die Akten aufgenommen. «Morgen schlachten wir sie wie Kälber – zähmt das Vieh!», steht in einer Botschaft. Vier Stunden soll die Strafaktion gedauert haben. Danach schrieb einer der beteiligten Täter: «Keiner konnte sich retten, wir haben gewonnen.» 130 Häftlinge wurden misshandelt, 41 von ihnen erlitten schwere Verletzungen.

Im Video sieht man, wie Beamte mit Gesichtsmasken oder Helm Häftlinge vor sich hertreiben, sie in die Knie zwingen, die Hände hinter den Köpfen, und auf sie einschlagen. Andere Einstellungen zeigen, wie Häftlinge, die kaum mehr stehen können, durch das Spalier von Wärtern geschleust und dabei geschlagen werden.

Sogar einen Häftling im Rollstuhl haben sie verprügelt. «Das waren keine Menschen, das waren Dämonen», erzählte der Mann der Onlinezeitung «Fanpage». Er habe 28 Jahre in italienischen Gefängnissen gesessen, bevor er nun nach Strafablauf freigekommen sei – Drogen, Zugehörigkeit zur Mafia, da sei einiges zusammengekommen. Aber so etwas wie in der Haftanstalt von Santa Maria habe er noch nie erlebt.

Die Staatsanwaltschaft prüft nun auch die Hintergründe, die zum Tod eines 28-jährigen Algeriers mit psychischen Problemen geführt haben. Auch er wurde an jenem Apriltag vor einem Jahr brutal geschlagen, dann steckte man ihn unrechtmässig in Isolationshaft und verweigerte ihm seine Medikamente – er starb einige Wochen später an Herzversagen.

«Das ist ein schwarzes Kapitel für unsere Demokratie.»

«Domani»

«Das ist ein schwarzes Kapitel für unsere Demokratie», schreibt «Domani». Solche Vorfälle kenne man sonst nur aus «Knästen einer Diktatur». Doch trotz zusehends wachsender Indizienlage zog es ein Teil der italienischen Politik bisher vor, den Skandal kleinzureden. Matteo Salvini und Giorgia Meloni, Anführer der rechten Lega respektive der postfaschistischen Fratelli d’Italia, stellen sich demonstrativ hinter die Wärter. Salvini kündigte an, er werde nach Santa Maria Capua Vetere fahren, um den Beamten seine Solidarität persönlich auszudrücken. «Die Lega wird immer an der Seite der Sicherheitskräfte stehen.»

Marta Cartabia, die parteilose Justizministerin, gibt sich nach anfänglichem Zögern offen empört. Der Vorfall verletze die Würde der Häftlinge und beschmutze die Uniform. «Er ist ein Verrat an der Verfassung», sagte sie. Die italienische Linke fordert Cartabia auf, sofort im Parlament zu erscheinen und über den Fall zu referieren. Die Ministerin ist erst seit vier Monaten in ihrem Amt, die Einheit der Gefängnispolizei steht aber in ihrer direkten Verantwortung.