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Meinung

Gastkommentar zu den Corona-Protesten
Meinungsfreiheit ist heilig – in klaren Grenzen

Massenversammlung ohne (oder mit nur wenigen) Masken: Die Corona-Proteste in Liestal.
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Die Corona-Skeptiker, die die Kundgebung in Liestal organisiert haben und jetzt für eine ähnliche Demonstration in Altdorf keine Bewilligung erhalten haben, berufen sich auf die Meinungsäusserungsfreiheit.

Dieses Grundrecht ist in der Tat für den Willensbildungsprozess demokratischer Staaten elementar. Zu Recht geht sein Schutz in westlichen Demokratien sehr weit: Das Dumme wird genauso geschützt wie das Anrüchige, das Konservative wie das Utopische.

Allein die Tatsache, dass eine Meinung der Mehrheit missfällt, darf keine Zensur gegen die Minderheit rechtfertigen.

Wie bei allen Grundrechten bestehen dennoch Grenzen. Die Gerichte ziehen diese sehr weit, wenn es um Werturteile geht, die den politischen Diskurs erst ermöglichen. Sie liegen enger im Bereich der Tatsachenurteile, wo offensichtliche Lügen keinen Schutz geniessen. Eine absolute Grenze ist dort erreicht, wo andere Menschen in ihren persönlichen Verhältnissen erheblich verletzt oder gefährdet werden, namentlich durch rassistische, antireligiöse, pornografische oder gewaltverherrlichende Äusserungen.

Dank Internet und Social Media sind die Grenzen der Meinungsfreiheit in den letzten Jahren immer weiter ausgelotet worden. Fake News und Verschwörungstheorien galten bis vor kurzem noch als obskure Äusserungen weniger Spinner. Aber heute ziehen sie weite Kreise. Wahrhaft «viralgehende» Meldungen der Corona-Skeptiker verseuchen mittlerweile sogar die Spalten biederer Schweizer Tageszeitungen.

Klar ist: Allein die Tatsache, dass eine Meinung der Mehrheit missfällt, darf keine Zensur oder gar Repression gegen die Minderheit rechtfertigen, sonst würden demokratische Grundpfeiler gesprengt. Aber es stellt sich die Frage, ob der Grundrechtsschutz in Krisenzeiten die gleiche Bedeutung hat.

Darüber streitet die Rechtsphilosophie schon lange; die Antworten sind höchst unterschiedlich. Interessant ist, dass ausgerechnet in den USA, wo der Schutz der Meinungsäusserungsfreiheit traditionell und bis heute sehr weit geht, der Oberste Gerichtshof 1919 in «Schenck v. United States» der Propaganda gegen die Kriegsrekrutierung den Schutz der Verfassung entzog.

Die Begründung des Gerichts ist berühmt: «Selbst der strengste Schutz der freien Meinungsäusserung würde einen Mann nicht schützen, der in einem Theater fälschlicherweise Feuer schreit und so eine Panik verursacht.» Geht von einer «Meinungsäusserung» eine «clear and present danger» – eine konkret und unmittelbar drohende Gefahr – aus, darf sie nicht geschützt werden.

Angesichts der Pandemie können die staatlichen Bekämpfungsmassnahmen sicherlich mit den Verteidigungsmassnahmen im Kriegsfall verglichen werden. Dagegen gerichtete Propaganda muss unter diesem Blickwinkel beurteilt werden.

Es ist aber klar zu unterscheiden: Wenn Bill Gates, Putin oder andere Potentaten als Verursacher und Profiteure der Krise gebrandmarkt werden, ist es – so überhaupt nötig – Sache derer Anwälte, dagegen vorzugehen.

Virus und Lügen dürfen sich nicht schneller verbreiten als seriöse Information.

Geht es hingegen um die staatlichen Massnahmen zur Bekämpfung des Virus, gibt es zwei Aspekte:

  • Im Vorfeld von Corona-Beschlüssen gehört Kritik an behördlichen Einschätzungen schlechthin zur politischen Meinungsbildung und ist daher grundsätzlich zu schützen.

  • Sind jedoch konkrete Vorschriften – bei exponentiell zunehmenden Fallzahlen – einmal erlassen worden, können die Bekämpfungsstrategien ihre Wirkung nur dann beweisen, wenn sie von der breiten Bevölkerung auch befolgt werden.

Während solcher Perioden, namentlich solange keine Normalisierung der Fallzahlen erreicht ist, sind unsachliche, womöglich zum Ungehorsam aufrufende Äusserungen gegen behördliche Schutzmassnahmen meiner Meinung nach nicht mehr von der Meinungsäusserungsfreiheit geschützt.

Virus und Lügen dürfen sich nicht schneller verbreiten als seriöse Information – mindestens, bis sich die Behörden nach überstandener Krise ihrer seuchenpolitischen Verantwortung zu stellen haben. Dann werden hoffentlich auch Verschwörungstheorien wieder weniger ansteckend sein.

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