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Italiens neue Regierung
Salvini vollführt einen Salto mortale

Ist nun plötzlich alles anders? Matteo Salvini muss in diesen Tagen überall seine politische Wandlung erklären.
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Italiens Politiker sind bekannt für ihre Akrobatik, es waren schon viele halsbrecherische Einlagen dabei in der Geschichte der Republik. Hochseilakte über den Niederungen des Opportunismus, bizarre Verbiegungen für die Galerie. Von allen Metaphern und Allegorien, die Matteo Salvini nun während der Bildung der neuen italienischen Regierung für seine spektakuläre Wandlung um die Ohren fliegen, ist die der religiösen Bekehrung, des Damaskuserlebnisses, die häufigste und wohl auch die unpassendste – vom Saulus zum Paulus in einer römischen Winternacht.

Vom Europagegner zum Europafreund. Aus der ganz rechten Ecke des souveränistischen Populismus direkt hinüber in eine hauptsächlich linke und liberale Koalition tatsächlicher «Europeisti». Die Zeitung «La Repubblica» fragt: «Wenn sich der Teufel das Engelsgewand überstreift, wird er dann gutmütig, oder bleibt er ein Teufel?» Und: «In unserer politischen Theologie steckt eben immer ein Stück Komödie.»

Kann Draghi die Lega draussen lassen?

Salvini will also unbedingt dabei sein, wenn Mario Draghi, Italiens designierter Premierminister, in den kommenden Tagen sein Kabinett zusammenstellen wird. Am liebsten würde er wieder Minister werden, doch diese Aussicht scheint eher dünn zu sein. Überhaupt fragt sich, wie seine Lega ins Gefüge einer grossen Koalition mit unvereinbaren Seelen passt, ohne sie zu sprengen. Andererseits: Kann Draghi die Lega, die gemäss Umfragen noch immer knapp Italiens stärkste Partei ist, draussen lassen, obschon die reinwill und sich dafür bis zur Selbstverleugnung verbiegt?

Salvini jedenfalls gibt alles. Draghi ist auch für ihn eine unverhoffte Chance: Seit seinem selbst verschuldeten Sturz im Sommer 2019, dem Höhepunkt seiner Popularität, verlor die Lega etwa ein Drittel ihres Zuspruchs. Ein Grossteil davon ging an die Postfaschisten von Giorgia Meloni, der Rivalin im rechten Lager, die nun als einzige Kraft im Parlament in die Opposition geht mit dem Ziel, Salvini zu überholen. Salvinis persönliche Gunst implodierte regelrecht, was auch daran lag, dass er in der Pandemie nie den richtigen Ton fand. Im wirtschaftlich starken Norden, dem Stammgebiet der Lega, drängen ihn die Unternehmer in der Krise zu einer vernünftigen Politik – und deshalb in die Arme Draghis.

Als Chef der EZB galt er der Lega noch als «Schande»: Mario Draghi, Italiens designierter Premier.

Nach seiner zweiten Unterredung klang Salvini so, als decke sich seine Weltsicht in Perfektion mit der des «Professor Draghi», wie er ihn nennt. Er sagte zum Beispiel: «Wir müssen uns an den Demokratien und den Freiheiten des Westens orientieren, wir dürfen nicht Fans sein von Regimes, die nicht demokratisch sind.» Er meinte wohl sich selbst. Es ist noch nicht lange her, da beschrieb er Wladimir Putin als «einen der besten Politiker unserer Epoche» und suchte dessen Nähe, wann immer möglich. Nun ist Salvini Atlantiker.

Er bricht mal kurz mit der AfD, der FPÖ und mit Marine Le Pen

Für die Immigrationspolitik wünscht er sich für Italien «einen europäischen Weg», einen ähnlichen wie Frankreich, Spanien und Deutschland. Wie das zu seiner Politik der geschlossenen Häfen passt, mochte er nicht näher erläutern.

Seinen 29 Europa-Abgeordneten riet er, für das Reglement zum Revovery Plan der Europäischen Union zu stimmen – und damit gegen die Linie der rechtsextremen Fraktion «Identität und Demokratie», deren Gründung er einst befördert hatte zusammen mit der AfD, der FPÖ und Marine Le Pens Rassemblement National. Ein dauerhafter Bruch? Man hört, die Lega würde gerne in die Europäische Volkspartei wechseln, und zwar sofort, um endlich auch von jenem Establishment respektiert zu werden, ohne deren Billigung sie wohl nie wirklich für regierungswürdig gehalten wird: Brüssel, Wirtschaftswelt, Vatikan. Dieser Meinung ist wenigstens Giancarlo Giorgetti, Nummer zwei der Lega, Freund Draghis und grosser Einflüsterer des Parteichefs.

«Schade, dass ein Italiener Komplize ist beim Massaker unserer Wirtschaft, unserer Jobs, unserer Jugend, unserer Hoffnung. Schande.»

Matteo Salvini 2017 über Mario Draghi

Salvini sagt jetzt oft: «Ich bin ein Pragmatiker, Etiketten gefallen mir nicht.» Ausgerechnet. Salvini war lange Zeit eine wandelnde Etikette, kein Auftritt ohne Shirt mit Aufdruck. «Basta Euro», «Stop Invasione», «Nein zu den Sanktionen gegen Russland» – Etiketten waren sein Programm.

An die moderate Version Salvinis muss sich auch Draghi selbst zuerst einmal gewöhnen. Als der damalige Vorsitzende der Europäischen Zentralbank 2017 sagte, dass der Euro die Europäer «unwiderruflich» vereine, antwortete ihm Salvini so: «Schade, dass ein Italiener Komplize ist beim Massaker unserer Wirtschaft, unserer Jobs, unserer Jugend, unserer Hoffnung. Schande.» Aber eben, das war gestern.