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Militärdiktatur in Myanmar
Opposition spricht von «bahn­brechendem Sieg»

Members of the Myanmar National Democratic Alliance Army hold the group's flag as they pose for a photograph on a captured army armored vehicle in Myanmar, Saturday Oct. 28, 2023. The leader of Myanmar?s army-installed government said the military will carry out counter-attacks against a powerful alliance of ethnic armed groups that has seized towns near the Chinese border in the country?s northeastern and northern regions, state-run media reported Friday Nov. 3, 2023. ("The Kokang" online media via AP)

Ob das ein Wendepunkt ist im eskalierenden Bürgerkrieg in Myanmar, seitdem das Militär die Macht in der Nacht zum 1. Februar 2021 wieder an sich gerissen hat? Das ist natürlich eine Frage, die man einem Kämpfer der People’s Defense Force (PDF) stellen muss.

«Die ‹Operation 1027› ist tatsächlich ein Gamechanger, eine politische Wende», sagt Ko Mone Dine (29). Der Offizier der Mandalay-PDF berichtet direkt aus der Offensive, mit der es ihm und seinen Kameraden in den vergangenen Tagen gelungen ist, Myanmars Junta unter enormen Druck zu setzen. Jetzt sitzt er in Uniform vor einer Baracke, wo genau er sich aufhält, ist unbekannt. Auch ist Ko Mone Dine nicht sein echter Name. Organisiert hat das Gespräch der Verein «German Solidarity with Myanmar Democracy», es findet per Videokonferenz statt.

Überall in Myanmar wurden jüngst Städte, Dörfer und Zufahrtsstrassen durch die PDF und die mit ihnen kooperierenden «Ethnic Armed Organisations» (EAO) eingenommen. Vor allem an der chinesischen Grenze im Shan-Staat, was für das Militär in Myanmar besonders kritisch ist, weil es von Peking gestützt wird – eben um chinesische Infrastruktur in diesen Gegenden zu schützen. «Wie gross Chinas Einfluss ist, kann die ganze Welt sehen», sagt Ko Mone Dine, «China will unser kleines Land unter Kontrolle bringen.» Früher, also bevor er für den Widerstand in den Kampf gezogen ist, arbeitete Ko Mone Dine für eine politische Nichtregierungsorganisation.

Es gibt auch chinesische Opfer

Peking bestätigte vergangene Woche, dass es chinesische Opfer gab, Raketen und Schüsse von den Kämpfen in Myanmar waren auf der chinesischen Seite der Grenze eingeschlagen. Chinas Aussenministerium forderte am Donnerstag seine Bürger auf, nicht nach Myanmar zu reisen.

Oppositionelle Truppen haben zudem die Stadt Kawlin in der Landesmitte eingenommen, wie Myanmars Schattenregierung «National Unity Government» (NUG) berichtete. «Eine Stadt auf Bezirksebene ist jetzt unter unserer Kontrolle», erklärte NUG-Premierminister Mahn Winn Khaing Thann auf der Plattform X. «Was für ein bahnbrechender Sieg!»

In this photo released from the The Military True News Information Team on Nov. 8, 2023, Senior Gen. Min Aung Hlaing, chairman of State Administration Council, speaks during a meeting with members the National Defense and Security Council in Naypyitaw, Myanmar. The head of Myanmar?s military government has charged that a major offensive in the country?s northeast by an alliance of armed ethnic minority organizations was funded in part by profits earned by one of the groups from the region's lucrative drug trade, state-controlled media reported Thursday. (The Military True News Information Team via AP)

Ko Mone Dine berichtet, wie seine Truppe die «Operation 1027» schon am 26. Oktober durch eine Attacke auf Zufahrtsstrassen nach Pyin Oo Lwin eröffnet hat. «Die Junta reagiert sehr hart darauf, mit allen Mitteln, mit Artillerie, Kampfjets, Panzern, Raketen, schwerem Gerät. Es sind richtig viele Soldaten im Einsatz.» Es wäre ein Gesichtsverlust für die Junta und ihren Anführer, General Min Aung Hlaing, wenn die Stadt verloren ginge: In Pyin Oo Lwin sitzt die Elite-Militärakademie des Landes.

Für den Widerstand kann man es wohl als gutes Zeichen deuten, dass Myint Swe, der vom Militär eingesetzte Präsident Myanmars, am Donnerstag sagte, «wenn die Regierung die Vorfälle in der Grenzregion nicht wirksam unter Kontrolle bringt, wird das Land in mehrere Teile gespalten». Das hört sich einerseits beunruhigt an und bedient andererseits das Narrativ des Militärs, dass nur die Armee den Vielvölkerstaat Myanmar zusammenhalten kann. Mit diesem Argument wurde schliesslich auch der erneute Griff nach der Macht und die Unterdrückung der Opposition gerechtfertigt. «Aber die Menschen wollen Freiheit und Föderalismus», sagt Ko Mone Dine.

«Ich habe den Eindruck, der Westen interessiert sich nicht für Myanmar.»

Widerstandskämpfer Ko Mone Dine

Dass die Generäle vor allem in die eigene Tasche wirtschaften und dafür die demokratischen Kräfte im Land mit äusserster Brutalität verfolgen, hat den Widerstand der Bevölkerung wachsen lassen. Und dies, obwohl sich die Weltöffentlichkeit nach dem Putsch 2021 (lesen Sie hier einen Vergleich der Diktaturen in Myanmar und Thailand) bald abgewandt hat. Afghanistan, der Krieg in der Ukraine und nun auch im Gazastreifen binden die Aufmerksamkeit. «Wir haben so viel erwartet, von China, von den USA, und haben ohne Unterstützung mehr als zwei Jahre überlebt», sagt Ko Mone Dine. «Ich habe den Eindruck, der Westen interessiert sich nicht für Myanmar.»

Wie gross die reguläre Armee tatsächlich ist, lässt sich schwer beurteilen. Alte Schätzungen gehen von etwa 400’000 Mann aus. Wie verlässlich diese Zahlen sind und wie belastbar die Soldaten, könnte sich nun erst zeigen. Bislang konnte die Junta ihre Macht nicht durchsetzen. Das liegt vielleicht auch daran, dass den Soldaten Motivation und Perspektive fehlen. «Es gibt keine taktischen Ziele der Junta. Sie möchte uns nur vernichten», sagt Ko Mone Dine. Auch das harte Vorgehen des Militärs mit Luftangriffen auf zivile Ziele wirkt, als würde jemand um sich schlagen.

Die oppositionellen Streitkräfte haben Zulauf

Die PDF, von denen es im Land mittlerweile mehr als 300 geben soll, verzeichnen jedenfalls stetig Zulauf von Menschen aus der Demokratiebewegung, die sich in die Teile des Landes flüchten, die nicht unter Kontrolle der Armee sind. «Die Frage ist, wie lange die Junta-Soldaten unsere Offensive aushalten. Wir haben die Unterstützung der Bevölkerung, und wir haben Kampfmoral.» Ihre Kämpfer seien jung und motiviert – im Gegensatz zu den Junta-Soldaten. Sie würden im Basistraining mit Menschenrechten und politwissenschaftlichem Grundwissen vertraut gemacht.

Trotzdem sagt Ko Mone Dine: «Wir brauchen die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Damit meine ich gar nicht Truppen, sondern Drohnen und Ausrüstung.» Vor allem Flugabwehrsysteme wären wichtig, um sich gegen die Luftangriffe der Junta verteidigen zu können. «Sie sind eine starke Armee, wir müssen Respekt davor haben.»

Was unternimmt China?

In den zweieinhalb Jahren Bürgerkrieg haben sich die PDF und die EAO gut organisiert, Waffen gekauft, grösstenteils finanziert durch Spenden von Exil-Myanmarern. «Wir wissen auch, wie man Truppen führt, und bündeln unsere Kräfte.» Die Wahlen, die von der Militärregierung in Aussicht gestellt wurden, nimmt ohnehin niemand ernst. Die volle Unterstützung bekommt die Junta nur noch vom Waffenlieferanten Russland.

Die Frage sei, ob General Min Aung Hlaing seine Macht «lebend oder sterbend» aufgeben wolle. Und Peking? «China wird sich auf die Seite schlagen, wo es den Gewinner sieht», sagt Ko Mone Dine. Dann geht er wieder kämpfen.