Trend: Buch unterm ArmGeist ist geil
Buchclubs von Chanel und Dior, Mode für Bücherwürmer und hippe Läden mit Vintage-Editionen – Bücher sind das neue, alte Stilsymbol. Angeblich werden sie sogar gelesen.
Wie alles an, bei und von Gwyneth Paltrow sind auch die Bücherregale in ihrer Villa in L.A. perfekt ausbalanciert. Im Wohnzimmer einige Bildbände über Mode (Valentino, Pucci, Óscar de la Renta), ein bisschen Reise (Havanna, French Riviera), dazu ein Buch übers Surfen, aber auch ein Hingucker wie Genesis von Sebastião Salgado, der in der Sumo-Edition wuchtige 3500 Euro kostet.
Mal sind sie vertikal eingereiht, mal akkurat gestapelt, farblich aber nur hier und da aufeinander abgestimmt. Zu offensichtlich soll wahrscheinlich nicht sein, was mittlerweile sowieso jeder weiss: Paltrow hatte ein bisschen Hilfe bei ihren jetzt mehr als 600 Büchern im Haus. Sie wurden zu grossen Teilen von Thatcher Wine ausgesucht, einem langjährigen Sammler, Buchhändler und nun auch «Kurator für Privatbibliotheken». Schliesslich seien Bücher nicht zwangsläufig zum Lesen, sondern genauso tolle Ausstellungsobjekte, und reflektierten, «wer wir sind», wie er einmal im Magazin «Town & Country» erklärte. Angesichts seiner Dienstleistung müsste es vielleicht ehrlicherweise heissen: «wer wir sein wollen».
Das Buch – der erste Designtrend des Jahres
Je digitaler unsere Welt, desto grösser die nostalgische Anziehungskraft des Analogen. Das ist kein neuer Trend, man kann das auch beim Comeback der Vinylplatte oder bei als Glühfadenlampen getarnten LED-Leuchten beobachten. So nostalgisch wie jetzt allerdings waren die Zeiten wohl noch nie, vermutlich angesichts der ultradeprimierenden Weltlage.
Gleichzeitig geht Studien zufolge der durchschnittliche IQ in den Industrienationen immer weiter zurück. Intellektualität, so könnte man schlussfolgern, wird mehr und mehr zum raren Gut, weshalb Insignien derselben schon wieder zum Statussymbol taugen. Womit wir zurück bei gut ausgestatteten Bücherwänden wären, die zuletzt auffällig oft auf Tiktok im Bild waren, versehen mit dem Hashtag #bookshelfwealth. Laut «Architectural Digest» (AD) der erste grosse Designtrend des Jahres.
Um Reichtum im engeren Sinne geht es dabei nicht. Es müssen nicht die teuersten oder möglichst viele Bücher im Regal stehen, sondern die «richtigen». Gute Literatur gemixt mit coolen Design-, Architektur-, Foto- oder Modebildbänden, die dann einen total «authentischen Look» abgeben, war in AD zu lesen.
Wenn jetzt also des Öfteren die «Kritik der reinen Vernunft» mit edlem Goldschnitt irgendwo herumliegt, hat das rein gar nichts mit einem plakativ-dekorativen Verweis auf 300 Jahre Kant zu tun. Das ist einfach die ganz authentische Alltagslektüre. Womöglich lassen sich mit den gut bestückten Regalen auch die erstaunlichen Zahlen aus Grossbritannien erklären: Der «Guardian» meldete kürzlich, dass 2022 auf der Insel so viele physische Bücher wie noch nie verkauft wurden, insbesondere an die Generation Z. Aber kaufen heisst bekanntlich noch nicht automatisch lesen.
Als Prestigeobjekt jedenfalls funktionieren Bücher noch besser, wenn es sich um einen möglichst seltenen Titel oder eine ganz bestimmte Ausgabe handelt, idealerweise eine, die schon seit Jahren nicht mehr aufgelegt wird. «The Levis Crowd» von Robert Payne, das Original-«Paris, Texas»-Buch zum Film, die erste Ausgabe von Wolfgang Tillmans’ «Concorde» von 1997 – auf solche Raritäten sind Angela Hill und David Owen spezialisiert. Die Geschäfts- und Ehepartner begannen 2010 ausgerechnet über Instagram Vintage-Bücher zu verkaufen. Den Account nannten sie Idea, eigentlich ein Akronym aus ihren und den Vornamen ihrer beiden Kinder Iris und Edith, aber auch als «Idee» war das Ganze ein überragender Erfolg.
Zusätzlich verkaufen sie seit Jahren eine physische Buchauswahl bei Dover Street Market, ausserdem wussten Eingeweihte, dass es in ihrem Haus im Londoner Soho noch einen «Secret Bookroom» gibt. Er wurde zur Pilgerstätte für bekannte Designer und deren Mitarbeiter auf der Suche nach Inspiration und Bildern, die nicht schon auf allen anderen Moodboards kleben.
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In der Modewelt feiert alles Gedruckte schon seit ein paar Jahren ein anachronistisches Revival. Im Frühjahr 2022 gab es kaum einen Laufsteg, bei dem nicht irgendwo ein Schriftsteller zitiert wurde, Bücher auslagen oder grossspurig Verse vorgelesen wurden. Chanel rief das «Rendez-vous littéraire» ins Leben, eine Art hochexklusiven Lesezirkel moderiert von Charlotte Casiraghi. In Manchester sass sie zuletzt mit Kristen Stewart und der englischen Schriftstellerin Jeanette Winterson zusammen, was nicht nur chic und hochtrabend, sondern auch sehr unterhaltsam war. Dior zog mit dem «Book Tote Club» nach. Videos, in denen Schauspielerin Rosamund Pike oder Casiraghis Schwägerin Beatrice Borromeo ihre Lieblingsbücher vorstellen – und diese dann jeweils in die geräumige Dior Tote plumpsen lassen. Subtext: Trägerinnen derselben sind nicht nur superreich, sondern mitunter sogar superbelesen.
Das Luxuslabel Saint Laurent geht noch einen Schritt weiter und hat mit dem Babylone in der Rue de Grenelle im 7. Arrondissement von Paris soeben einen Buchladen eröffnet. Seltene Bücher, vergriffene Publikationen und Schallplatten, die vom Kreativdirektor des Hauses, Anthony Vaccarello, angeblich selbst zusammengestellt wurden, lassen sich hier finden. Die gediegene Inneneinrichtung der Buchboutique hebt die Bücher auf das gleiche Level wie edle Handtaschen und sonstige Statussymbole.
Eine Zeit lang wurden auch die Modelschwestern Gigi und Bella Hadid ständig mit unter den Arm geklemmten Büchern fotografiert oder posteten ihre Lektüre (Steven King: «The Outsider», 560 Seiten) am Strand und im Flugzeug, was auf Social Media sofort für Gesprächsstoff sorgte.
Schock deine Follower – lies kein Buch
Mittlerweile heisst der liebste Bücherwurm der Branche Kaia Gerber, die viel gebuchte Modeltochter von Cindy Crawford hat wie Dua Lipa oder Reese Witherspoon mittlerweile auch einen eigenen «Bookclub». Während die Bibliothekskampagne in den Neunzigern lautete: «Schock deine Eltern, lies ein Buch», müsste es heute eher heissen: «Schock deine Follower, lies kein Buch.»
Der passende Look dazu heisst übrigens «Librarian Core», bei dem es laut «Vogue» vor allem um Brillen mit dünnem Rahmen geht, also ein Klischee, wie es im Buche steht. Bei Miu Miu trugen die Models für dieses Frühjahr Browline-Fassungen wie Kevin Costner in JFK, höchstens Taschenbuch-lange Röckchen und hielten dazu extra vollgestopfte Handtaschen im Arm, und man könnte schwören, dass da neben Wechselhemd und Lipgloss auch irgendwo mal ein Buch rauslugte.
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