#MeToo in FrankreichGérard Depardieu macht sich unmöglich – in Nordkorea
Die Franzosen verklären ihre Kultfiguren, bis es nicht mehr geht. Schauspieler Gérard Depardieu, dem sexuelle Übergriffe angelastet werden, verstört mit vulgären Sprüchen, auch über ein Kind – vor laufender Kamera.
Ein «heiliges Monster» verliert seine Heiligkeit. «Monstre sacré» – so nennen die Franzosen ihre Kultfiguren, Entrückte der Kunst. Figuren wie Gérard Depardieu, einen Überflieger unter den französischen Schauspielern, gefeiert und verehrt, als wäre sein Talent nicht von dieser Welt. Nun fragen sich die Franzosen, ob die Verklärung der Wirklichkeit standhält, ob sie das je tat. Gut möglich, dass gerade Frankreichs #MeToo beginnt.
Der staatliche Fernsehsender France 2 hat Gérard Depardieu am Donnerstag in seinem Rechercheformat «Complément d’enquête» gezeigt, wie der bei einem Besuch in Nordkorea denkwürdig derb über Frauen und ihre Geschlechtsteile spricht. Einmal redet er auch so über ein vielleicht zehnjähriges Mädchen, das in einer Szene auf einem Pferd durch eine Manege reitet.
Immer wieder bedrängt Depardieu verbal seine nordkoreanische Dolmetscherin, die sich zu wehren versucht. Einmal sagt er zu ihr: «Ich habe einen Balken in meiner Unterhose.» Als er eine Waage sieht, sagt er: «Ich wiege 124 Kilo, ohne Erektion – erigiert 126.» Alles vor laufender Kamera.
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Das Material hätte eigentlich nicht veröffentlicht werden sollen. Fünf Jahre lang lag es im Archiv einer Produktionsfirma, dann reichte die es weiter an France 2. Offenbar war der Firma daran gelegen, die vielen Vorwürfe und Gerüchte über sexuelle Übergriffe und die Anzeige wegen Vergewaltigung gegen Depardieu mit diesen verbalen Entgleisungen zu unterlegen, sie zu polstern gewissermassen, das Tabu zu brechen.
Der Schauspieler war 2018 zum 70. Jahrestag der Staatsgründung nach Nordkorea gereist. Geplant war ein Dokumentarfilm über das abgeschottete Land. Eingeladen hatte ihn das Regime von Kim Jong-un, und darüber war in Frankreich niemand überrascht: Depardieu hatte einen merkwürdigen Hang zu Herrschern entwickelt, er suchte deren Nähe.
Die Zeitung «Le Monde» vermutet, dass sich Depardieu irgendwann in derselben Liga verortete wie die Mächtigen der Welt. Besonders eng wurde er mit Wladimir Putin, und der dankte ihm die Freundschaft mit der Vergabe der russischen Staatsbürgerschaft.
«C’est fini», sagt sein Freund und Produzent. Es ist vorbei
Nordkorea fand er auch ganz toll. Der mitgereiste Regisseur, ein Freund Depardieus, drehte 18 Stunden Filmmaterial. Doch aus dem Plan der Dokumentation wurde nichts: Die Produzenten hielten den Film für unbrauchbar. Und da in dem Material so viele Mitschnitte dabei waren, die Depardieu ausser Kontrolle zeigten, beschloss man, es in einer Ecke zu verstauen. Bis jetzt.
Der Zeitpunkt ist nicht zufällig gewählt, Depardieu erlebt das Jahr seiner Selbstentzauberung. «C’est fini», sagt in der Sendung Jean-Louis Livi, ein langjähriger Freund Depardieus und Produzent seiner Filme. Es ist vorbei.
Niemand wolle mehr mit ihm drehen, schreibt «Le Monde», weil sich die Sender und Streamingdienste weigerten, neue Projekte mit Depardieu zu finanzieren, und ohne Geld keine Filme. Seine Tour durch Frankreich mit dem Programm «Depardieu chante Barbara», in dem er der Sängerin Barbara Tribut zollt, ist schon um etliche Daten gekürzt worden, weil, wie es offiziell heisst, die Säle oft nur zur Hälfte gefüllt seien.
Doch ob das der wahre Grund ist? Oft kam es vor Auftritten zu lauten Demos von Feministinnen, die Depardieu vorwerfen, ein Vergewaltiger zu sein. In Marseille und Toulouse etwa hielten sie ein Plakat hoch, auf dem stand: «Der schwarze Adler, das bist du.» «L’aigle noir», so heisst ein Lied von Barbara.
Angezeigt wegen doppelter Vergewaltigung
Die junge Schauspielerin Charlotte Arnould hat Depardieu wegen Vergewaltigung angezeigt. Zweimal, so behauptet sie, soll er sich an ihr vergangen haben, in seiner Pariser Wohnung, 2018. Auf die Frage, warum sie nach dem ersten Mal noch einmal bei ihm zu Hause gewesen sei, sagte Arnould, sie habe ihn mit der Geschichte konfrontieren wollen, immerhin sei Depardieu ein Freund ihres Vaters gewesen. Und sie sei dann geschockt und wie versteinert gewesen, als er es wieder getan habe.
Es gibt Videoaufnahmen aus Depardieus Wohnung, auf denen man die beiden sieht, die Kameras liefen offenbar ständig. Depardieu behauptet, Arnould habe eingewilligt. Im vergangenen Jahr leitete die Justiz ein Ermittlungsverfahren ein, es läuft noch, es gilt die Unschuldsvermutung. Arnould ist nicht die einzige Frau, die Depardieu belastet. Die unabhängige Plattform «Mediapart» hat mit weiteren Frauen gesprochen, die von sexuellen Übergriffen berichteten.
Er klagt über eine «mediale Lynchjustiz»
Depardieu äusserte sich seitdem nur einmal, in einem offenen Brief in der Zeitung «Le Figaro». Es sei eine «mediale Lynchjustiz» gegen ihn im Gange, schrieb er. «Noch nie, wirklich noch gar nie habe ich mich an einer Frau vergangen.»
Die Macher von «Complément d’enquête» haben mehrmals versucht, Depardieu für ein Interview zu gewinnen, doch das wollte er nicht. Überhaupt scheint er seit einer Weile abgetaucht zu sein. So sprach France 2 mit seinem Bruder, mit seiner Ex-Frau und mit Produzenten, mit denen er gearbeitet hat. Sie alle nahmen Depardieu in Schutz. Er sei kein Aggressor, allerhöchstens rede er ein bisschen direkt – so sei er nun mal, der Gérard. Er verspüre halt immer das Bedürfnis, seine Umgebung zu «unterhalten».
Statt Depardieu ging sein Freund Livi, der Produzent, ins Studio von France 2. Er sollte ihn da verteidigen, die Bilder aus Nordkorea sah er zum ersten Mal, auch die Kommentare zum Kind auf dem Pferd. Und war schockiert. «Jämmerlich» sei das, und Depardieu sei ein «Vollidiot», wenn er so rede, er werde ihm das sagen. «Doch die Sendung ist wie eine Guillotine», sagte Livi auch. Dabei sei Depardieu doch immer noch ein Genie, ein Monument. Solange die Justiz ihn nicht verurteile, sei er auch bereit, wieder mit ihm zu arbeiten.
Depardieu ist jetzt 74 Jahre alt. Es gab eine Zeit, da verkörperte er das französische Kino fast allein, so gross war er. Der Junge aus dem provinziellen Châteauroux konnte alles spielen, ernste und lustige Rollen, allem drückte er sein Gesicht auf, seine Stimme, sein Spiel. Stand sein Name auf dem Plakat, war der Film ein Erfolg. Was er auch vortrug, es hatte mehr Intensität als bei anderen Schauspielern. Ein Naturtalent, eine Naturgewalt.
Das alte Interview und das Image in Amerika
Spätestens als «Cyrano de Bergerac» wurde er 1990 weltbekannt, er war auch für die Oscars nominiert. Das Magazin «Time» fand damals ein altes Interview, in dem Depardieu erzählte, dass er schon als Jugendlicher in Châteauroux an Gruppenvergewaltigungen teilgenommen habe, das sei «nichts Falsches» gewesen, die Mädchen hätten es so gewollt. Das Image des Franzosen war ruiniert, den Oscar bekam er nicht.
Doch in Frankreich hielt man alles für eine Verschwörung gegen ihren Star. Die Amerikaner, hiess es, würden den Franzosen diesen grandiosen Schauspieler neiden, ihr «monstre sacré». Sein Status war immer grösser als alle Skandale, sie prallten daran ab wie an einer Gummimauer. Bislang wenigstens.
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