Kommentar zu Balkanrückkehrern Migrationshintergrund ist ein Corona-Risiko
Schwere Verläufe sind unter Migranten besonders häufig. Sie deswegen zu Sündenböcken zu machen, ist aber gefährlich und falsch.
Lange war diese Tatsache der Elefant im Raum dieser Pandemie: Das Corona-Risiko ist nicht nur bei Alten und Vorerkrankten besonders hoch, sondern auch bei Personen mit Migrationshintergrund.
Man sprach kaum darüber. In den Spitälern herrschte dazu lang eiserne Omertà. Deshalb gab es allzu lang nur schwammige Indizien zu dem Thema. Wer es trotzdem diskutieren wollte, sah sich als Fremdenfeind (oder Schlimmeres) denunziert. Einzig der Kanton St. Gallen hatte in einer sorgfältigen statistischen Auswertung aus der zweiten Welle über das Problem berichtet – ohne auf grosses (Medien-)Echo zu stossen.
Aber seit Dienstag machen nun doch noch harte Zahlen der Taskforce Schlagzeilen: Ein Drittel der Covid-Opfer in den Spitälern sind Reiserückkehrer aus dem Balkan. Die meisten von ihnen zurück von einem Verwandtenbesuch, und die allermeisten ungeimpft.
Diese Gruppen tragen also ganz besonders dazu bei, dass die Spitäler und ihr Personal schon innert der kommenden Wochen an den Anschlag kommen könnten. Und dass wir wieder neue Einschränkungen zu gewärtigen haben.
Was aber nicht passieren darf: Menschen mit Migrationshintergrund zum Sündenbock der Pandemie zu machen.
Damit wird die Debatte darüber befeuert, wie Migrantinnen und Migranten besser dazu gebracht werden können, sich zu schützen oder zu impfen. Dazu wurde schon viel gemacht – weit mehr als nur Merkblätter in allen Sprachen. Die Kantone bemühen sich, die Wortführer in den Einwanderer-Gemeinschaften direkt dazu zu ermuntern, sich für die gute Sache zu engagieren und dafür ihre Glaubwürdigkeit einzusetzen. Aber natürlich können – und müssen – die Gesundheitspolitiker und -behörden noch mehr dafür tun.
Was aber nicht passieren darf: dass Menschen mit Migrationshintergrund zum Sündenbock der Pandemie gemacht werden und zum Blitzableiter des Ärgers über die Verschärfungen, die der Bundesrat nun wieder vorschlägt. Dieses Muster ist aus vielen Seuchenzügen der Geschichte bekannt – und gefährlich.
Es suggeriert eine einfache Lösung: Ausländer raus – und Corona hat sich für die Übrigen erledigt. Anderthalb Jahre Pandemie haben vorgeführt, dass das höchstens in Inselgesellschaften in Asien funktioniert. Abschottung und Grenzschliessungen führen zu grösseren Schäden, als dass sie gegen die Ausbreitung des Virus nützten.
Schliesslich ist schon das Gesundheitswesen auf Zehntausende von Grenzgängerinnen und Grenzgängern und Migrantinnen und Migranten angewiesen, um auch ohne Pandemie zu funktionieren. Vom Rest der Wirtschaft ganz abgesehen. Die Gräben weiter aufzureissen, hilft also nicht. Umgekehrt zeigt es sich halt auch hier: Das Zusammenleben verschiedener Kulturen und sozialer Gruppen ist nicht so simpel, wie sich das viele Jubel-Internationalisten und Globalisierer vorstellen. Es braucht Ernst und Offenheit, diese Probleme nicht zu tabuisieren, sondern sichtbar zu machen, anzusprechen und anzugehen.
Die Corona-Strategie muss sich auf diejenigen sozialen Gruppen konzentrieren, die von der Impfkampagne womöglich noch nicht erreicht wurden.
Es dürfte sich auch lohnen, die Aufmerksamkeit weg von den Stahlhelm-Impfgegnern zu lenken und das Kriegsbeil gegen sie zu begraben. Sie sind eine Minderheit und durch nichts zu überzeugen, schon gar nicht mit Zwang. Zudem sind sie offensichtlich nicht die wichtigste Hürde beim Ausweg aus der Pandemie.
Die Corona-Strategie muss sich auf diejenigen sozialen Gruppen konzentrieren, die von der Impfkampagne womöglich noch nicht erreicht wurden: nicht nur Ausländer, sondern auch Junge, weniger Gebildete und andere, von denen wir noch nicht einmal wissen, dass sie eben doch für die Impfung zu gewinnen wären.
Apropos – der tägliche Podcast
Den Podcast können Sie kostenlos hören und abonnieren auf Spotify, Apple Podcasts oder Google Podcasts. Falls Sie eine andere Podcast-App nutzen, suchen Sie einfach nach «Apropos».
Fehler gefunden?Jetzt melden.