Partydroge und MedikamentKetamin – der Stoff, der Matthew Perry tötete
Neue Erkenntnisse zum Tod des früheren «Friends»-Darstellers bringt die Substanz in die Schlagzeilen. Sie ist Betäubungsmittel, Partydroge – und neuerdings Arznei gegen Kokainsucht und Depressionen.
Die Gerichtsmediziner von Los Angeles veröffentlichten letzte Woche das Ergebnis der Obduktion im Fall Matthew Perry: Der frühere «Friends»-Darsteller starb an den «akuten Folgen» der Einnahme von Ketamin. Der Stoff Ketamin – eigentlich ein Narkosemittel – begleitete den Star schon länger, er verwendete es als Medikament gegen Depressionen.
Derzeit hat Ketamin Konjunktur, nicht nur als Antidepressivum, sondern neuerdings auch als Mittel gegen Kokain-Abhängigkeit. An der Universität Zürich läuft derzeit eine innovative und von der Fachwelt aufmerksam verfolgte Studie über die Wirkung von Ketamin bei Kokainsüchtigen.
Nach Cannabis ist Kokain hierzulande die am häufigsten konsumierte illegale Droge. 4,2 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer ab 15 Jahren haben schon mindestens einmal Kokain konsumiert; dies ergab 2017 die Schweizerische Gesundheitsbefragung. Dass die Popularität des Stoffes seither noch zugenommen hat, zeigt sich unter anderem, wenn man auswertet, wie viel Kokainrückstände sich in den Abwässern von Städten und Regionen befinden: Gleich vier Schweizer Städte waren 2021 in den Top Ten von Europas Metropolen mit dem höchsten Pro-Kopf-Konsum von Kokain: St. Gallen auf Platz 3, Zürich auf Platz 4, Basel auf Platz 6 und Genf auf Platz 9.
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Innovative Zürcher Studie
Anders als bei der Behandlung einer Opiatabhängigkeit, etwa einer Heroinsucht, gibt es derzeit für Kokskranke keine erprobte medikamentöse Therapie. In der Regel versuchen Kokainabhängige, durch eine Psychotherapie oder in Selbsthilfegruppen vom Stoff loszukommen. Die Erfolgschancen sind erfahrungsgemäss gering.
Steigender Konsum, beschränkte Therapiemöglichkeiten: Diese Ausgangslage unterstreicht die Bedeutung einer innovativen Kokain-Studie, die diesen Sommer von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK) lanciert wird. Im Rahmen eines Nationalfondsprojektes wird die Wirksamkeit einer Kombination von Ketaminverabreichung und Psychotherapie zur Behandlung von Kokainsucht untersucht; Studienleiter ist Marcus Herdener, Leiter des Zentrums für Abhängigkeitserkrankungen an der Psychiatrischen Universitätsklinik.
Aussergewöhnlich am Versuch ist der Einsatz von Ketamin, einem Narkosemittel, das ursprünglich überwiegend in der Tiermedizin eingesetzt wurde. Ketamin wird wegen seiner halluzinogenen Nebenwirkungen auch in der Partyszene als Rauschdroge konsumiert, meist gesnieft in Form eines weissen, kristallinen Pulvers. Ketamin kommt seit kurzem auch in der Therapie von hartnäckigen Depressionen zur Anwendung, in der Regel begleitet durch eine Psychotherapie.
Neu ist der Einsatz von Ketamin bei einer Suchtbehandlung. Dabei hat der Stoff zwei therapeutische Wirkungen.
«Aus der neueren Forschung zur Kokainsucht wissen wir», sagt Herdener, «dass bei der Entwicklung einer Abhängigkeit auch der Botenstoff Glutamat eine wichtige Rolle spielt.» Im Gehirn von suchtkranken Menschen ist im Bereich des Belohnungssystems der Glutamat-Gehalt vermindert. Ketamin könnte dem entgegenwirken und den Glutamat-Stoffwechsel stabilisieren.
Gleichzeitig bewirkt Ketamin im Gehirn eine vermehrte Neuroplastizität, das bedeutet: Die Fähigkeit des Gehirns, neue Verhaltensmuster zu erlernen, verbessert sich. «Diese Eigenschaft des Ketamins ist mittlerweile gut untersucht und mehrfach belegt», sagt Herdener.
Die psychotherapeutische Komponente der Behandlung besteht darin, dass die Versuchsteilnehmerinnen und -teilnehmer ihr Belohnungssystem trainieren. Dieses Training erfolgt in einem MRI-Gerät, das die Aktivitäten des Gehirnes in Echtzeit abbildet. Die Patientinnen und Patienten müssen sich «nicht drogenassoziierte Belohnungen» vorstellen: Sie denken beispielsweise an Sex, an Essen oder an eine andere Tätigkeit, die sie als lustvoll oder angenehm empfinden. Ziel ist es, dass die Suchtkranken lernen, mithilfe des MRI-Feedbacks die Gehirnaktivität in den Bereichen des Belohnungssystems durch ihre Gedanken zu steigern. Das durch eine Infusion einmalig verabreichte Ketamin erhöht dabei die Lernfähigkeit des Gehirnes.
«Bei suchtkranken Menschen ist die Sensitivität gegenüber Belohnungsreizen, die nicht mit Drogen verbunden sind, vermindert», sagt Herdener, «soziale Kontakte, Essen oder Hobbys haben für sie an Bedeutung verloren.» Durch das Training im MRI soll diese Sensitivität erhöht werden – was, so die These des Versuches, die Abhängigkeit vom Kokain vermindert.
An der Zürcher PUK-Studie nehmen rund 120 Kokainabhänge teil. Erste Resultate sind in ein bis zwei Jahren zu erwarten. «Sollte sich das Therapiesetting unter Einbezug von Ketamin als Erfolg erweisen», sagt Herdener, «wäre dies ein grosser Schritt in der Behandlung der Kokainabhängigkeit.»
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