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Phänomen Booktok
Tiktoker bringen junge Menschen wieder zum Lesen – was dahintersteckt

BERLIN, GERMANY - SEPTEMBER 08: Valentina Vapaux attends the Bunte New Faces Award Style at Fredericks Cafe & Bar on September 8, 2022 in Berlin, Germany. (Photo by Ben Kriemann/Getty Images)
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Einmal im Monat trifft für Manuela Abdalla eine Onlinekultur mit der realen Welt zusammen. Sie setzt sich dann mit drei bis vier Freunden in ein Café in Zürich, um über Bücher zu sprechen. Booktok heisst das Phänomen, das die jungen Literaturbegeisterten zusammenbringt. Booktok beschreibt die Bewegung von jungen Menschen, die sich auf der Plattform Tiktok über Bücher austauschen. Sie geben Rezensionen und zeigen schöne Covers dazu, empfehlen Autorinnen und Autoren oder filmen sich selbst beim Lesen. Meistens in Kurzvideos von wenigen Sekunden oder Minuten.

Dass Bücher in den sozialen Medien besprochen werden, ist nichts Neues. Vor Booktok gab es Booktube (auf Youtube) und Bookstagram (auf Instagram). Und doch ist es auf Tiktok anders – schnelllebiger und grösser. 215 Milliarden Aufrufe verzeichnen die Videos unter dem Hashtag #BookTok bereits. Und: Es sind oft einzelne Bücher, die sehr zelebriert werden. «Darum habe ich einen Booktok-Buchclub gegründet. Wir lesen, was auf Tiktok gerade gehyped wird», sagt Manuela. Der 32-jährigen UX-Designerin hört man die Begeisterung für Bücher an: Sie führt ihre Erzählungen aus, springt von einem Punkt zum anderen.

Das Feuilleton hat Booktok längst bemerkt. Die deutsche Booktokerin Valentina Vapaux trat im Dezember im SRF-«Literaturclub» auf. Über 80’000 Follower zählen die Instagram- und Tiktok-Accounts der 23-Jährigen. Sie macht Videos über ihren Uni-Alltag, Mode oder das Reisen. Immer wieder sitzt sie aber einfach vor der Kamera und rezensiert Bücher. Ihre Ausführungen sind dann gespickt mit Anglizismen und Ausdrücken der Generation Z. Ein Buch ist «slay» (sehr gut), «angsty» (bedrückend) oder einfach «aaaahhhh».

In einem Video spricht sie über den Roman «Vatermal» von Necati Öziri. Das Feuilleton fand «Vatermal» gut, weil Öziri eine Sprache «zwischen Verwundung, Wut und Zärtlichkeit» findet («Tages-Anzeiger»), die «mit dem Protagonisten mitwächst, sich je nach Szene wandelt» («Die Zeit») und so «eine Fülle lebendiger, emotional starker und sogar spannender Szenen» schafft («Süddeutsche Zeitung»). Die Booktokerin Valentina fand den Roman zwar «mega sad» (sehr traurig), aber gut, weil sie mit viel «relaten» (sich identifizieren) konnte und beim Lesen weinen musste. Sie macht damit ganz gut fest, was Booktok von klassischen Literaturrezensionen unterscheidet.

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Auf Booktok geht es um Gefühle und Emotionalität. Das Feuilleton ist analytischer und theoretischer. Oder wie es Valentina Vapaux im «Literaturclub» sagt: «Die vermeintliche Objektivität, die das Feuilleton suggeriert, spielt für uns keine Rolle. Wir wollen die subjektive Meinung wissen. Was hat eine Leserin gespürt? Oder hat sie gar nichts gespürt?» Man will wie mit Freundinnen sprechen. Auf Augenhöhe, sodass alle mitreden können.

Das will Manuela Abdalla auch mit ihrem Buchclub. Eine Rezensionsrevolution plant sie trotzdem nicht. Booktok und das klassische Feuilleton bedienen eben ein anderes Publikum. Auf Booktok sind vor allem junge Menschen unterwegs. «Wenn man Menschen vor vollen Bücherregalen zusieht, wie sie mit Begeisterung über Bücher sprechen, inspiriert das schon, mehr zu lesen», sagt Abdalla.

Davon kann das Feuilleton nur träumen. Und es ist darum vielleicht mit ein Grund, warum die klassische Literaturkritik Booktok bisher eher kritisch gegenüberstand. Zum Beispiel der deutsche Literaturkritiker Denis Scheck. Als blöd, fantasielos, klischeegetränkt und zum Fremdschämen einfältig beschreibt er das auf Booktok gehypte Buch «Fourth Wing». Der Roman der amerikanischen Autorin Rebecca Yarros hält sich seit über acht Monaten auf der «New York Times»-Bestsellerliste. Die deutsche Übersetzung ist seit sechs Monaten ein «Spiegel»-Bestseller. Laut Verlag wurden weltweit über zwei Millionen Exemplare verkauft.

«Fourth Wing» der amerikanischen Schriftstellerin Rebecca Yarros verkauft sich wegen Tiktok millionenfach.

Im Buch geht es um Drachen, Krieg, Liebe und Sex. Das macht «Fourth Wing» zu Romantasy. Eine Mischung zwischen Fantasy und Romance. Und genau dem verdankt es wahrscheinlich auch seinen Erfolg. Seit Tiktok im Frühling 2023 eine eigene Booktok-Bestsellerliste lanciert hat, wird diese von Romantasy dominiert. «Es werden andere Welten geschaffen», sagt Manuela, um den Hype um das Genre zu erklären. In die könne man abtauchen und sich lange damit beschäftigen. «Die Figuren entwickeln sich, es entsteht Romantik, und ein Paar kommt zusammen. Gleichzeitig gibt es böse Wesen oder Mächte, die es zu besiegen gilt. Darin kann ich mich fallen lassen.» Eine leichte und flüssige Sprache hilft, weil Manuela Abdalla gern zum Vergnügen und zur Entspannung liest.

Den grossen Hype habe «Fourth Wing» darum schon verdient, findet sie. Den scheint auch der Verlag zu nutzen. Der DTV-Verlag, der die deutsche Übersetzung von «Fourth Wing» herausgegeben hat, lädt auf Tiktok eigene Videos hoch. In den Videos finden sich Buchempfehlungen, Vorschauen und Einblicke in den Verlagsalltag.

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«Bücher, die in der Booktok Community besprochen werden, haben sich nicht selten zu absoluten Longsellern entwickelt», sagt Felicia Hofmann, die bei DTV für Tiktok zuständig ist. Besonders bei Jugendbüchern sei Tiktok als Marketingmassnahme nicht mehr wegzudenken. Vor ein paar Jahren sei der Buchmarkt noch in der Krise gewesen, weil man dachte, die Jungen lesen fast nicht mehr. «Diese Angst ist durch Booktok kleiner geworden», so Hofmann. «Die Jungen sind zu einer total kaufstarken Zielgruppe geworden, die wahnsinnig schnell und viel liest.»

Letzten November erschien die Fortsetzung von «Fourth Wing», weitere Teile sollen noch folgen. Gleichzeitig gibt es auch eine Version des Romans mit farbigem Buchschnitt. Perfekt für die Inszenierung in den sozialen Medien. «Die Leserschaft hat uns die Türen eingerannt für die Ausgabe», sagt Hofmann. Sowieso werde das haptische Buch wieder beliebter. Ästhetische Covers und farbige Buchschnitte sind Booktokern wichtig, bestätigt Abdalla. «Bücher sind für mich auch Dekoration. Ich mag es, wenn die Wohnung voller Bücherregale ist und Bücher schön gestaltet sind.»