TV-Kritik «Tatort»«Irgendwann wird immer geschossen»
Ulrich Tukur als Murot fährt im neuen «Tatort» philosophisches Geschütz auf. Total treffsicher.
Martin Rauhaus. Doch, den Namen des Drehbuchautors müssen wir hier als Erstes nennen. Denn die Dialoge, die der 63-jährige Berliner für «Murot und das Prinzip Hoffnung» geschrieben hat, glänzen wie Swarovski-Strass. Da wurden die schönsten Splitter aus Gesprächen angesäuselter Philosophie- und Literaturstudierender poliert und arrangiert – und wir hören verzaubert zu, wenn noch einmal die alten, ewig jungen Fragen gewälzt werden.
«Warum tun wir, was wir tun, Wächter?», fragt etwa Ermittler Murot – der wie immer wunderbare Ulrich Tukur – zu Beginn seine bodenständige Assistentin Wächter (Barbara Philipp), die den antiintellektuellen, sympathischen Gegenpart übernimmt: «Ich bin hier nur der ‹Bildzeitungs›-Heini.» Murot dagegen liefert den obligaten selbstironischen Kram.
Wegen drei scheinbar wahllos erschossener Toter – einem türkischen Gemüsehändler, einem chinesischen IT-Fachmann, einem obdachlosen Ex-Philosophieprofessor – läuft ganz Frankfurt Sturm; dies, obwohl «statistisch 2600 Menschen pro Tag in Deutschland sterben», also «dorthin gehen, wo die meisten sind», wie Murot die alten Römer zitiert: «Ad plures ire.» Für die Leute sei das Verbrechen ohnehin wie ein Film. Irre Täter faszinierten und beruhigten zugleich: Man denke, «mich hats nicht getroffen, ist doch eigentlich alles ganz gut». Murot ist regelrecht angewidert vom Opium für das Volk, das Krimi heisst.
Er selbst hatte seinerzeit beim Starphilosophen studiert, weil er wissen wollte, was er machen soll mit seinen «statistischen 80 Jahren Lebenserwartung». Und ging zur Polizei, um zu handeln, statt nur zu verstehen. Jetzt sitzt Murot mit Wächter in der Probe des Comedians Paul, Sohn des ermordeten Philosophieprofessors, der gerade seine «Anleitung zum Pulsadern-Aufschneiden» vorträgt: Lars Eidinger at his best. Der Drehbuchautor lässt Paul spotten über den Tod: Einschalten am Sonntagabend, 20 Uhr 15, sei dann vorbei.
«Unsern täglichen Mord gib uns heute, denn dein ist das Nichts», frotzelt Paul und jongliert mit Sentenzen von Wittgenstein, den Bremer Stadtmusikanten, Churchill. Überhaupt, selber denken müsse ja nicht sein, das infiziere bloss die Entschlusskraft. Die drei erwachsenen Kinder des Philosophen spielen, jedes auf seine Weise, gern die blasierten Phrasendrescher. «Hattest du nicht auch mal ne Wittgensteinphase?» – «Na ja, wer hatte die nicht.» – «Ist er nicht auch auf dem «Sgt. Pepper's»-Cover?»
Eine weitere Verdächtige – 77 und beeindruckend wie eh und je: Angela Winkler – führt ihre Zunge wie die Klinge eines uralten Degens und amüsiert sich damit, den Ermittlern bildungshubernde Hinweise zu geben: John Milton, T.S. Eliot, Ezra Pound, Ernst Jünger, Emil Cioran. Im Fond läuft dazu ein Tierfilm, Wölfe, die ihre Beute verschlingen, grinsende Hyänen. «‹Seit 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen›, sagte immer mein Vater, wenn es einen kleinen Streit gab unter uns Kindern», lacht die adlige Dame glucksend über das väterliche Hitler-Zitat. Irgendwann werde immer geschossen.
Abgedrehter Humor
Diese Art von abgedrehtem Humor hat was. Entsprechend wird auch Ernst Blochs titelgebendes «Prinzip Hoffnung» hier gallig unter Toten platziert. Dass der Film zwischendurch ins Volkshochschulhafte abgeleitet, samt Erklärstücken zu Frankfurter Schule und Familienaufstellung, verzeiht man da gern.
Entschädigt wird nicht nur mit Eloquenz und Witz, sondern auch mit abwechslungsreichen Kameraperspektiven und Filmtricks (Regie: Rainer Kaufmann). Schade ist nur die überraschend konventionelle Auflösung. Aber schliesslich ist es ein Krimi, da müssen die Ermittler eben tun, was sie tun. «Weil es sonst so furchtbar dunkel wäre», sagt Murot.
Fehler gefunden?Jetzt melden.