TV-Kritik «Tatort»«Mord und Totschlag, darin sind wir richtig spitze»
Das Bremer Trio löst seinen zweiten Fall, muss die Frage über das wahrhaft gute Leben aber offenlassen.
In den ersten zweieinhalb Minuten zappt sich der neue Bremer «Tatort» hochtourig durch die Runde der Protagonistinnen und Protagonisten. Die Eingangsszene von «Und immer gewinnt die Nacht» gehört dem jungen Schauspieler Ole Bramstedt als behindertem Hendrik. Und zack, schon sehen wir, ohne die Figuren zu kennen, Hendriks Schwester Ann und deren Geliebte Vicky beim Containern, sprich: Kaufhausmüll-Durchforsten. Wenig später switcht die Kamera zu Vickys reicher Mutter, dann zu Vickys krebskrankem Onkel; schliesslich zu einem Notarzt. Der wird kurz darauf das Opfer eines blutigen Mordes.
Die kurzen Clips werfen lauter Rätsel auf. Aber Oliver Hirschbiegels («Der Untergang») Regie hetzt im Rhythmus harter Schnappatmung weiter zu den Sprüchen, die BKA-Ermittlerin Linda Selb der Polizistin Liv Moormann um die Ohren haut – im Auto, auf der Fahrt zum zermalmten Körper des Arztes, derweil die Morgenröte über dem Bremer Hafen aufgeht wie ein Gedicht. «All das Gepredige von der Krone der Schöpfung: Fake News!», predigt Selb selbst. «Mord und Totschlag, darin sind wir richtig spitze.»
Sie dekoriert ihre Weisheiten mit einem Möchtegern-Verweis auf Goethe. Später wird sie den chilenischen Dichter Pablo Neruda zitieren. Kurz: Die neue Bremer Ermittlerin – es ist der zweite Fall des Trios Selb, Moormann und Mads Andersen – kommt daher, als hätte die Regie ihr einen Stock in den Allerwertesten hineindirigiert. Überdeutlich.
Umso mehr überzeugen hingegen in der Polizistenrolle Jasna Fritzi Bauer als ehrgeiziger Underdog und Dar Salim als dänischer Eigenbrötler mit Bond-Qualitäten, der nebenher noch gegen die Schatten seiner Vergangenheit kämpfen muss.
Überhaupt, die Schatten: Die verfolgten auch den Notarzt, der sich deshalb für seine Patienten aufrieb. Die widerspenstige Aktivistin Ann bleibt gleichfalls in ihren Traumata gefangen. Bei der Arzthelferin und auch bei Vickys Mutter sind es die ungelebten Momente, die verpassten Gelegenheiten, die unerfüllten Sehnsüchte, die sie wieder und wieder heimsuchen.
Pflicht oder Glück? Das ist die ein wenig schlichte Frage, um die sich der Familienkrimi aus der Feder von Christian Jeltsch offensiv – und ziemlich konstruiert – dreht. Es hat freilich etwas schon wieder beeindruckend Konsequentes, wie das Thema auf alle Seiten gewendet, von allen Rollen aufgegriffen wird; sogar von scheinbaren Nebenfiguren. Und dies bis hin zum Finale mit Tusch: dem berühmten hingetänzelten Fidel-Castro-Scherz über dessen angeblichen – und vergeblichen – Befehl im Land des Hüftschwungs: «Trabajo si! Salsa no!» («Arbeit, ja! Salsatanz, nein!»). Ein galliger Lacher im düsteren Tableau der siegreichen Nacht.
Fehler gefunden?Jetzt melden.