Situation in Belarus Polizei verhaftet mehrere Migranten – Merkel bittet Putin um Unterstützung
Die Lage spitzt sich zu: Die EU droht mit Sanktionen. Im Visier sind auch Fluggesellschaften, die den Transport der Migranten nach Belarus ermöglichten. Die deutsche Kanzlerin redete dem russischen Präsidenten ins Gewissen.
Die Polizei in Polen hat mehr als 50 Migranten nahe der Grenze zu Belarus festgenommen. Die Menschen hätten in zwei Gruppen Grenzzäune und -Barrieren gewaltsam niedergerissen und seien illegal nach Polen eingereist, erklärte der örtliche Polizeisprecher Tomasz Krupa am Mittwoch. Die Festnahmen seien in den vergangenen 24 Stunden in der Nähe der Ortschaft Bialowieza erfolgt. Mehrere Flüchtlinge hätten sich der Festnahme entzogen, nach ihnen werde nun gesucht.
«Während wir es vor zwei Tagen mit einer grossen Gruppe zu tun hatten, die sich in der Nähe von Kuznica Bialostocka versammelte (...) und versuchte, die Grenze zu überwinden, haben wir es nun mit zahlreichen kleineren Gruppen zu tun, die die polnische Grenze gleichzeitig an mehreren Stellen stürmen», sagte der polnische Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak am Mittwoch im polnischen Rundfunk.
Auf der belarussischen Seite befänden sich Hunderte Menschen. Nach Angaben der polnischen Behörden hätten die Flüchtlinge von belarussischen Organisationen Lebensmittel erhalten, hiess es weiter. Gleichzeitig würden nach Angaben des Ministeriums seitens belarussischer Beamte versucht, die Migranten durch Einschüchterungen zum Überschreiten der Grenze zu bewegen.
Das EU-Mitglied Polen hat Tausende Soldaten an der Grenze stationiert, die einen Durchbruch an den Anlagen mit Stacheldraht verhindern sollen. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hatte am Dienstag gefordert, die Menschen durchzulassen. Sie wollten sich nicht in Polen niederlassen, sondern vor allem in Deutschland, sagte er in einem Interview.
Merkel telefoniert mit Putin
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat am Mittwoch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert. Laut Regierungssprecher Steffen Siebert habe Merkel unterstrichen, dass die Instrumentalisierung von Migranten unmenschlich und inakzeptabel sei. Sie habe Putin gebeten, «auf das Regime in Minsk einzuwirken».
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Deutschland droht mit Sanktionen
Der als «letzter Diktator Europas» verschriene Politiker steht im Ruf, die Menschen aus Krisenstaaten wie Syrien, Afghanistan, Libyen und Irak gezielt einfliegen zu lassen, um sie dann in Richtung EU-Grenze zu schleusen. Lukaschenko hatte die Anschuldigungen zurückgewiesen und internationale Schleusernetzwerke für die Organisation der Reisen der Menschen verantwortlich gemacht. Er räumte erneut ein, die Migranten auf ihrem Weg in die EU nicht mehr aufzuhalten.
Der deutsche Aussenminister Heiko Maas ist für Sanktionen gegen alle, die sich an der Schleusung von Flüchtlingen nach Belarus beteiligen. «Niemand sollte sich ungestraft an Lukaschenkos menschenverachtenden Aktivitäten beteiligen dürfen», erklärte Maas mit Blick auf das Verhalten von Lukaschenko in der Nacht zum Mittwoch in Berlin. Dies gelte für Herkunfts- und Transitstaaten, aber auch für Fluggesellschaften, die den Transport von Menschen nach Belarus ermöglichten. Die Europäische Union sei bereit, «hier klare Konsequenzen zu ziehen».
Österreich bietet Polen Hilfe beim Grenzschutz an
Angesichts des Andrangs an der polnischen Grenze hat Österreich Polen Hilfe beim Grenzschutz angeboten. Wien werde Warschau «solidarisch zur Seite stehen», sagte Innenminister Karl Nehammer der «Welt» (Mittwochsausgabe). «So wie wir die EU-Aussengrenze in Griechenland und Litauen gesichert haben, bieten wir auch Polen unsere Unterstützung an.»
Wie bereits der deutsche Innenminister Horst Seehofer forderte auch Nehammer die EU-Kommission auf, die Regierung in Warschau beim Grenzschutz stärker zu unterstützen. «Die EU-Kommission muss Polen bei der Sicherung der EU-Aussengrenze unterstützen und die nötigen Mittel für die Errichtung eines robusten Grenzzaunes bereitstellen.» Hilfe bei der Registrierung von Migranten anzubieten, sei hingegen «das völlig falsche Signal».
Österreich hatte laut «Welt» im Frühjahr 2020 Griechenland und im Sommer dieses Jahres Litauen vorübergehend Cobra-Spezialkräfte, Drohnen, gepanzerte Fahrzeuge, Nachtsichtgeräte und Wärmebildtechnik bei der Grenzsicherung zur Verfügung gestellt.
Migrationsforscher wirft EU «AfD-Politik» vor
Der Migrationsforscher Gerald Knaus hat der Europäischen Union im Flüchtlingsstreit mit Belarus eine «AfD-Politik» vorgeworfen. «Was wir jetzt machen, ist die AfD-Politik, die wir 2015 nicht gemacht haben an der Grenze der Europäischen Union», sagte Knaus am Mittwoch im ARD-«Morgenmagazin.»
Für Russland sowie den belarussischen Machthaber sei es eine moralische Genugtuung zu sehen, dass sich die EU nicht mehr an ihre Werte halte und hilflos sei. Knaus, der als ein Architekt des EU-Türkei-Abkommens zur Reduzierung der Fluchtbewegung gilt, zitierte die AfD-Politikerin Beatrix von Storch. Sie habe im Januar 2016 gesagt, «Wer das Halt an unserer Grenze nicht akzeptiert, ist ein Angreifer. Gegen Angreifer müssen wir uns verteidigen, auch mit Waffen.» Genau das werde nun an der belarussischen Grenze praktiziert.
Merkel sollte sich mit den USA und der Ukraine zusammenschliessen
Die EU schlittere in eine strategische, politische und moralische Niederlage, warnte Knaus. Politisch sei sie gespalten. «Die Stimmen werden laut werden, die über kurz oder lang sagen werden, ‹Verhandeln wir mit ihm. Heben wir die Sanktionen gegen Lukaschenko auf'», sagte der Migrationsforscher. Gleichzeitig gebe die Union ihre Werte auf, «weil wir einen Wettbewerb der Brutalität sehen, wo alle Gesetze und Flüchtlingskonventionen nicht mehr gelten." Zusätzlich zeige die Situation, wie erpressbar die Union sei.
Das sei ein Signal an die russischen Nachbarstaaten. «Wenn die Europäische Union das nächste Mal darüber nachdenkt, Sanktionen zu erlassen, weil ein Angriff in der Ukraine bevorsteht, besteht die grosse Gefahr, dass zehntausend Leute an der Grenze der baltischen Staaten auftauchen», sagte Knaus. Die Erwartung Russlands werde sein, die Union werde nachgeben.
Knaus zufolge sei eine Lösung nur über Partnerschaften möglich. «Ich glaube, die deutsche Kanzlerin sollte jetzt mit dem amerikanischen Präsidenten und dem Präsidenten der Ukraine telefonieren und einen Anti-Erpressungspakt schliessen», sagte er.
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