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Drohender Bergsturz
Mit diesen Hightech-Systemen wird der Felshang über Brienz überwacht

Hinter dem Kirchturm von Brienz droht der Absturz von mehreren Millionen Tonnen Fels und Geröll.
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Die Flanke des Piz Linard oberhalb des Dörfchens Brienz «ist momentan der wohl am besten überwachte Berg der Schweiz», sagt Andreas Huwiler. Der Bergführer und Geologe im Amt für Wald und Naturgefahren des Kantons Graubünden ist zuständig für das Bergsturzgebiet Brienz. (Mehr zum Thema: Der Berg kommt – nur wie?)

Die Überwachung liegt in den Händen eines Teams von fünf Personen, Geologinnen, Geologen und einem Ingenieur, Stefan Schneider. Diesem Frühwarndienst stehen dabei fünf verschiedene technische Systeme zur Verfügung, die unabhängig voneinander mit unterschiedlichen Methoden millimetergenau Daten über Erd- und Felsverschiebungen sammeln.

Die Bergsturzlage wird mit fünf verschiedenen Systemen von unterschiedlichen Standorten her überwacht.
  • Georadar: Eine wetterfest installierte Bodenradaranlage tastet mit Funkstrahlen den Gefahrenbereich ab und liefert Daten selbst über minimiste Bewegungen im Fels.

  • Photogrammetrie: Von zwei Standorten aus filmen hochauflösende Kameras den Schutt und die Felsen oberhalb des Dorfs.

  • Laser-Tachymetrie: Ein unterhalb des Dorfes aufgestelltes Spezialgerät misst mit Laserstrahlen die Bewegung von Reflexionspunkten. Das sind kleine Spiegel, die fix am Berg angebracht wurden.

  • GPS: Empfänger des «Global Positioning Systems», wie sie in jedem Smartphone verbaut sind, sind über den Berg verteilt installiert und melden ihren exakten Standort dem Überwachungssystem.

  • Steinschlagradar: Ein zweites Radarsystem registriert stürzenden Felsblöcke und sperrt dann sofort den gefährdeten Strassenabschnitt.


«Der Steinschlagradar ist das einzige System, das automatisch eine Reaktion auslöst», sagt Stefan Schneider. Ansonsten ist die Überwachung Hand- und Kopfarbeit. Das Team wechselt sich dabei ab, die verschiedenen Daten zu sichten und zu interpretieren.

«Ich muss Sie leider enttäuschen», sagte Schneider zu den Journalisten an einer Pressekonferenz in Chur, «es gibt keine eindrückliche James-Bond-Einsatzzentrale, in der wir arbeiten.» Auf das interaktive Datenportal können die Fachleute überall zugreifen, Laptop genügt. Das Team arbeitet in normalen Büros am Computer, zum Teil auch im Homeoffice.

In dem Datenportal werden alle Messdaten auf einer digitalen Karte angezeigt. Der überwachende Geologe kann einzelne Messpunkte per Zoom vergrössern und sich detaillierte Messergebnisse anzeigen lassen.

«Aufgrund der riesigen Datenmenge braucht der Computer bis zu zwei Stunden, um eine Prognose für den Abbruch zu erstellen.»

Stefan Schneider, Ingenieur

Mit den Daten aus den fünf Überwachungssystemen füttert der Frühwarndienst ein digitales Vorhersagemodell. «Aufgrund der riesigen Datenmenge braucht der Computer bis zu zwei Stunden, um eine Prognose für den Abbruch zu erstellen», sagt Stefan Schneider.

«Wir verlassen uns aber nicht allein auf Zahlen und Modelle, sondern hinterfragen sie auch immer wieder», sagt Schneider. «Der gesunde Menschenverstand ist und bleibt zentral.» Im Moment geht er davon aus, dass sich ein Felsabbruch innerhalb von drei Tagen bis zu mehreren Wochen ereignen kann. «Wir bleiben bei unseren Prognosen immer auf der sicheren Seite», sagt Schneider.

Zurzeit befindet sich der Frühwarndienst im Bereitschaftsgrad vier, der höchsten Stufe. Die Daten werden nun laufend gesichtet und interpretiert. Die Interpretation der Daten wird im Team jeweils intensiv diskutiert. Dabei kann es auch zu Meinungsverschiedenheiten kommen. «Wir haben jedoch Abläufe dafür festgelegt, wie wir zu einer konsolidierten Meinung kommen.»

Aufgrund seiner Erkenntnisse entwickelt der Frühwarndienst Empfehlungen für den Gemeindeführungsstab. Dieser entscheidet dann darüber, ob und wann eine nächste Warnphase ausgelöst werden soll. 

Den Berg einfach sprengen?

Seit Freitag gilt Phase Rot, Brienz ist evakuiert und darf nicht betreten werden. Die nächste Phase wäre Blau: höchste Gefahrenstufe vor dem Abbruch des Berges. In dieser Phase würden die Albulalinie der Rhätischen Bahn sowie die Kantonsstrassen von Tiefencastel nach Filisur und nach Lenzerheide gesperrt. (Lesen Sie weiter: Abschied von Brienz – «Jetzt kommt nochmals alles hoch»

Eine häufig gestellte Frage ist, ob der Bergsturz nicht künstlich durch eine Sprengung ausgelöst werden könnte, um die Unsicherheit zu beenden. «An sich ist das eine gute Idee», sagt Schneider, «nur leider ist das technisch nicht möglich.» 

Es würde nicht reichen, Sprengladungen vom Helikopter aus abwerfen. Mit oberflächlichen Explosionen wäre der Effekt zu gering. Den Sprengstoff aber mit Bohrungen präzis zu platzieren ist unmöglich, weil sich der Fels bereits zu schnell bewegt. «Dazu kommen Haftungsfragen», sagt Schneider. «Diese müssen bei einer künstlichen Sprengung anders beantwortet werden als bei einem Naturereignis.»

Ein Ende des Ausnahmezustands ist also nicht abzusehen. «Die Frage beschäftigt momentan alle, das ist für die Bevölkerung sehr belastend», sagt Christian Gartmann, der Sprecher des Gemeindeführungsstabs. «Tatsache ist: Wir können dazu momentan nichts sagen.» Die Sicherheit sei für die Behörden zentral. «Aber sobald es die Situation zulässt, lockern wir das Regime so schnell wie möglich.»