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Mordprozess am Zürcher Obergericht
Das Gericht glaubt ihm den Todeskampf mit dem Panther nicht

Ein brasilianischer Koch hat einen (halbprominenten) Coiffeur und Liebhaber brutalst umgebracht. Er soll 18 Jahre hinter Gittern.
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«Wie, glauben Sie, ist das Opfer zu Tode gekommen?», fragt der vorsitzende Oberrichter den Beschuldigten, einen 43-jährigen Brasilianer. Dieser versteht die Frage zuerst nicht und sagt dann: «Bis heute ist er in meinem Kopf nicht tot.» Mit «er» ist ein zur Tatzeit 48-jähriger Portugiese gemeint.

Er habe doch, will der Richter weiter wissen, in einem Brief kurz vor der ersten Gerichtsverhandlung im November 2021 anerkannt, den Tod des 48-Jährigen verursacht zu haben. «Es ist, als ob ich es nicht verursacht habe», sagt er jetzt. «Ich sehe bis heute nicht, dass ich jemanden getötet habe.» Minuten zuvor hatte er auch noch gesagt, was damals «passiert ist, hat es für mich nicht gegeben».

Die Ungeheuerlichkeit einer Tat

Dabei ist, auch für seine Verteidigerin, unbestritten, dass er der Täter ist. Also ein klassischer Fall von Amnesie, das heisst der Unfähigkeit, sich an ein zurückliegendes Ereignis erinnern zu können? Für die Staatsanwältin ist der Fall klar: Der Beschuldigte sei «nicht bereit, die Ungeheuerlichkeit seiner Tat anzuerkennen».

Sie nennt das, was damals passiert ist, einen «verstörenden Gewaltexzess», spricht von «unfassbarer Kaltblütigkeit» und «aussergewöhnlicher Grausamkeit», die mit «qualvollen Schmerzen» für das Opfer verbunden war. Der 43-Jährige wolle sich offensichtlich nicht daran erinnern, was an Allerheiligen 2019 im Nebengebäude eines Hotels in Zürich-Albisrieden geschah.

Damals waren der Brasilianer und der Portugiese am frühen Morgen im Zimmer 101 eingetroffen. Die beiden hatten sich schon seit etwa einem Jahr gekannt und sich gelegentlich für Sex und den Konsum von Drogen verabredet. Was sich in den folgenden zwei Stunden dort abspielte, versuchten die Strafverfolger unter anderem mit einer Rekonstruktion des Tathergangs und insbesondere einer Analyse des Blutspurenmusters herauszufinden.

38 verschiedene Verletzungen

Auf die Schilderung des äusserst blutigen Tathergangs soll angesichts der damit verbundenen Grausamkeit an dieser Stelle ausdrücklich verzichtet werden. Die Putzfrau jedenfalls muss den Schreck ihres Lebens erlitten haben, als sie den übelst zugerichteten 48-Jährigen im komplett verwüsteten und kotverschmierten Zimmer zwischen Bett und Fenster am Boden liegend vorfand. Der Portugiese, der angeblich Coiffeur des Fussballstars Ronaldo gewesen sein soll, erlitt 38 verschiedene Verletzungen, von denen mehrere bereits für sich allein tödlich gewesen wären.

Nach 56 Einvernahmen, davon allein 15 mit dem Beschuldigten, einer Vielzahl geheimer Überwachungsmassnahmen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen und Sicherstellungen, davon allein 75 Gegenstände im Hotelzimmer, und Spurenauswertungen gab es einen Zweifel nicht mehr: dass der Brasilianer schuld am Tod des Portugiesen war.

Von einem «fauchenden Ungeheuer» attackiert

Das Problem war ein ganz anderes: Während fast zweier Jahre hatte der Beschuldigte behauptet, der Portugiese habe ihm Crystal Meth injiziert, worauf er bewusstlos geworden und erst wieder aufgewacht sei, als der 48-Jährige bereits tot war. Wenige Wochen vor der ersten Gerichtsverhandlung präsentierte er eine neue Version.

Er sei damals plötzlich von einem mit einem Messer bewaffneten Panther angegriffen worden. Er habe auf das «fauchende Ungeheuer» mit einem Stuhl eingeschlagen und das Tier getreten. An den Einsatz eines Messers konnte er sich nicht erinnern. Dabei muss er es gewesen sein, der es zusammen mit dem Handy des Opfers verschwinden liess.

An dieser Version hielt der Beschuldigte vor Bezirks- wie auch jetzt vor Obergericht fest. Er habe, so seine Verteidigerin, den 48-Jährigen unter massivem Drogeneinfluss in einem Zustand der Schuldunfähigkeit, «im Wahn», getötet. Ein Indiz dafür sah die Verteidigerin gerade auch in der brutalen Tat. Ein normaler Mensch hätte mit dieser massiven Gewalt aufgehört. Ihr Mandant aber sei «fremdgesteuert» gewesen.

Keine «psychotische Entgleisung»

Der psychiatrische Gutachter wollte eine «psychotische Entgleisung» nicht ausschliessen – sofern man den Schilderungen des Beschuldigten Glauben schenke. Das «realitätsgerechte Nachdenken und Handeln» des Mannes nach der Tat sei aber «eher untypisch» für eine komplette Entgleisung. Zudem fehlten auch weitere zu erwartende Begleiterscheinungen einer solchen Entgleisung.

Wie bereits das Bezirksgericht verwarf auch das Obergericht die These, der Brasilianer habe die Tat in selbst verschuldeter Unzurechnungsfähigkeit begangen. Obwohl für die Tötung des Portugiesen «keinerlei Motiv ersichtlich ist, welches die Tat auch nur ansatzweise erklären könnte», qualifizierte auch das Obergericht die Tat aufgrund aller Umstände als Mord.

Es erhöhte die vom Bezirksgericht verhängte Freiheitsstrafe um zwei Jahre auf 14,5 Jahre und die Landesverweisung von 13 auf 14 Jahre. Grund für die Erhöhung: Das Bezirksgericht hatte in Abweichung vom psychiatrischen Gutachten statt einer leichten eine mittlere Verminderung der Schuldfähigkeit angenommen.