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Meinung

Die Schweiz und die Neutralität
Unser Dasein als Insulaner kommt an ein Ende

Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter vor einem Wandbild von Charles Giron im Nationalratssaal während einer Veranstaltung zum Internationalen Frauentag, 7. März 2025, im Bundeshaus Bern.
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Putins Russland rüstet sich zur Aggression gegen Osteuropa. Europa wehrt sich dagegen. Allein die Schweiz verschanzt sich auf der vermeintlichen Friedensinsel Neutralität.

Dass Europa sich verändern muss, ist klar. In Ost- und auch Nordeuropa wird mit Recht gefürchtet, dass Putin nach einem durch Trump ermöglichten Sieg in der Ukraine in den kommenden Jahren sein seit jeher angestrebtes Ziel weiterverfolgen wird: die Wiederherstellung imperialer Vorherrschaft über Ost- und Mitteleuropa. Die baltischen Staaten, allenfalls auch Finnland sind direkt militärisch bedroht, Mitteleuropa, eingeschlossen Deutschland, wird durch Putin zumindest mit hybridem Krieg aller Spielarten überzogen, inklusive nuklearer Erpressung.

Die grosse Frage steht nun im Raum, wie Europa auf Putin antwortet. Konkret gefragt: Ist Frankreich bereit, seine Nuklearabschreckung gegenüber Russland auch auf die baltischen Staaten auszudehnen? Die EU ist seit dem Zweiten Weltkrieg und nach dem frühen Misserfolg einer europäischen Verteidigungsunion dem Weg zur primär wirtschaftlichen Einigung gefolgt. Dies könnte eine Fortsetzung zwar koordinierter, aber einzelstaatlich geführter Abwehr gegen Russland vermuten lassen.

Dem stehen heute zwei gewichtige Tatsachen entgegen. Einmal wird der amerikanische Teil der Nato, eingeschlossen der Nuklearschirm, wie er Westeuropa während des Kalten Krieges beschützt hat, durch Trump infrage gestellt. Zum Zweiten hat sich die EU mit zentraler Exekutivgewalt in verschiedenen Bereichen, gestützt durch ein demokratisch gewähltes Parlament, bereits so weit entwickelt, dass der Übergang zu einer auch sicherheitspolitischen Union heute nicht mehr am Souveränitätsanspruch der traditionellen Staaten Europas scheitern muss.

Selbst das neutrale Irland macht mit

Oder konkret ausgedrückt: Neben dem deutschen Paket zur Aufrüstung hat die EU-Kommission ein ebenso gigantisches europäisches Pendant vorgelegt, voraussichtlich finanziert mit Anleihen der EU. Eine europäische Restrukturierung ist also in vollem Gange. Alle machen mit. Wiederum konkret ausgedrückt, hat sich beispielsweise das neutrale Irland mit einer Miniberufsarmee von 30’000 Mann bereit erklärt, an europäischer Waffenstillstandsüberwachung in der Ukraine teilzunehmen.

Allein die Schweiz tut, als ginge sie das nichts an. Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter hat sich bisher dreimal zum internationalen Chaos seit der Wahl von US-Präsident Donald Trump geäussert. Zweimal befremdlich: Die direkte Demokratie sei durch die Schelte des demokratischen Europa durch Vizepräsident Vance bestärkt geworden, und die Schweiz habe von erpresserischen US-Zöllen gegen die EU nichts zu befürchten. Im Namen des Bundesrats erklärte Keller-Sutter schliesslich, für die Schweiz habe sich nichts verändert.

Nichts verändert? Trump hat in wenigen Wochen feste Strukturen im euro-atlantischen Verhältnis zerstört, westliche Demokratie und soziale Marktwirtschaft verächtlich gemacht und will mit Putin und Xi Jinping die Welt in Interessensphären aufteilen. Will Keller-Sutter hier die Schweiz als «neutralen Vermittler» andienen? Dies würde nahe an Gesinnungs­neutralität liegen, welche um des Friedens Willen die Verleugnung eigener Werte in Kauf nimmt.

Eine Mehrheit im schweizerischen Parlament ist dagegen der Meinung, der Bundesrat solle sich aktiver für die Sicherheit Europas einsetzen. Das Dasein der Schweiz auf einer imaginären neutralen Friedensinsel ist im Europa von heute vorbei.

Daniel Woker ist ehemaliger Botschafter und Experte für Geopolitik.