Mittel gegen WohnungsnotWer in eine kleinere Wohnung zieht, bekommt sie extragünstig
Viele Menschen haben mehr Wohnraum, als sie benötigen. Diese will die Credit Suisse in einem Zürcher Pilotprojekt mit tiefen Mietzinsen zum Zügeln motivieren.
Die Kinder sind ausgezogen, und die Eltern könnten eigentlich in eine kleinere Wohnung umziehen. Doch sie finden nichts, was weniger kostet, als sie bisher bezahlen. Also bleiben sie aus finanziellen Gründen in der eigentlich zu grossen Wohnung.
Lock-in-Effekt nennt sich das: Mieterinnen und Mieter ziehen nicht um, weil sie in einer neuen Wohnung viel weniger für ihr Geld bekommen. Die Differenz kann im Kanton Zürich mehrere Hundert Franken betragen. Grund sind der angespannte Wohnungsmarkt und Eigentümer, die bei Mieterwechseln oft die Preise erhöhen.
Die Credit Suisse (CS) versucht dieses Dilemma nun zu lösen. In der 2006 erstellten Überbauung Accu in Zürich-Oerlikon hat sie ein Pilotprojekt lanciert, wie der «Blick» berichtete. Wer innerhalb der Liegenschaft mit 148 Wohnungen in eine grössere oder kleinere Wohnung umzieht, darf seinen alten Quadratmeterpreis «mitnehmen». Das kann sich insbesondere für langjährige Mieterinnen und Mieter lohnen.
2½ Zimmer für 1300 Franken
Gemäss CS gibt es in der Siedlung zum Beispiel einen Mieter, der für seine 4½-Zimmer-Wohnung mit 110 Quadratmetern monatlich netto 1800 Franken bezahlt. Der Quadratmeterpreis beträgt also 16.40 Franken. Zieht der Mann in eine 2½-Zimmer-Wohnung mit 80 Quadratmetern, bekommt er diese für 1312 Franken netto. So günstig wie sonst kaum auf dem Zürcher Wohnungsmarkt.
Für den CS-Immobilienfonds kann sich das lohnen, weil er die frei werdende grössere Wohnung anschliessend teurer vermieten kann. Aktuell werden frei werdende 4½-Zimmer-Wohnungen, je nach Lage und Grösse, für 2300 bis 3400 Franken ausgeschrieben.
Das Potenzial ist für die CS gross, denn in der Siedlung gibt es zahlreiche Mietverhältnisse älteren Datums. Eine Mieterin sagt, viele Bewohnerinnen und Bewohner lebten schon mehr als fünf Jahre in ihrem Block, darunter seien auch Erstmieterinnen. Sie nimmt an, dass es in den vergangenen Jahren im Zuge von Wohnungswechseln zu Mieterhöhungen gekommen ist. Auch bei ihrem Einzug habe die Verwaltung den Mietzins um die maximal erlaubten 10 Prozent angehoben.
Pilotprojekt könnte ausgeweitet werden
Der Banksprecher Andreas Kern sagt, mit dem Projekt wolle man einen Beitrag dazu leisten, dass Wohnungen möglichst bedürfnisgerecht genutzt würden. Die Verwaltung hat die Mieterschaft im August informiert, erste Interessenten hätten sich gemeldet. «Sofern die Erfahrungen aus dem Pilotprojekt positiv sind, werden wir das Angebot auf weitere Liegenschaften ausweiten», sagt Kern. Die Anlagestiftungen und Immobilienfonds der Credit Suisse verwalten zusammen rund 35’800 Mietwohnungen.
«Das ist ein kreativer Vorschlag», sagt Walter Angst vom Zürcher Mieterinnen- und Mieterverband. Die Rechnung könne aus seiner Sicht aufgehen, wenn die Eigentümerschaft von Maximalforderungen bei den neuen Mietpreisen abweiche. Es sei durchaus denkbar, dass mit solchen Tauschangeboten innerhalb einer Siedlung der Wohnflächenverbrauch pro Kopf reduziert werden könne.
«Wenn die Eigentümer das Projekt wirklich umsetzen können und sogar auf weitere Liegenschaften ausweiten, ist das ein spannendes Modell», sagt Angst.
Zuspruch von links bis rechts
«Bestechend» findet die Idee Marco Salvi von der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse. «Kleinere Mietwohnungen erzielen in der Regel einen höheren Quadratmeterpreis, unter anderem wegen der höheren Fixkosten von Nasszellen und der Küche. Insofern wird hier vom Vermieter ein finanzieller Anreiz zum Wechseln gegeben. So lohnt sich der Wechsel eher – und die Marktliquidität steigt.»
Ein mögliches Problem sieht Salvi darin, dass die kleinere Wohnung den Bedürfnissen der ausziehenden Bewohner der grossen Wohnung entsprechen muss. «Dieses Matching dürfte sogar bei grösseren Siedlungen oft schwierig zu erreichen sein.»
Wohnexperten von links bis rechts sind also angetan von der Idee. Hat die CS ein Rezept gefunden, um der Wohnungsnot Herr zu werden?
Wenn nach dem «Modell Accu» grössere Wohnungen frei und künftig besser ausgelastet werden, sei das aus Sicht der Verdichtung sicherlich sinnvoll, sagt Basil Schläpfer, der beim kantonalen Statistischen Amt das Ressort Immobilien betreut. «Ich würde den Effekt auf den Wohnungsmarkt aber nicht überschätzen. Bleibt die Nachfrage auf dem gleichen Niveau, hilft gegen die Wohnungsnot nur das Bauen von neuen Wohnungen.»
Preisspirale dreht sich weiter
Hinzu kommt: Eine grössere Wohnung wird zwar frei. Doch sie wird neu teurer als zuvor angeboten, und die Preisspirale wird angetrieben. Ob dies dem Wohnungsmarkt guttut oder schadet, sei eine Glaubensfrage, sagt der Immobilienkenner Donato Scognamiglio von der Immobilienberatungsfirma Iazi. «Ich würde keine Wette abschliessen wollen, zu welchem Effekt ein solches Modell flächendeckend führen würde.» Er finde andere Hebel wichtiger, um dem Wohnungsmangel zu begegnen, etwa das Aufstocken von Häusern.
Eine andere Frage ist, ob sich das «Modell Accu» anderswo denn überhaupt umsetzen liesse. Die Stadt Zürich, mit 9500 Wohnungen eine der grössten Immobilienorganisationen der Schweiz, wird ihren Umgang mit Unterbelegung nächstes Jahr verschärfen. In städtischen Wohnungen gilt die Regel 1+: Erlaubt ist ein Zimmer mehr, als Personen im Haushalt leben. Künftig wird diese Belegung regelmässig überprüft. Laut einem Sprecher ist die Stadt fast immer in der Lage, eine passende Alternative anzubieten, oft im selben Quartier.
Kleineren Genossenschaften fällt es hingegen schwer, umzugswilligen Mieterinnen und Mietern Alternativen anzubieten – weil ihnen der Wohnraum fehlt. Ausserdem kann der Prozess einen für die Verwaltung aufwendigen Rattenschwanz bedeuten: Als in der Baugenossenschaft Oberstrass eine grosse Wohnung frei wurde, löste das zehn Umzüge aus. Eine grosse Familie bekam die grössere Wohnung, eine kleinere Familie deren etwas kleinere und so weiter.
Projekt in Basel scheiterte
Ein Mittel könnte laut Donato Scognamiglio sein, dass sich mehrere Immobilieneigentümer zusammenschliessen, um solche Tauschangebote zu ermöglichen.
Trotzdem sagt er: «Das Potenzial des Modells ist auf dem Papier gross, in der Praxis aber eher klein.» Denn gerade ältere Personen wollten lieber im Quartier bleiben als weit wegziehen.
Dies sagt auch der Statistiker Basil Schläpfer: Je länger ein Haushalt in einer Wohnung lebt, desto kleiner ist die Wahrscheinlichkeit eines Auszugs. «Das mag an den Preisen auf dem Wohnungsmarkt liegen. Aber ich kann mir vorstellen, dass man eben auch sesshaft wird oder den Aufwand eines Umzugs immer mehr scheut», sagt Schläpfer.
Vor einigen Jahren hat der Kanton Basel-Stadt ein ganz ähnliches Projekt gestartet. Mieterinnen und Mieter über 65 Jahren sollten eine kleinere Wohnung zum alten Quadratmeterpreis erhalten. Die staatliche Immobilienverwaltung schrieb 660 Mieterinnen und Mieter an. Obwohl das Interesse gross war, kam es nur zu sechs Umzügen. Zu den wichtigsten Hürden zählten die Quartierverbundenheit und der Mangel an freien Wohnungen.
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