Widerstand in BurmaMit Steinschleudern gegen Kampfjets
Juntagegner in Burma haben einen «Verteidigungskrieg» gegen die Generäle ausgerufen, sie sagen, sie hätten keine andere Wahl. Es ist ein ungleicher Kampf.
Stimmengewirr im Hintergrund, Hunde bellen, der Mann am Telefon hustet. Er habe sich eine Covid-Infektion eingefangen, sagt Sasa, aber das hindere ihn jetzt auch nicht daran, zu berichten, was in seiner Heimat, der Region Chin im Nordwesten Burmas, gerade geschieht. Dort eskaliert seit Tagen die Gewalt, Dörfer gehen in Flammen auf, Kampfjets werfen Bomben, Tausende Menschen sind schon geflohen über die Grenze ins benachbarte Indien.
Der Arzt steckt nicht mehr mittendrin, weil er sich schon vor einiger Zeit in einer abenteuerlichen Flucht vor der Militärjunta in Sicherheit bringen musste. Hätte die Armee im Februar nicht gegen Regierungschefin und Wahlsiegerin Aung San Suu Kyi geputscht, so sässe jener Mann, den alle Dr. Sasa nennen, nun als einer ihrer Minister am Kabinettstisch und würde versuchen, Burma aus der Armut zu holen. Aber Suu Kyi wird gefangen gehalten von den Generälen. Und der geflohene Sasa, der nur einen Namen trägt, muss ständig auf der Hut sein. So darf er seinen Aufenthaltsort jetzt nicht preisgeben, während er versucht, die Welt wachzurütteln.
Sasa gehört dem National Unity Government (NUG) an, das sich nach dem Putsch aus gewählten Volksvertretern formierte und als legitime Regierung international anerkannt werden möchte. Es sind enge Gefolgsleute von Aung San Suu Kyi, die nur im Untergrund agieren können. Sasas Heimat Chin, eine wenig entwickelte, christlich geprägte Grenzregion zu Indien, ist nun Schauplatz exzessiver Gewalt.
«Die Leute haben keine Wahl»
Anfang September hatte das Untergrundkabinett eine Erklärung im Internet abgegeben, die viele aufhorchen liess. Darin rief es seine Landsleute zu einem «Verteidigungskrieg» auf, Sasa beschreibt das als eine Art nationale Notwehr. «Die Leute haben keine Wahl mehr», sagt der Arzt. Von aussen fehle die nötige Hilfe. So bleibe nur: kämpfen oder untergehen.
Wozu die Militarisierung des Konfliktes führt, wird nun in Chin und anderen Regionen erkennbar, wo Gewalt aufflammt. Dabei sind es nicht nur jene Orte, wo sich schon früher Milizen ethnischer Minderheiten gegen die Armee stemmten. So wie es Sasa beschreibt, kommt es nun vielerorts zu Allianzen der ethnischen Milizen mit der Demokratiebewegung. Laut Sasa war es in Chin solchen lokalen Kämpfern vor einiger Zeit gelungen, ein Armeecamp zu erobern.
In den Städten und Dörfern formierte sich zugleich Protest gegen die Diktatur. Die Junta scheint, nach allem, was man weiss, nicht gross zu unterscheiden, wer sich da mit welchen Mitteln widersetzt. Sie geht in die Offensive, mit allem, was sie aufzubieten hat. Augenzeugen berichten, dass in Chin auch Artillerie und die Luftwaffe zum Einsatz kommen. Wie sich die Aufständischen nun bewaffnen könnten, bleibt unklar. Offenbar gibt es sehr gezielte Versuche, frustrierte Soldaten zum Überlaufen zu bewegen. Sasa berichtet, dass Bewohner in Chin aber auch primitive Jagdwaffen einsetzten, teils mit Pfeil und Bogen kämpften oder mit Katapulten.
Steinschleudern gegen Kampflugzeuge? Alles deutet darauf hin, dass der ungleiche Kampf zwischen guerillaartigen Dorfmilizen und hochgerüsteter Armee zu weiteren Massakern führen wird. «Wir tun alles, um die Genfer Konventionen und das humanitäre Völkerrecht einzuhalten», versichert Sasa. Dennoch kann auch er nicht bestreiten, dass sich viele Anhänger von Aung San Suu Kyi nun vom Prinzip der Gewaltfreiheit verabschieden, das ihre Ikone im Kampf gegen die Diktatur immer hochgehalten hatte.
Was die 76-Jährige selbst davon hält? Als sie in ihrer Haft erfuhr, dass ihre Anhänger den «Verteidigungskrieg» ausriefen, soll sie laut ihrem Anwalt gesagt haben: «Kein Kommentar.» Dann schob sie angeblich noch den Satz nach: «Ich werde mich nie gegen die Wünsche des Volkes wenden.» Das dürften viele als Aufruf verstehen, dass sie jetzt selbst entscheiden müssen, wie sie der Junta begegnen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.