Verschärfungen bei Mord und sexuellem MissbrauchStoppt das Schattenboxen mit dem Strafrecht
Das Parlament bastelt an mehreren Verschärfungen des Strafrechts, die mehr Probleme schaffen als lösen. Das schadet dem Vertrauen in die Justiz.

Es ist – neben den endlosen Asyldiskussionen – eine der Lieblingsbeschäftigungen des Parlaments in Bern: das Strafrecht Stück für Stück zu verschärfen.
Aktuell sind gleich drei Verschärfungen aufgegleist. Die Verjährung von Mord soll aufgehoben werden, ebenso jene für «sexuellen Missbrauch von Jugendlichen». Und drittens soll ein gerichtliches Verbot von Tätigkeiten mit Minderjährigen schon im Strafregister eingetragen werden, bevor es rechtskräftig ist.
Klingt gut, suggeriert: Die tun was. Aber Sinn ergibt der gesetzgeberische Aktivismus nicht.
Beginnen wir bei der Verjährung von Mord. Schon die heutige Frist von 30 Jahren stellt die Gerichte vor kaum lösbare Herausforderungen. Voraussetzung für einen Schuldspruch wegen Mordes (und nicht nur wegen vorsätzlicher Tötung) ist, dass der Täter oder die Täterin «besonders skrupellos» gehandelt hat. Aber das ist nach so langer Zeit kaum mehr rechtsgenügend feststellbar.
Ähnliche Einwände gelten bei dem, was SVP-Nationalrat Mike Egger in seiner Motion «sexuellen Missbrauch» von Jugendlichen zwischen 12 und 16 Jahren nennt. Der Vorstoss ist schon im Grundsatz irreführend.
Sexuelle Handlungen mit unter 16-Jährigen sind bereits heute grösstenteils unverjährbar. Eggers Vorstoss betrifft nur Jugendlieben sowie den Tatbestand der «Täuschung über den sexuellen Charakter einer Handlung». Dieser aber wird nur im Gesundheitsbereich angewendet, beispielsweise angeblich medizinische Massagen im Intimbereich. Eggers Vorstoss zielt hingegen explizit auf frühere Missbrauchsfälle in der Kirche.
Viele dieser Taten sind zwar tatsächlich verjährt. Dies aber, weil die Unverjährbarkeit erst später eingeführt wurde. Und das ist der zweite Grund, warum Eggers Vorstoss irreführend ist: Verschärfungen im Strafrecht gelten grundsätzlich nicht rückwirkend.
Auch der dritte Vorstoss hält nicht, was er verspricht. Mitte-Ständerat Beat Rieder will verhindern, dass mutmassliche Kinderschänder während eines laufenden Strafverfahrens eine neue Stelle mit Kontakt zu Minderjährigen antreten können. Deshalb soll schon ein erstinstanzliches, noch nicht rechtskräftiges Tätigkeitsverbot im Strafregister erscheinen.
Das würde die Unschuldsvermutung, die bis zum rechtskräftigen Urteil gilt, verletzen. Und die Regelung ist inkonsequent: Sie würde nur Stellensuchende erfassen, nicht aber Täter, die bereits eine Stelle haben.
Wo das wahre Problem liegt
Das wahre Problem liegt ohnehin an einem ganz anderen Ort. Das zeigt ausgerechnet ein Fall, der gern als Beispiel für die Notwendigkeit einer Verschärfung herangezogen wird: In Zürich durfte ein Mann als Begleiter in einem Behindertenschulbus mitfahren, gegen den ein Strafverfahren wegen Schändung lief. Ein frühzeitiger Strafregistereintrag hätte daran nichts geändert. Die Stadt wusste vom Verfahren. Selbst nach der erstinstanzlichen Verurteilung samt Tätigkeitsverbot blieb der Mann im Job.
Und hier liegt die Tragik der geplanten Verschärfungen. Die Politiker greifen zwar teils echte Probleme auf. Aber sie lösen nicht, was sie zu lösen vorgeben.
Stattdessen bringen sie zentrale Pfeiler des Schweizer Rechtssystems wie die Unschuldsvermutung ins Wanken. Und sie untergraben das Vertrauen in die Justiz, weil sie nicht halten können, was sie vorgeben. Dieses Schattenboxen ist gefährlich.
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