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Meinung

Gastbeitrag von Jacqueline Fehr zur EU
Für eine Schutzklausel, die beide Seiten schützt

Regierungspraesidentin Jacqueline Fehr, Vorsteherin der Direktion der Justiz und des Innern, spricht zur Integrationsfoerderung von gefluecchteten Personen aus der Ukraine mit Status S, aufgenommen am Montag, 21. Maerz 2022 in Zuerich. (KEYSTONE/Ennio Leanza)
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Zwei Menschen streiten sich um eine Orange. Ein dritter sagt: «Schneidet sie doch entzwei!» Und schneidet auch gleich. 

Die beiden Streitenden reagieren frustriert: «Ich hätte die Schale der ganzen Orange für einen Kuchen gebraucht!» – «Und ich den Saft für ein Getränk!»

Fazit: Wer nur die Positionen von Streitparteien, nicht aber deren Interessen kennt, findet keine guten Lösungen. Das gilt auch für die Verhandlungen der Schweiz mit der EU und insbesondere für die umstrittene Schutzklausel. Die Schweiz will sich mit einer solchen Klausel schützen können, wenn die Zuwanderung einen bestimmten Wert überschreitet. Die EU lehnt die Klausel ab.

Die Debatte über eine Schutzklausel führe in die Sackgasse, titelte der «Tages-Anzeiger» vor einigen Tagen. Nein, das muss sie nicht. Allerdings entsteht nur dann eine fruchtbare Debatte, wenn klar ist, welche Anliegen hinter den Positionen der beiden Parteien stehen. 

Die Schweiz will die Klausel als Trumpf in der innenpolitischen Debatte. Ein wirksamer Bremsmechanismus für den Fall, dass die Zuwanderung stark an Tempo zunimmt, ist das beste Mittel gegen das verbreitete Gefühl des Ausgeliefertseins. 

Was wir Europa geben könnten

Und die EU? 

Sie wehrt sich gegen eine Schutzklausel, weil die Personenfreizügigkeit zu ihren Grundprinzipien gehört. Zudem befürchtet die EU, die Schweiz würde Rosinen picken und die Klausel nur dort anwenden, wo sie ihr nützt – also zur Beschränkung von unerwünschter Zuwanderung, nicht aber, um hoch qualifizierte Spitzenkräfte an der Abwanderung aus den EU-Ländern zu hindern. 

Und schliesslich sieht die EU schlicht das Problem der Schweiz nicht: Was kann man dagegen haben, wenn man Fachkräfte bekommt, die andernorts ausgebildet worden sind? 

Klar ist: Es wird keine Fortschritte geben, solange eine Schutzklausel nur Schweizer Interessen bedient. Beide Seiten müssen profitieren.

Und was bedeutet das nun konkret?

In den meisten europäischen Ländern heisst das Problem nicht Zuwanderung, sondern Abwanderung. Insbesondere die Länder im Osten und im Süden sind davon stark betroffen. So gibt es in Italien einen dramatischen Mangel an medizinischen Fachkräften. 

Will die Schweiz also wirklich Bewegung ins Thema bringen, muss sie Hand bieten für eine gegenseitige Schutzklausel. 

Das könnte bedeuten:

Die Schweiz bekäme die Möglichkeit, in bestimmten Fällen die Zuwanderung zu beschränken. Die europäischen Länder bekämen umgekehrt die Möglichkeit, bei zu starker Abwanderung die Schweiz an den Kosten zu beteiligen, die sie hatten, um die bei uns gefragten Fachkräfte auszubilden. Diese Ausgleichszahlungen könnten über eine Ergänzung des Kohäsionsfonds abgewickelt werden. 

Konkret: Überschreitet die Anzahl der polnischen, italienischen, portugiesischen Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz eine bestimmte Schwelle, müsste die Schweiz über den Kohäsionsfonds Ausgleichszahlungen für die Ausbildungsleistungen leisten. 

Je genauer wir die Interessen unseres Gegenübers studieren, desto grösser wird der Korb an möglichen Lösungen. Hauruck-Aktionen mit halben Orangen helfen niemandem. 

Regierungsrätin Jacqueline Fehr leitet die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich. Sie ist Co-Präsidentin der Plattform EU der SP und gehört der Europakommission der Konferenz der Kantonsregierungen an.