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Deals mit Tunesien und Libyen
Viele Flüchtende erreichen Italien nicht – sie werden vorher brutal ausgebremst

In this photo provided by the Tunisian Presidency, Tunisian President Kais Saied, right, shakes hands with Italian Prime Minister Giorgia Meloni, in Tunis, Wednesday April 17, 2024. Meloni and Saied signed new accords part of Italy's larger "Mattei Plan" for Africa, a continent-wide strategy aimed at growing economic opportunities and preventing migration from Africa to Europe.(Slim Abid/ Tunisian Presidential Palace via AP)
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Etwas ist anders in diesem Sommer in Italien. Waren jahrelang die vielen Migranten, die über das Mittelmeer kamen, dramatische Rettungsaktionen auf See und überfüllte Aufnahmezentren Dauerthema in Medien und Politik, so ist derzeit kaum davon die Rede. Tatsächlich ist die Zahl der Bootsflüchtlinge drastisch gesunken, gut 38’000 sind laut Innenministerium in Rom dieses Jahr angekommen (Stand 19. August). Vor einem Jahr waren es zur gleichen Zeit bereits 105’000 Menschen, gut doppelt so viele wie 2022. Nun sind es 63 Prozent weniger Ankünfte als vor einem Jahr.

Damals brachen die meisten Migranten von Tunesien Richtung Sizilien auf, nun ist Libyen wieder wichtigster Ausgangspunkt. Die grösste Nationalitätengruppe kommt aus Bangladesh, gefolgt von Syrien und Tunesien. Von den Subsahara-Ländern ist Guinea mit gut 2100 an erster Stelle.

Über 21’000 Migranten «gehindert oder gerettet»

Weshalb dieser Rückgang? Es sind doch mehr Flüchtlinge und Migranten auf der Welt unterwegs denn je. Dass weniger übers Meer nach Italien gelangen, hat damit zu tun, was in Tunesien und Libyen passiert. Mit beiden Ländern haben die EU und Italien Abkommen geschlossen (lesen Sie hier die Analyse zum Abkommen). Es fliesst Geld nach Tunis und Tripolis dafür, dass dort Migranten aufgehalten werden. 2023 sagte die EU Tunesien 105 Millionen Euro dafür zu, Italien und Frankreich wollen weiteres Geld geben. Im Mai erklärte die Nationalgarde, es seien mehr als 21’000 Menschen auf See «an der Ausreise gehindert oder gerettet» worden.

Jedoch hat Tunesien kein Aufnahme- und Asylsystem. Menschen- und Flüchtlingsrechte sind in dem zunehmend autoritär regierten Land alles andere als garantiert, Präsident Kaïs Saïed will die Migranten aus Subsahara-Ländern loswerden. Küstenwache und andere Einheiten gehen schikanös, teilweise brutal gegen sie vor, darüber gibt es viele Berichte von Betroffenen, Menschenrechtsorganisationen und Medienschaffenden. Demnach schlagen Sicherheitskräfte Migrantinnen und Migranten, karren sie ohne Prüfung ihres Falls in die Wüste an der Grenze zu Algerien. Dutzende sind dort umgekommen, vermutlich weitere unbemerkt.

Ein Massengrab wurde entdeckt

Dasselbe passiert an der Grenze zu Libyen. Von mindestens 29 in der Wüste Gestorbenen berichtete die UNO im April. Im Grenzgebiet wurde auch ein Massengrab mit mindestens 65 Toten entdeckt. Das UNHCR hat in Tunesien mehr als 18’000 Schutzsuchende registriert, es sind längst nicht alle. Es kursieren Zahlen bis zu 70’000. Innenminister Kamel Feki sagte im Mai, 32’000 Menschen aus Subsahara-Staaten seien im Land, 23’000 irregulär.

Libyens Küstenwache hat laut der UNO-Agentur für Migration (IOM) bisher rund 14’000 Menschen auf Booten gestoppt und zurückgebracht. Diese Aktionen sind höchst umstritten. Das Land gilt als nicht sicher, nach internationalem Recht dürfen Flüchtlinge nicht dorthin zurückgebracht werden, auch nicht aus Seenot gerettete. Seit Jahren wird berichtet, die Küstenwache misshandle Flüchtlinge, unterlasse Hilfe, schiesse auf Migranten. Crews privater Seenotretter berichteten, mit Waffen bedroht worden zu sein.

Nicht nur an der Küste scheinen Libyens Sicherheitskräfte verstärkt gegen irreguläre Migration vorzugehen. Fast täglich melden sie in sozialen Medien, Migranten aufgegriffen, sie aus der Gewalt von Milizen befreit und Ägypter gruppenweise abgeschoben zu haben. Als Asylsuchende oder Flüchtlinge sind laut UNHCR rund 66’000 Menschen registriert.

Irreguläre Migrantinnen und Migranten gibt es weit mehr: Im Juli sprach der Innenminister der Regierung in Tripolis von 2,5 Millionen Ausländern, 70 bis 80 Prozent seien illegal eingereist. So brutal Tunesiens und Libyens Küstenwachen vorgehen, womöglich gäbe es sonst noch mehr Untergänge und Tote. Das zentrale Mittelmeer bleibt die tödlichste Flüchtlingsstrecke. Der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge sind auf ihr 2024 schon mehr als 1000 Menschen gestorben, oder sie werden vermisst.