Nach den Magglingen-ProtokollenMobbing und Misserfolg – der STV trennt sich vom Nationaltrainer
Fabien Martin hat gegen die Ethik-Charta von Swiss Olympic verstossen, befand die Ethikkommission des Turnverbandes. Er muss gehen.
Die Mienen waren ernst. Die Aussagen eindeutig. «Ich bin erschüttert», sagte Béatrice Wertli, die Direktorin des Schweizerischen Turnverbandes (STV). Erschüttert über das Leid, das den Turnerinnen angetan wurde. Und sie entschuldige sich dafür, «persönlich und im Namen des Verbandes».
Und dann gab der STV bekannt, dass er sich von Nationaltrainer Fabien Martin trennt. Er hat dem Franzosen per Ende November regulär gekündigt, worauf dieser um eine sofortige Freistellung bat. Mit dem 46-Jährigen müssen auch die mit ihm verwandten Assistenten gehen, Ehefrau Natalia und Bruder Jérôme. Die Stellen werden in Kürze ausgeschrieben werden.
Direkte Folge der Protokolle
Die Trennung folgt auf Empfehlung der fünfköpfigen Ethikkommission des STV. Das Gremium, im vergangenen Jahr neu geschaffen, hatte in einer monatelangen Untersuchung erkannt, «dass es in der untersuchten Zeitperiode von 2016 bis 2019 zu Verstössen gegenüber der Ethik-Charta von Swiss Olympic gekommen ist». Oder «dass insbesondere die psychische und physische Gesundheit von Athletinnen zu wenig geschützt wurde». Die Untersuchungen sind eine direkte Folge der «Magglingen-Protokolle».
In diesem Bericht, erschienen am 31. Oktober des vergangenen Jahres im «Magazin», beschuldigten zwei frühere Turnerinnen, Lynn Genhart und Fabienne Studer, ihren einstigen Trainer. Es ging um ungebührliche Umgangsformen, um Beleidigung und Mobbing. «Er hatte verschiedene Strategien, uns fertigzumachen», sagte Genhart beispielsweise. Im Zuge der Untersuchung meldete sich ein weiteres Opfer bei der Ethikkommission.
Der ausführliche Artikel, der diese Woche mit dem Zürcher Journalistenpreis prämiert wurde, sorgte für einen Wandel beim STV, nachdem zuvor schon Missstände bei der Rhythmischen Gymnastik publik geworden waren. Mit Ruedi Hediger und Felix Stingelin mussten der Geschäftsführer und der Chef Spitzensport gehen.
Die Ethikkommission kam nun zum Schluss, dass es Martin an Empathie fehle und am Verantwortungsbewusstsein für die Turnerinnen auch abseits der Halle. Auch habe er etwa bewusst deren Selbstwertgefühl geschwächt, die teilweise minderjährigen Turnerinnen zu wenig unterstützt und tatsächlich gemobbt. Die in den «Magglingen-Protokollen» verwendeten Aussagen von Sportlerinnen wie «Angstkultur» oder «Psychoterror» hätten sich hingegen nicht erhärtet, befand die Ethikkommission.
Steingruber versprach sich von ihm Inputs
Martin war seit 2017 Cheftrainer beim STV, an die Spitze des Frauen-Nationalkaders befördert, nachdem er zuvor über ein Jahrzehnt als Assistent von Zoltan Jordanov gearbeitet hatte. Er kannte die Strukturen und Abläufe in Magglingen, war vertraut mit den Turnerinnen und wurde von diesen geschätzt, und so konnte der STV mit dieser Nachfolge ein Stück weit auch auf Nummer sicher gehen. Die Turnerinnen stellten sich auch nach Veröffentlichung der «Magglingen-Protokolle» noch hinter Martin.
«Er ist technisch ein sehr guter Trainer. Darum bin ich positiv eingestellt. Ich bin sehr offen für einen frischen Wind und lerne sicher neue Sachen dazu, einfach anders», beschrieb es Giulia Steingruber im Jahr 2017. Zum Abschluss ihrer Zusammenarbeit von Jordanov hatte sie Olympia-Bronze am Sprung gewonnen und erhoffte sich für den Herbst ihrer Karriere auch neue Inputs.
Die heute 27-jährige St. Gallerin gewann mit Martin als Cheftrainer zwar WM-Bronze am Sprung (2017) sowie vor wenigen Monaten an der EM in Basel noch einmal Gold an ihrem Paradegerät, aber sie stiess in dieser Zeit auch an ihre Grenzen und machte nicht mehr die erhofften Fortschritte. Kam hinzu (wofür aber Martin natürlich nichts konnte), dass sie sich 2018 einen Kreuzbandriss zuzog, der sie zurückwarf.
Gravierender war, dass trotz einer gewissen Stagnation die Lücke hinter der Überturnerin nicht etwa kleiner wurde, sondern grösser. Dass es Martin nicht gelang, ein Team aufzubauen. «Das Nationalkader der Frauen befindet sich in einer sportlich schwierigen Phase, es stagniert. Mit Ausnahme von Giulia Steingruber gab es zuletzt keine nennenswerten Erfolge», sagt David Huser, der neue Chef Spitzensport. Seine klare Aussage: Der STV hätte sich auch ohne Empfehlung der Ethikkommission von Martin getrennt, aus rein sportlichen Gründen.
Der Turnverband ist im Wandel
Seit Anfang Jahr hat der Turnverband mit Präsident Fabio Corti und Direktorin Béatrice Wertli eine neue Führung, die angetreten ist, die Fehler der Vergangenheit auszumerzen. «Wir müssen zeigen, dass wir viel daraus lernen und es künftig wirklich anders machen», sagte Wertli Anfang Jahr im Interview mit dieser Zeitung. Huser wiederum ist sogar erst seit ein paar Monaten im Amt. Er war einst selbst Kunstturner und ist mit einer früheren Nationalkaderturnerin liiert.
«Wir dürfen nie mehr wegschauen», sagte Wertli im Rahmen einer Medienkonferenz in Aarau. «Ein ‹Weiter so› ist keine Option. Wir dürfen den sportlichen Erfolg nicht höher gewichten als ethische Fragen.»
Dass es mit Fabien Martin nicht weitergehen konnte, zeigte eine Aussage, die er im vergangenen Winter tätigte: «Ich weiss, wie ich im Training bin, und habe kein schlechtes Gewissen – zu hundert Prozent nicht», sagte er. Die Ethikkommission sagt darüber: «Die mangelnde Selbstreflexion von Fabien Martin ist besorgniserregend.»
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